# taz.de -- Flüchtlinge aus Afrika: Tod auf hoher See | |
> 1.500 Flüchtlinge ertranken im vergangenen Jahr auf dem Weg von Afrika | |
> nach Europa. Das sind so viele wie noch nie, sagt das | |
> UN-Flüchtlingshochkommissariat. | |
Bild: Er wollte nach Europa: ein junger Tunesier am Strand von Zarzis. | |
BERLIN taz | Über 1.500 tote Flüchtlinge im Mittelmeer - "das macht 2011 | |
zum tödlichsten Jahr für diese Region, seit UNHCR begann, 2006 diese | |
Statistiken zu erheben", so Sybella Wilkes, Sprecherin des | |
UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR. Den bisherigen Rekord hielt das Jahr | |
2007 mit 630 Toten. | |
Dabei gilt 1.500 als Untergrenze. Die wahre Zahl der Toten sei | |
"wahrscheinlich deutlich höher", so der deutsche UNHCR-Sprecher Stefan | |
Telöken. Bereits seit Juni 2011 sprach die UNO von 1.500 Ertrunkenen oder | |
Verschollenen im Mittelmeer seit Jahresbeginn, die italienische katholische | |
Gemeinde SantEgidio nannte im August 1.820 Tote. | |
Es geht fast ausschließlich um Afrikaner, die illegal nach Europa wollten | |
oder vor dem Bürgerkrieg in Libyen fliehen. "Überlebende erzählten | |
erschütternde Geschichten, wie sie von bewaffneten Garden auf Boote | |
gezwungen wurden, insbesondere im April und Mai in Libyen", so Wilkes. "Die | |
Reise fand auf seeuntüchtigen Booten statt, die Flüchtlinge und Migranten | |
oft selbst steuern mussten. Dazu sagten manche, dass Mitreisende sie | |
schlugen und folterten." | |
Nicht nur für die Zahl der Toten im Mittelmeer war 2011 laut UNHCR ein | |
Rekordjahr, auch für die Zahl der Lebenden. Mehr als 58.000 Illegale | |
erreichten Europa laut UNHCR im vergangenen Jahr auf dem Seeweg. Auch diese | |
Zahl ist eher eine Untergrenze: Während die UN-Behörde sich auf Befragungen | |
vor Ort stützt, zählt die EU-Grenzagentur Frontex alle staatlich | |
registrierten Ankömmlinge und zählt allein bis September 2011 rund 70.000 | |
"Einreisen ohne Papiere" über das Mittelmeer nach Europa. Fast alle | |
landeten in Italien. | |
Dazu kamen laut UNHCR rund 55.000 auf dem Landweg über die Türkei nach | |
Griechenland; Frontex zählt 37.000 bis September. | |
## Krieg in Libyen hat fatale Folgen | |
Die Preise für eine Überfahrt aus Libyen waren nach Beginn des libyschen | |
Bürgerkrieges im März 2011 stark gefallen; das Gaddafi-Regime gab die Küste | |
für Flüchtlingsboote frei und vertrieb auch Afrikaner mit Gewalt, während | |
Libyens Rebellen ihrerseits Schwarzafrikaner als mutmaßliche | |
Gaddafi-Anhänger verfolgten. Die Folge waren katastrophale Schiffsunglücke | |
mit teilweise Hunderten Toten. | |
Die Flucht geht auch nach Ende des Krieges in Libyen weiter. Am Samstag gab | |
Somalias Botschaft in Libyen bekannt, 15 somalische Leichen, davon 12 | |
weiblich, seien am Strand von Misurata angeschwemmt worden; 40 weitere | |
Passagiere eines vermutlich havarierten Bootes würden vermisst. Bereits am | |
14. Januar hatten die Passagiere SOS gefunkt; die libysche Küstenwache fand | |
sie aber nicht. | |
Am 13. Januar rettete die italienische Küstenwache ein Boot mit 72 | |
somalischen Flüchtlingen aus Libyen; am 15. Januar bargen die Streitkräfte | |
von Malta mit Hilfe der US-Marine ein führungslos driftendes Boot mit 68 | |
Passagieren 56 Seemeilen von Malta entfernt. | |
Bemühungen der EU, Libyens neue Regierung zur Verhinderung der illegalen | |
Emigration zu bewegen, scheinen nicht zu fruchten. "Libyen wird nicht | |
Europas Grenzwächter sein", sagte der neue libysche Innenminister Fawzi | |
Abdelali am Dienstag. "Selbst wenn es wollte, es könnte das nicht." | |
Derweil sitzen weiter knapp 5.000 Flüchtlinge aus Krisenländern wie | |
Somalia, Eritrea, Sudan oder Äthiopien, die während des Krieges aus Libyen | |
geflohen waren, in Wüstenlagern des UNHCR in Ägypten und Tunesien fest. Das | |
UNHCR hat Asylverfahren durchgeführt, um zu prüfen, ob sie in ihre Länder | |
zurückkehren können oder Schutzbedürftige im Sinne der Genfer Konvention | |
sind. | |
Das ist nach UNHCR-Angaben bei etwa 4.400 der Flüchtlinge der Fall. Aber 14 | |
Industriestaaten haben bislang nur rund 900 sogenannte Resettlement-Plätze | |
zugesagt, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Über 3.400 müssen in der Wüste | |
bleiben. | |
1 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
D. Johnson | |
C. Jakob | |
## TAGS | |
Somalia | |
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