# taz.de -- Terror in Nigeria: Im Fadenkreuz der Unbekannten | |
> Fast täglich werden Anschläge der mysteriösen radikal-islamistischen | |
> Sekte Boko Haram verübt. Sicherheitsmaßnahmen sind allgegenwärtig und | |
> meistens nutzlos. | |
Bild: Alltägliches Bild: terroristische Verwüstung im Norden Nigerias. | |
KANO/KADUNA taz | Boko Haram hat es wieder einmal geschafft. Der Verkehr | |
staut sich über viele Kilometer, die Angst ist groß. "Ob es wohl noch mehr | |
Explosionen gibt", überlegt Musa Sani. Mehrere Explosionen in unmittelbarer | |
Nähe von militärischen Einrichtungen haben soeben die 1,5 Millionen | |
Einwohner zählende Stadt Kaduna im Norden Nigerias erschüttert. | |
Das lange Wochenende hat Musa Sani mit seiner Familie in Kano verbracht, | |
der 10-Millionen-Metropole des nigerianischen Nordens. An diesem | |
Dienstagnachmittag muss er zurück in die Hauptstadt Abuja. Wohl fühlt er | |
sich auf der Fahrt nicht. Wie viele tausend Reisende muss er jetzt wieder | |
einmal an einer Polizeisperre ausharren und malt sich ein | |
Schreckensszenario aus: "Was ist, wenn Boko Haram ausgerechnet hier eine | |
Bombe schmeißt? Dann würden wir festsitzen und könnten nicht mehr fliehen." | |
Letztendlich hat Musa Sani Glück. In Kaduna soll nur der | |
Selbstmordattentäter ums Leben gekommen sein. Soldaten hätten das Feuer auf | |
ein Auto eröffnet, das eine Kontrolle durchbrach, woraufhin der Wagen | |
explodierte, heißt es. Nach vielen Stunden des Wartens kann die Reise nach | |
Abuja weitergehen. | |
Nigerias Polizei ist so präsent wie seit Jahren nicht mehr. In vielen | |
Städten des muslimischen Nordens gibt es alle paar hundert Meter | |
Sicherheitskontrollen. Der Verkehr wird dann einspurig, ein Polizist winkt | |
jedes Auto einzeln durch. Mopedfahrer müssen absteigen und schieben. Autos, | |
Busse und klapprige Lastwagen stauen sich mitunter über viele Kilometer. | |
Die Maßnahme schafft vor allem eines: Sie macht die Menschen wütend. Denn | |
kein einziges Auto wird tatsächlich nach Sprengstoff durchsucht, keiner der | |
Insassen genauer überprüft. | |
## Die Sicherheitsdienste müssen verstehen, wer Boko Haram ist | |
"Was die Regierung macht, ist zwar eine schnelle, aber doch träge | |
Maßnahme", nennt Dr. Hussaini Abdu, Nigeria-Direktor der internationalen | |
Hilfsorganisation Action Aid, deshalb die Aktion. Wie viele andere fordert | |
er, dass die Sicherheitsdienste erst einmal verstehen müssten, mit wem sie | |
es bei Boko Haram eigentlich zu tun haben. | |
Obwohl die Terrorgruppe Boko Haram präsenter denn je ist und, so Abdu, mit | |
ihren Anschlägen nach Aufmerksamkeit sucht, wird sie immer mehr zu einem | |
Gespenst. In Kano, wo am 20. Januar bei einer Serie von Anschlägen 186 | |
Menschen ums Leben kamen, lacht ein junger Handyverkäufer auf die Frage, | |
wer Boko Haram sei, laut auf. "Keine Ahnung", zuckt er mit den Schultern. | |
"Ich kenne sie nicht". | |
Auch Pastor William Okoye, beim christlichen Dachverband Christliche | |
Vereinigung Nigerias (CAN) Leiter für nationale Angelegenheiten, wirkt ein | |
wenig ratlos, wenn er die Terrorgruppe beschreiben soll. "Wir fordern, dass | |
sie endlich ihr Gesicht zeigen. Nur so können wir wissen, mit wem wir es | |
überhaupt zu tun haben", sagt er. Eins habe die radikalislamistische Sekte, | |
deren Name übersetzt "Westliche Bildung ist Sünde" bedeutet, aus seiner | |
Sicht allerdings geschafft. Nigeria sei noch nie in einer solchen Situation | |
wie im Moment gewesen. "Wir hatten zwar schon einen Bürgerkrieg. Aber das, | |
was jetzt passiert, ist völlig seltsam." | |
## Die mysteriöse Organisation lehnt Gespräch mit der Regierung ab | |
Tageszeitungen zitieren fast täglich einen oder mehrere mutmaßliche | |
Boko-Haram-Sprecher. Für Schlagzeilen gesorgt hat zuletzt ein Video, in dem | |
jemand der Regierung ein Dialogangebot macht. Falls das stimmt und ernst | |
gemeint ist, wäre es eine kleine Sensation. Denn Gesprächsvorschläge der | |
Regierung sind bisher von Boko Haram abgelehnt worden. | |
Einen Dialog würden trotz der blutigen Anschläge, bei denen alleine in | |
diesem Jahr vermutlich rund 280 Menschen getötet worden sind, nach wie vor | |
viele in Nigeria begrüßen. Muzzammil Sani Hanga, Generalsekretär des Rates | |
der islamischen Rechtsgelehrten in Nigeria (Ulama), gehört dazu. "Aber wir | |
müssen erst einmal wissen, mit wem wir es überhaupt zu tun haben." | |
## Jeder kann sich als Boko Haram ausgeben | |
Denn der Wahrheitsgehalt von Stellungnahmen und Botschaften der Gruppe | |
lässt sich nicht überprüfen. Handynummern werden unterdrückt, jeder könnte | |
sich als Boko Haram ausgeben. Das ist mitunter sogar gängige Praxis, | |
vermutet Muzzamil Sani Hanga. "Jemand verübt einen Banküberfall und schickt | |
dann ein Bekennerschreiben im Namen von Boko Haram." | |
Boko Haram, das kann für Benjamin Erumeh jeder sein. Der Mann mit der | |
Schirmmütze steht vor einer katholischen Kirche in Kano und wartet auf | |
Gottesdienstbesucher. In seiner linken Hand hält er einen Metalldetektor | |
und sucht jeden Kirchenbesucher genauestens ab - ob Kind oder alte Frau. | |
Mehr als Handy, Schlüsselbund und Bibel darf niemand zum Gottesdienst | |
bringen. "Das mache ich sogar mit dem Pastor", sagt er. | |
8 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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