# taz.de -- Deutsche Geisel in Nigeria ermordet: Die Entführer bleiben obskur | |
> Eine mehrere hundert Mann starke Spezialtruppe greift militante | |
> Islamisten in der Millionenstadt Kano an. Eine deutsche Geisel, die | |
> befreit werden sollte, wird dabei umgebracht. | |
Bild: Die Beteiligung Al-Qaidas an der Entführung des Deutschen ist unklar. Gr… | |
COTONOU taz | Er sollte gerettet werden, aber er starb. Vier Monate nach | |
der Entführung eines deutschen Ingenieurs in der nordnigerianischen | |
Millionenstadt Kano wollte die Joint Task Force (JTF), eine Spezialeinheit | |
von Polizei und Militär mit mitunter zweifelhaftem Ruf, ihn am | |
Donnerstagmorgen aus seiner Geiselhaft befreien. Die Kidnapper kamen der | |
Spezialtruppe zuvor und brachten ihr Opfer um. Das bestätigen mehrere | |
lokale Medien, nicht aber die deutsche Bundesregierung. | |
Bis zum Nachmittag soll es außerdem zu vereinzelten Schusswechseln gekommen | |
sein. Mehrere hundert Soldaten seien an der Operation beteiligt, hieß es; | |
mehrere mutmaßliche Geiselnehmer sollen getötet worden sein. | |
Die Hintergründe der Entführung des Mitarbeiters der deutschen Baufirma | |
Bilfinger & Berger am 26. Januar, wenige Tage nach einer Serie besonders | |
blutiger Angriffe der islamistischen Sekte Boko Haram in Kano, bleiben | |
derweil im Dunkeln. Es ist gut möglich, dass der nordafrikanische | |
Al-Qaida-Ableger AQMI (Al-Qaida im Islamischen Maghreb) hinter der | |
Entführung steckt. Vor gut zwei Monaten hatte die Gruppe per | |
Video-Botschaft verkündet, der Ingenieur sei in ihrer Gewalt. Mit der | |
Entführung wolle man eine in Deutschland inhaftierte Frau freipressen, | |
deren Mann Mitglied der islamistischen Terrorzelle „Sauerland-Gruppe“ sei. | |
Kurz darauf hatte die Polizei in Kano fünf angebliche AQMI-Angehörige | |
festgenommen, darunter einen Mauretanier. | |
Wirklich in Erscheinung getreten war AQMI bisher in Nigeria allerdings noch | |
nie. Trotzdem wird seit einem knappen Jahr gerne darüber spekuliert, ob sie | |
Verbindungen zu Boko Haram hat. Anfangs war vermutet worden, dass sogar | |
Boko Haram selbst hinter der Entführung gesteckt haben könnte - | |
möglicherweise im AQMI-Auftrag. | |
## Verbindungen zu Al-Qaida? | |
„Es gibt einen Arm von Boko Haram, der Verbindungen zu Al-Qaida hat“, sagt | |
Faruk Dalhatu, Leiter des privaten Radiosenders „Freedom Radio“ in Kano. | |
Dass Boko Haram alleiniger Drahtzieher ist, glaubt er aber nicht. „Dafür | |
war die Tat zu anspruchsvoll.“ | |
Laut Hussaini Abdu, Leiter des Hilfswerks „ActionAid“ in Nigerias | |
Hauptstadt Abuja, könnte die Entführung viel banalere Gründe gehabt haben. | |
Es sei gut möglich, dass Kriminelle die instabile Lage genutzt hätten, um | |
aus der Entführung eines Deutschen Kapital zu schlagen. „Sobald im Norden | |
etwas passiert, heißt es immer: Das war Boko Haram. Dabei müsste die | |
Regierung viel genauer hinsehen und aufdecken, wer tatsächlich dahinter | |
steckt.“ | |
Die deutsche Botschaft in Abuja äußerte sich nicht zu dem Vorfall. Bis zum | |
Donnerstagnachmittag wollte das Auswärtige Amt in Berlin nicht bestätigen, | |
dass der Entführte tatsächlich tot sei. Der eingerichtete Krisenstab und | |
die Botschaft in Nigeria sind "mit Hochdruck um Aufklärung bemüht", sagte | |
eine Sprecherin. | |
In Nigeria ist es in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig zu | |
spektakulären Entführungen gekommen. Betroffen war allerdings hauptsächlich | |
das Nigerdelta im Südosten. Anfangs richteten sie sich gegen ausländische | |
Mitarbeiter von multinationalen Ölfirmen und galten als politisches | |
Statement. Mittlerweile sind die Entführer dort aber meist nur noch | |
Trittbrettfahrer. Kidnappings gelten als gute Einnahmequelle. Im Herbst | |
2010 wurde beispielsweise eine nigerianische Schulklasse entführt. | |
Vereinzelt ist es in der Vergangenheit ebenfalls zu Entführungsfällen im | |
Norden gekommen. „Aber auch dort drehte es sich um Geld“, so Abdu. Er | |
erinnert an einen Fall in Kaduna vor ein paar Jahren, bei dem es um Geld | |
ging. „Über Boko Haram hat dort noch niemand gesprochen.“ | |
31 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausgangssperre im Norden Nigerias: Auge um Auge, Zahn um Zahn | |
Seit den jüngsten islamistischen Anschlägen hat Gewalt zwischen Christen | |
und Muslimen über 80 Tote gefordert. Brennpunkt: die multikulturelle | |
Metropole Kaduna. | |
Religionskrieg in Nigeria: „Gewaltorgien“ nach Terroranschlägen | |
Bombenanschläge auf Christen haben Pogrome an Muslimen nach sich gezogen. | |
Die traurige Bilanz: über 50 Tote. Am Schluss musste das Militär ausrücken. | |
Nigeria steuert auf den Abgrund zu: Präsident Goodluck im Pech | |
Islamistenterror, Preiserhöhungen: Nigerias Präsident Goodluck Jonathan | |
gerät in die Kritik. Ihm wird nicht mehr zugetraut, den Terror in den Griff | |
zu bekommen. | |
Debatte Boko Haram in Nigeria: Koranfestes Kanonenfutter | |
Der islamistische Terror hilft den Reichen, die Probleme Nigerias zu | |
deckeln. Als Sündenböcke halten junge Männer her, die in die Städte kommen | |
um den Koran zu studieren. | |
Terror in Nigeria: Im Fadenkreuz der Unbekannten | |
Fast täglich werden Anschläge der mysteriösen radikal-islamistischen Sekte | |
Boko Haram verübt. Sicherheitsmaßnahmen sind allgegenwärtig und meistens | |
nutzlos. | |
Anschläge in Nigeria: Islamisten erklären den Krieg | |
Die bisher blutigste Anschlagsserie der islamistischen Gruppe "Boko Haram" | |
fordert über 160 Tote. Diesmal traf es die größte Stadt des muslimischen | |
Nordens von Nigeria. | |
Terror in Nigeria: Angst vor dem Religionskrieg | |
Nach neuen Drohungen der radikalen Islamistensekte Boko Haram bringen sich | |
Christen und Südnigerianer im Norden in Sicherheit. Manche drohen mit | |
Vergeltung. |