# taz.de -- Islamisten in Ägypten: "Muslimbrüder sind die neue Kraft" | |
> Den USA ist die Stabilität Ägyptens wichtig. Deshalb führt kein Weg an | |
> Gesprächen mit den demokratisch gewählten islamischen Parteien vorbei. | |
Bild: Mohammed Morsy, Vorsitzender der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei am 1… | |
taz: Frau Viola, wie wichtig ist Ägypten nach dem Sturz von Mubarak noch | |
für die USA? | |
Lora Anne Viola: Ägypten spielt nach wie vor eine wichtige geostrategische | |
Rolle. Es ist weiterhin der Garant für Stabilität im Nahen Osten. Deswegen | |
haben die USA die jährliche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar auch | |
nach dem Rücktritt von Mubarak nicht gekürzt. | |
Trotzdem gibt es offenbar eine Entfremdung zwischen den traditionellen | |
Partnern, also zwischen den USA und dem ägyptischen Militär. Dies kann man | |
an der Entscheidung des Militärs sehen, Büros amerikanischer | |
Menschenrechtsorganisationen in Kairo zu schließen. | |
Ja, das stimmt. Die USA müssen jetzt einen Spagat hinkriegen. Einerseits | |
gibt es starke Bindungen zum Militär. Das war ja auch der Grund dafür, | |
warum die USA Mubarak so lange wie irgend möglich gestützt haben. | |
Andererseits zeigen die Wahlergebnisse, dass die Muslimbrüder die neue | |
politische Kraft sind. Die USA müssen also auch mit ihnen reden. | |
Mit islamischen Gruppen zu verhandeln fällt den USA nicht leicht. | |
Nein, sie waren da traditionell immer misstrauisch. Aber die | |
Obama-Administration hat hier einen Paradigmenwechsel vollzogen. | |
Demokratisch gewählte islamische Parteien sind kein Tabu mehr, sondern | |
werden nun von den USA als Verhandlungspartner akzeptiert. | |
Werden die USA jetzt, nachdem die Diktatur nicht mehr zu halten ist, die | |
Demokratiebewegung in Ägypten unterstützen? Oder werden sie bei ihrer | |
Strategie bleiben, wonach nur das Militär für Stabilität sorgen kann? | |
Das genau wird gerade diskutiert. Sicher ist, dass es in Washington | |
inzwischen eine starke Abneigung gegen Interventionen gibt. Selbst gegen | |
Interventionen, die die Demokratie befördern sollen. | |
Weil die Interventionen im Irak und in Afghanistan so schiefgegangen sind? | |
Ja. Obamas Rede vom Ende der Ära 9/11 meint ja, dass man sich zukünftig mit | |
direkten Einmischungen zurückhalten wird. Entsprechend wurde auch die | |
Militärstrategie geändert, die keine langfristigen Nation-Building-Projekte | |
mehr unterstützt. | |
1,3 Milliarden Dollar pro Jahr für das ägyptische Militär sind aber doch | |
eine ziemlich direkte Einmischung in das Land. | |
Sicher. Die USA wollen Stabilität, das ist das, was sie interessiert - | |
nicht zuletzt auch wegen Israel. Ägypten spielt da eine Schlüsselrolle. Und | |
wenn Stabilität bedeutet, dass man das Militär finanzieren und gleichzeitig | |
mit den Muslimbrüdern reden muss, dann wird die Obama-Administration das | |
tun. | |
Sie finden es richtig, dass die USA mit den Muslimbrüdern reden? | |
Es ist schlicht nicht mehr zu vermeiden und es ist vernünftig. Wenn die USA | |
Interesse daran haben, dass die Muslimbrüder sich nicht radikalisieren und | |
dass Ägypten nicht im Chaos versinkt, sondern sich demokratisiert, dann | |
müssen sie mit den gewählten Parteien in Dialog treten. Die USA müssen | |
anerkennen, dass islamische Parteien in der Zukunft des Nahen Ostens eine | |
zentrale Rolle spielen werden. | |
Wird diese Öffnung gegen über allen demokratisch gewählten, also auch | |
islamischen Parteien rückgängig gemacht, wenn die Republikaner die | |
amerikanischen Wahlen gewinnen? | |
Nein, das glaube ich nicht. Auch die Republikaner werden versuchen, | |
Stabilität herzustellen. Und die ist ohne die Muslimbrüder beziehungsweise | |
ohne islamische Parteien im Nahen Osten nicht mehr zu haben. Vielleicht | |
werden die Republikaner sich einer anderen, muslimkritischeren Rhetorik | |
bedienen, auch um sich von Obama abzugrenzen. Mehr aber auch nicht. | |
Viele jüngere Leute, die gegen die Mubarak-Diktatur gekämpft haben, sehen | |
das Militär als die zentrale Gefahr für die Demokratisierung, nicht die | |
Muslimbrüder. Müssten die USA also nicht vor allem darauf drängen, dass das | |
Militär sich für demokratisches Gedankengut öffnet? | |
In der Obama-Regierung wächst ja allmählich die Erkenntnis, dass das | |
Militär sich nicht korrekt verhält. Die Zukunft des | |
Demokratisierungsprozesses wird von der Bereitschaft des Militärs abhängen, | |
Macht abzugeben, aber auch davon, ob sich die islamischen Parteien | |
glaubhaft zu einer Mäßigung und zur Demokratie bekennen werden. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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