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# taz.de -- Libysche Rebellen in Hessen: Erst Revolution, dann Reha
> Libysche Rebellen, die im Kampf gegen das Gaddafi-Regime verletzt wurden,
> verbringen ihre Reha in einer Klinik in Hessen. Wie sie ausgewählt
> werden, ist nicht klar.
Bild: Gut versorgt: der Libyer Ibrahim Salem in Rotenburg.
ROTENBURG AN DER FULDA dpa | Nach dem Horror der vergangenen Monate kann
Hassan wieder lachen. Er hat auch schon etwas Deutsch gelernt und fragt
fröhlich "Wie geht's?" und lässt bei einem Lächeln seine Zahnspange
hervorblitzen. Der libysche Bürgerkriegsrebell sitzt auf der Liege eines
Reha-Raumes des Krankenhauses in Rotenburg an der Fulda. Mit Hilfe von
Medizinern versucht er, seinen verstümmelten, rechten Oberschenkel in eine
Hightech-Prothese zu führen.
Der 22-Jährige muss nun in seinem neuen Leben Schritt für Schritt
versuchen, Fuß zu fassen. Vor kurzem hat er die computergesteuerte, 30.000
Euro kostende Gehhilfe bekommen - und übt seither Laufen. "Später kann er
damit sogar Fußball spielen", sagt ein Krankengymnast zu dem Wunderwerk der
Technik, das kleinste Bewegungsimpulse unterstützt.
Hassan wurde im vergangenen Sommer im Kampf gegen die Truppen des
mittlerweile toten Machthabers Muammar al-Gaddafi verletzt. Jetzt wird er
in einer Klinik in Osthessen behandelt. Der junge Mann trägt sein Schicksal
scheinbar leicht. Er wollte sein Dorf verteidigen. Jemand hatte ihm eine
Kalaschnikow in die Hand gedrückt. So wurde aus dem Studenten ein
Freiheitskämpfer.
Hassan hat noch Glück gehabt. Als eine Rakete neben ihm einschlug, wurde
nur sein rechtes Bein zerfetzt, die Überreste mussten amputiert werden.
Zwei Freunde von Hassan starben bei dem Beschuss. Wenn er wieder richtig
gehen kann, möchte Hassan zurück nach Hause. "Ich will helfen, meine Heimat
aufzubauen. Libyen braucht uns."
Wie Hassan werden derzeit knapp 50 Rebellen in dem Akut- und
Reha-Krankenhaus versorgt. So hat sich das Herz- und Kreislaufzentrum mit
seinen knapp 600 Betten in Teilen zu einer Art Lazarett für Kriegsverletzte
entwickelt. Die Klinik liegt auf einem Berg und gibt einen freien Blick
über das Fuldatal und die 14 000-Einwohner-Stadt.
## Langjährige Kontakte in den arabischen Raum
Geschäftsführer Guido Wernert sitzt in seinem holzvertäfelten Büro und
lässt die vergangenen, ereignisreichen Wochen Revue passieren: Es ist
Sonntagabend, der 20. November. Im Fernsehen läuft ein "Tatort". Bei
Wernert klingelt das Handy. Das "Wounded Libyan Evacuation Team" der
Übergangsregierung bittet um Hilfe und fragt, ob die Klinik verletzte
Rebellen aufnehmen kann. Dass Wernert den Anruf bekommt, ist das Ergebnis
jahrelanger guter Erfahrungen mit wohlhabenden Patienten aus dem arabischen
Raum. Katar, Dubai, Oman - die Liste der guten Kontakte sei lang, sagt
Wernert stolz. "Deutsche Mediziner genießen im Ausland einen allerbesten
Ruf", ergänzt er.
Der Klinik-Geschäftsführer trommelt sein Team zusammen, und zwei Tage
später landet eine erste Maschine mit verletzten Rebellen am Flughafen
Frankfurt. Die Bundespolizei ist irritiert angesichts der geschundenen
Männer, die sich da aus dem Flieger mühen - bandagiert, auf Krücken, im
Rollstuhl.
Fatima al-Messaui (17) ist vergleichsweise glimpflich davongekommen. Doch
auch ihre Geschichte ist grauslich. Eine Gewehrkugel schlug sechs Zähne aus
und verbrannte den Gaumen. Mittlerweile ist sie am Kiefer operiert und
trägt eine Prothese. Gerade sitzt sie in einem Sessel, hat einen Laptop auf
dem Schoß, Kopfhörer auf und telefoniert via Internet mit der Heimat. Mit
Angehörigen zusammen erlebte sie den schlimmsten Tag ihres Lebens.
Rückblende: Es ist der 21. August gegen 23.00 Uhr. Den Rebellen gelingt mit
Unterstützung der Nato ein wichtiger Vorstoß nach Tripolis. Fatima und ihre
Familie wollen das mitfeiern. Sie fahren im Auto nahe der Hauptstadt mit
einer Fahne der Revolutionäre auf dem Dach. An einem noch verbliebenen
Checkpoint von Gaddafis Schergen wird der Wagen beschossen. Sie werden aus
dem Auto gezerrt und stundenlang in einen Container gesperrt. Fatima darf
zwischenzeitlich zu einem Arzt. Erst am nächsten Tag werden alle befreit.
Mittlerweile hat Fatima mit ihrer Geschichte umzugehen gelernt. Sie wirkt
gefasst und kann die Betreuung in der Klinik genießen.
## Rechnungen gehen nach Tripolis
Das Krankenhaus hat sich voll auf die Bedürfnisse ihrer Klientel
eingestellt. Die Schilder und Wegweiser im Haus sind auf Deutsch und
Arabisch. Es gibt auch einen Gebetsraum. Auf dem grauen Teppichboden sind
gelbe Klebestreifen angebracht. So sind die Gebetsreihen gen Mekka
abgegrenzt. An der Tür hängt ein Zettel mit den Gebetszeiten.
Für die mobilen Patienten werden samstags Einkaufstouren nach Kassel
organisiert. Acht Dolmetscher stehen den Libyern mit Rat und Tat zur Seite.
Einer von ihnen ist Bassam Abu Ali. Der 40-Jährige ist eigentlich
Küchenleiter im privaten Klinikteil. Jetzt steht auf seinem Namensschild:
Betreuer arabischer Patienten. "Die ersten Wochen waren stressig", erzählt
er. Der Libanese musste den Patienten viel erklären: Auf den Zimmern bitte
nicht rauchen, bitte nicht nachts auf den Gängen laut reden und bitte
pünktlich zur Reha kommen - halbe Stunde später geht nicht. Mittlerweile
läuft's.
Das Rund-um-Wohlfühl-Paket für die Libyer muss natürlich bezahlt werden.
Behandlung und Betreuung sind keine kostenlosen humanitären
Hilfeleistungen, wie Wernert betont. Abgerechnet werde alles wie bei
Privatpatienten, zuzüglich Sonderleistungen. Ein offenbar gutes Geschäft
für die Klinik, die keine Bedenken hegt, hinter ihrem Geld herlaufen zu
müssen. Die Rechnungen schickt Geschäftsführer Wernert nach Tripolis an die
libysche Übergangsregierung.
"Mit den Behandlungen hier wird den Leuten Dank für ihre Leistungen
gezollt", sagt Wernert. Orthopäde Schuchert glaubt aber auch: "Die wollen
die Kriegskrüppel nicht im Land haben, wenn sich das Land neu
konstituiert." Einige libysche Patienten werden auch in anderen deutschen
Städten behandelt. "Aber niemand versorgt bundesweit so viele wie wir
hier", ist sich Wernert sicher.
## "Das sind keine VIPs"
Auch Dr. Hassan Ibrahim ist einer von denen, die Libyer in Rotenburg
behandeln, ein Mann mit grauen Haaren, erfrischend offen und mit viel
Humor. "Bei der Notfall-Versorgung in Libyen und im benachbarten Tunesien
musste es wie am Fließband gehen. Die Menschen wurden nur notdürftig
zusammengeflickt. Einige kamen mit Gestellen an den Beinen zu uns. Hier
können sie sich in Ruhe rehabilitieren."
Zehntausende wurden beim Kampf gegen das Gaddafi-Regime verletzt. Wer in
den Genuss einer Behandlung in Deutschland kommt, wer wie ausgewählt wird -
das ist aus dem Arzt und Geschäftsführer Wernert nicht recht
rauszubekommen. "Wir haben hier keine VIPs, ganz normale Patienten",
versichert er.
Etwa wie Masab Sanussi, der seinen Beruf als Lastwagenfahrer angibt. Er sei
in dem Konflikt zunächst unbeteiligter Zivilist gewesen. Dann griff er zur
Waffe. Dr. Ibrahim übersetzt: "Nach 20 Tagen war er mit dem Gewehr Experte.
Übung macht den Meister." Seit einer Raketen-Explosion hat Sanussi aber
einen einige Zentimeter großen Splitter im Kopf. "Der muss noch
rausoperiert werden", erklärt der Arzt.
Sanussi leidet unter Kopfschmerzen und hat kein Gefühl im rechten Arm. Zu
schaffen macht ihm auch die "Sehnsucht nach meiner Familie" - und dass es
in Rotenburg so kalt ist. "Ich hätte gern Sonne aus Libyen hier."
15 Feb 2012
## AUTOREN
Jörn Perske
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