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# taz.de -- Randale in Athen: "Bullen, Schweine, Mörder!"
> Die Ausschreitungen nach der Zustimmung für das Sparpaket haben die
> griechische Parteienlandschaft durcheinandergewürfelt. Die Linke fordert
> Neuwahlen.
Bild: Brennede Wut: Athen nach der Abstimmung im Parlament.
ATHEN taz | Vom frühen Sonntagnachmittag an strömten die Leute auf den
Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlamentsgebäude. Der hat
Symbolcharakter: Im Sommer 2011 hatten ihn tausende Athenerinnen und
Athener in ein Protestcamp verwandelt. Die basisdemokratische "Real
Democracy"-Bewegung, die sich im Verlauf der Besetzung konsolidierte, wurde
Vorbild für "Occupy Wall Street" in New York.
Ende Juni 2011 räumte die Polizei das Camp, nachdem sie es mehrere Tage
lang mit Tränengas und Schlägertrupps malträtiert hatte. "Jetzt werden wir
einen Neustart versuchen", meinte am Sonntag eine Aktivistin der "Artist
Group of Syntagma Square". Doch dazu kam es nicht. Um 17.35 Uhr fing die
Polizei ohne erkennbaren Anlass an, Tränengasgranaten auf den vollbesetzten
Platz zu schießen.
Die Angaben der Polizei, die von 80.000 Teilnehmern sprach, ist stark
untertrieben. Die Zahl 300.000, von der Alexis Tsipras von der Linkspartei
Syriza sprach, dürfte der Realität näher kommen. Menschen aller
Altersgruppen waren auf den Straßen, die meisten davon nicht erkennbar
politisch organisiert. Bereits im Vorfeld war in Aktivistenkreisen von der
"Kakerlaken"-Strategie die Rede: Man schwor sich darauf ein, trotz der
Reizgasattacken immer wieder auf den Platz zurückzukehren.
Tatsächlich behandelt die Polizei die protestierende Bevölkerung wie
Ungeziefer: Ohne Unterlass wurden Reizgasgranaten abgefeuert. Selbst der
86-jährige Komponist, Sänger und Ex-Minister Mikis Theodorakis musste in
der Krankenstation des Parlaments behandelt werden. Er war hergekommen, um
der Debatte beizuwohnen. Der Künstler und der berühmte Antifaschist Manolis
Glezos, der während der deutschen Besatzung 1941 die Hakenkreuzfahne von
der Akropolis heruntergerissen hatte, hatten mit zum
Anti-Memorandums-Protest aufgerufen.
## Abweichler fliegen raus
Gegen Mitternacht stimmten die Abgeordneten dann endlich ab. Für den neuen
Schuldenvertrag und den freiwilligen Anleihenaustausch gegenüber den
Privatgläubigern stimmten 199 von 300 Parlamentariern. 22 Abgeordnete der
sozialdemokratischen Pasok und 21 der konservativen Nea Demokratia stimmten
gegen das Paket. Die Reaktion der Regierungsparteien folgte sofort: Alle 43
Abweichler wurden mit sofortiger Wirkung aus ihren Fraktionen
ausgeschlossen. Ebenso erging es zwei Abgeordneten der rechtsnationalen
Partei Laos - obwohl deren Chef Karatzaferis in den vergangenen Tagen
selbst gegen das Memorandum polemisiert hatte.
Mit der Abstimmung hat sich das Kräfteverhältnis im Parlament verschoben:
Rücktritte und Austrittserklärungen haben die Stärke der Regierungsparteien
deutlich verringert, die zweitstärkste Fraktion hinter der Pasok ist nun
die der fraktionslosen Abgeordneten. Nur die kommunistische KKE stimmte
geschlossen mit Nein.
Gegen 18.30 Uhr - die Debatte im Parlament war noch in vollem Gang -
drängte die Polizei die Demonstranten in die umliegenden Straßen ab. Nicht
nur die Anarchisten lieferten sich daraufhin eine Straßenschlacht mit den
Ordnungskräften - auch viele bürgerliche Demonstranten versuchten, trotz
Tränengas auf den Platz zurückzudrängen, und beschimpften die Polizisten
als "Bullen, Schweine, Mörder!".
Im Verlauf der Nacht verlagerten sich die Auseinandersetzungen in die
umliegenden Stadtteile. Gegen 22.20 Uhr begann die
Aufstandsbekämpfungseinheit MAT auch am Omonoia-Platz CS-Gas einzusetzen.
Protestierer setzten mehrere Gebäude in Brand und zerstörten die Scheiben
von Banken. Insgesamt brannten 45 Gebäude. Ruhe kehrte erst gegen 2 Uhr
morgens ein.
## Erneute Debatte über Neuwahlen
Auch in anderen Teilen Griechenlands kochte die Wut der Menschen gegen die
Parlamentarier hoch. In Thessaloniki demonstrierten Zehntausende, in der
Hafenstadt Volos stürmten Protestierer das Finanzamt und legten in den
Kellerräumen des Rathauses Feuer. Auf Rhodos besetzten Demonstranten das
Rathaus, in Iraklion, der größten Stadt auf Kreta, okkupierten sie die
Bezirksverwaltung. Auf Korfu stürmten Bürger die Büros von zwei
Abgeordneten und warfen das Mobiliar aus dem Fenster.
Nun steht Griechenland vor einer Regierungsumbildung, die die politische
Szene umkrempeln wird. Premier Lucas Papademos will wohl am Donnerstag die
durch die Fraktionsausschlüsse frei gewordenen sechs Sitze im Ministerrat
neu besetzen. Zudem beginnt die Debatte über Neuwahlen erneut. Andonis
Samaras, Vorsitzender der Nea Dimokratia, erklärte schon in der vergangenen
Woche, dass die Partei nach der Memorandums-Entscheidung Neuwahlen fordern
wird. Pasok-Pressesprecher Panos Benglitis dagegen ließ verlauten, die
Umstände erlaubten keine Wahlen.
Die linken Parteien dagegen fordern ebendas. Das politische System löse
sich auf und eine Wahl sei die einzige ratsame Lösung, hieß es aus Syriza
und Dimokratiki Aristera. Staatsminister Jiorgos Stavropoulos erklärte
dagegen, die Regierung habe das Vertrauen des Parlaments: "Lassen wir den
Ministerpräsidenten entscheiden, wann er das Land in Sicherheit zu
Neuwahlen führt."
Die Zeitung Ta Nea berichtete am Montag, Papademos prüfe verschiedene
Optionen für eine Regierungsumbildung. Darunter sei auch ein Modell, das
der Strategie des italienischen Premiers Monti entspricht: eine Regierung
aus einer kleinen, flexiblen Gruppe von "Technokraten" - so nennt man in
Griechenland während der Krise in politische Funktionen gekommene Experten,
die ihre Karriere weniger den Parteien als ihrer Wirtschafts-Expertise
verdanken.
In den griechischen Medien kursiert ein Foto aus dem Aufenthaltsraum der
Parlamentarier, das die Wut der Bevölkerung weiter anstacheln wird: Während
draußen die Ausschreitungen im Gange sind, schauen ein paar Abgeordnete
seelenruhig ein Basketballspiel im Fernsehen. Die Botschaft: Das Land geht
unter, die Hauptstadt brennt - und unsere Volksvertreter machen einfach
weiter wie immer.
13 Feb 2012
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EU-Parlament
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