| # taz.de -- Urteil gegen Italiens Flüchtlingspolitik: Rechte auch auf hoher See | |
| > Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Italien. Das | |
| > Land hatte Flüchtlinge ohne Asylverfahren nach Libyen zurückgeschickt. | |
| Bild: Flüchtlinge an der libyschen Grenze. | |
| FREIBURG taz | Auch auf hoher See gibt es keinen rechtsfreien Raum. Das hat | |
| am Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg | |
| entschieden. Dabei wurde Italien verurteilt, weil es Flüchtlinge, die im | |
| Mittelmeer aufgegriffen wurden, einfach nach Libyen zurückverschiffte - | |
| ohne Prüfung ihrer Situation. Damit sei die Europäische | |
| Menschenrechtskonvention mehrfach verletzt worden. | |
| Es war im Mai 2009. Eine Gruppe von 227 Flüchtlingen aus Somalia und | |
| Eritrea war in drei Booten unterwegs von Libyen zur italienischen Insel | |
| Lampedusa. Doch 35 Seemeilen vor Lampedusa wurde der Konvoi von der | |
| italienischen Grenzpolizei und Marine entdeckt. Die Flüchtlinge wurden an | |
| Bord von Marineschiffen genommen und - ohne dass man ihnen dies ankündigte | |
| - zurück nach Libyen gebracht. Die italienische Regierung brüstete sich | |
| später mit der Aktion, denn es war die erste Anwendung eines neuen | |
| Rückübernahme-Abkommens mit Libyen. | |
| Die näheren Umstände wurden allerdings nur bekannt, weil an diesem Tag | |
| zufällig zwei französische Journalisten der Illustrierten Paris Match bei | |
| der Grenzpolizei mitfuhren. | |
| Auf Klage von 24 dieser Flüchtlinge entschied der Gerichtshof für | |
| Menschenrechte nun, dass auch in diesem Fall die Europäische | |
| Menschenrechtskonvention anwendbar sei. Da sich die Flüchtlinge auf einem | |
| Schiff mit italienischer Flagge befanden, gälten die gleichen Regeln wie | |
| auf dem Festland, so die Richter. Die römische Regierung hatte | |
| argumentiert, dass die Rettung Schiffbrüchiger eine internationale Pflicht | |
| sei, bei der keine nationalen Hoheitsrechte ausgeübt werden. | |
| ## Unmenschliche Behandlung drohte | |
| Die Straßburger Richter sahen die Menschenrechtskonvention als verletzt an, | |
| weil die Flüchtlinge in Libyen in eine Situation gebracht wurden, in der | |
| ihnen unmenschliche Behandlung drohte. Flüchtlinge und illegale Einwanderer | |
| wurden dort systematisch inhaftiert und teilweise gefoltert. Und wenn sie | |
| in Freiheit leben konnten, waren ihre Lebensbedingungen äußerst prekär und | |
| sie waren auch rassistischen Angriffen ausgesetzt. | |
| Hinzu kam die Gefahr, dass die Flüchtlinge sogar ohne Prüfung in ihre | |
| Herkunftsländer zurückgeschickt werden, obwohl ihnen auch dort | |
| unmenschliche Behandlung drohte. In Eritrea gab es Haft und Folter schon, | |
| weil jemand illegal das Land verlassen hatte. Italien hätte sich jedenfalls | |
| nicht auf libysche Zusicherungen verlassen dürfen, man werde die Rechte der | |
| Flüchtlinge achten. Es sei bekannt gewesen, dass Libyen Flüchtlinge auch in | |
| Hochrisikoländer zurückgeschickt hat. Weder hatte Libyen die Genfer | |
| Konvention zum Schutz der Flüchtlinge unterzeichnet noch das örtliche Büro | |
| des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) anerkannt. | |
| Außerdem habe Italien ein Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention | |
| verletzt, das Massenausweisungen von Ausländern verbietet. Dabei geht es | |
| nicht um die große Zahl von Ausweisungen, sondern um die unterschiedslose | |
| Behandlung von Menschen ohne Prüfung von deren persönlichen Verhältnissen. | |
| Die Richter wandten diese Bestimmung an, obwohl die Flüchtlinge noch gar | |
| nicht das italienische Festland erreicht hatten. | |
| Doch auch auf einem italienischen Schiff dürften keine Massenausweisungen | |
| vorgenommen werden. Schließlich verletzte Italien auch die | |
| Menschenrechtskonvention, indem es den Flüchtlingen kein Rechtsmittel gegen | |
| ihre Verbringung nach Libyen ermöglichte. Angesichts der drohenden Gefahren | |
| hätte das Rechtsmittel sogar aufschiebende Wirkung haben müssen, so die | |
| Richter. | |
| Jede und jeder der 24 Klägerinnen und Kläger hat nun Anspruch auf 15.000 | |
| Euro Schadensersatz. Gegen die Entscheidung der Großen Kammer des | |
| Straßburger Gerichtshofs ist kein Rechtsmittel mehr möglich. | |
| 23 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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