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# taz.de -- Debatte Stasi-Aufarbeitung: 20 Jahre Vorzensur
> Bei der Verabschiedung des Stasiunterlagen-Gesetzes hatte die Regierung
> vor allem eines im Blick: Den Schutz vor unbequemen Enthüllungen.
Bild: Grüner Besuch bei Erich Honecker 1983: Dirk Schneider (IM „Ludwig“),…
Das Stasiunterlagen-Gesetz (StUG) wird nach 20 Jahren als großer Erfolg
gefeiert. In Wahrheit ist es ein fauler Kompromiss zwischen Aktenöffnung
und Staatsräson. Denn die Regierung Kohl hatte seinerzeit viel zu
verbergen.
Seit Oktober 1989 vernichtete die Stasi ihre eigenen Unterlagen. Deshalb
kam es Anfang Dezember 1989 zu ersten Besetzungen von Bezirksdienststellen.
Doch die Aktenvernichtung in der Berliner Zentrale ging systematisch
weiter. Erst am 15. Januar 1990 wurde eine "Besetzung" des Ministeriums
inszeniert. Äußerlich übernahmen Volkspolizei und Staatsanwaltschaft das
Gelände. Intern wurde das Vernichtungswerk bis Ende September 1990 intensiv
fortgesetzt.
Den ersten Gesetzentwurf erarbeiteten 1990 Stasi-Kader. Danach sollten fast
alle Akten 1991 vernichtet werden. In Bonn war daran zunächst niemand
interessiert. Das änderte sich, als bekannt wurde, was die Stasi wusste.
Denn die Bundesregierung war umfassend abgehört worden. Dabei regierte Kohl
ja noch per Telefon. Die Barschel-Affäre lag drei Jahre zurück. Illegale
Waffengeschäfte waren im Gange. Hinzu kam die Parteispendenaffäre. Bonn
musste alarmiert sein.
## Amnestie und Aktensperrung
Die Regierung verhandelte mit der Stasi-Generalität, um die
Veröffentlichung abgehörter Telefonate zu verhindern. Als Gegenleistung
waren eine Amnestie und die Sperrung der Akten vereinbart. Die
Bundessicherheitskonferenz stimmte am 21. Juni 1990 zu. Die SPD-Fraktion in
der Volkskammer hielt dagegen. Ihr folgten West-SPD, "Grüne" und einige
FDP-Politiker. Die Pläne scheiterten.
Im Juni 1990 wurde ein Volkskammer-Ausschuss gebildet. Er erarbeitete einen
eigenen Gesetzentwurf. Der sah die Nutzung der Stasi-Akten auch für die
"politische, historische und juristische Aufarbeitung" vor; es fehlte aber
noch das Recht der Betroffenen auf Akteneinsicht. Die Volkskammer stimmte
zu. Doch die Bundesregierung lehnte das Gesetz ab. Die Volkskammer empörte
sich. Bonn musste nachverhandeln.
Am 31. August 1990 fand sich ein Kompromiss: Die Grundsätze des
Volkskammer-Gesetzes sollten künftig beachtet und ein Sonderbeauftragter
eingesetzt werden. Das wurde Joachim Gauck.
## Der Mann für die Staatsräson
Um peinliche Enthüllungen zu vermeiden, installierte die Bundesregierung
noch einen zweiten Mann in der neuen Behörde, der die Staatsräson über die
Aufklärung stellte. Der Mann war Hansjörg Geiger. Er wurde der erste
Direktor. Bezeichnend ist sein weiterer Weg: 1995 stieg Geiger zum
Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf, 1996 wechselte er an
die Spitze des Bundesnachrichtendienstes und 1998 als Staatssekretär ins
Bundesjustizministerium.
Genau so etwas wollte das Grundgesetz nicht. Es verlangt die Trennung von
Justiz, Polizei und Nachrichtendiensten. Doch dieses institutionelle
Trennungsgebot können Personen unterlaufen. Die Bedeutung Geigers für die
formativen Jahre der Behörde kann gar nicht überschätzt werden.
## Stasi-Kader übernommen
Die Personalpolitik von Geiger und Gauck wurde zum Fiasko. Viele
hauptamtliche Stasi-Kader, darunter über 70 Offiziere, bleiben im Dienst.
Sogar Spezialisten zur "Zersetzung" der Persönlichkeit wurden übernommen.
Das galt für Oberst Gerd Bäcker und Oberstleutnant Bernd Hoepfer.
Zahlreiche SED-Genossen aus dem Staatsapparat kamen hinzu.
Der Bürgerrechtler Arnold Vaatz bemerkte dazu: "In dieser Behörde ist der
Geist der DDR-Bürokratie konserviert." Stasi-Leutnant Peter Schmidt brachte
es unter Marianne Birthler sogar zum Systemmanager der EDV.
Unliebsame Oppositionelle wie Reinhard Schult hatten dagegen keine Chance.
Gauck und Geiger wollten sie nicht. Die Historiker Armin Mitter und Stefan
Wolle mussten im März 1991 ausscheiden. Sie hatten kritisiert, dass ein
Gutachten über Lothar de Maizière für die Bundesregierung geschönt worden
war.
Heute bedauert Gauck die Entlassung. Der Vorgang zeigte aber: Wer sich
Wünschen der Kohl-Regierung widersetzte, musste gehen oder wurde nicht
eingestellt - so wie viele DDR-Oppositionelle.
## Zensur vor Akteneinsicht
Geiger verfasste auch den Entwurf für das StUG. Entscheidend war die
staatliche Kontrolle über den Aktenzugang. Die wollte Geiger schon beim
Bundesarchivgesetz von 1988, konnte sie aber erst beim StUG durchsetzen. So
heißt es in § 32, Abs. 1: "Unterlagen mit personenbezogenen Informationen
[das sind fast alle Stasi-Unterlagen, Anm. d. Verf.] dürfen nur zur
Verfügung gestellt werden, soweit durch deren Verwendung keine
überwiegenden schutzwürdigen Interessen der dort genannten Personen
beeinträchtigt werden." So muss jede Akte vor der Einsicht überprüft
werden, was einer Vorzensur gleichkommt.
CDU, SPD und FDP schlossen sich diesem Papier an. Dagegen brachte Ingrid
Köppe für Bündnis 90/Die Grünen einen Entwurf ein, der weitgehend dem
Volkskammer-Gesetz entsprach. Er war aber um das Recht der Betroffenen auf
Akteneinsicht ergänzt. Insbesondere fehlte die "Geigersche Klausel", die
die Forschungsfreiheit unter den behördlichen Eingriffsvorbehalt stellt,
damit brisante Vorgänge aus der bundesdeutschen Politik nicht bekannt
werden.
Schon bei der Anhörung im Bundestag am 27. August 1991 übten Stasi-Opfer
heftige Kritik. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs, jahrelang von der Stasi
drangsaliert, fragte: "Ist all das, was geschehen ist, tatsächlich nur
behördlich zu regeln? Meine Antwort wäre hier nein. Vor Ort, wo es geschah,
müssen die Archive geöffnet werden - natürlich nach Recht und Gesetz, aber
ohne die schreckliche Behörden- und Verwaltungsrhetorik, die um sich
greift."
Fuchs meinte damit Gauck und Geiger. Reiner Kunze fügte hinzu: "Diese
Behörde ist eben etwas anderes als ein Postamt." Transparenz wurde
gefordert, von Gauck verbal begrüßt, dann aber unter Hinweis auf die
Staatsräson abgetan.
Dieser Beitrag beruht auf einem [1][Vortrag bei einer Veranstaltung] (pdf)
des Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen im Dezember 2011.
Eine Erwiderung auf diesen Text ist in Arbeit.
30 Jan 2012
## LINKS
[1] http://www.berlin.de/imperia/md/content/lstu/vortraege/vortrag_b__stlein_7_…
## AUTOREN
Klaus Bästlein
## TAGS
DDR
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