# taz.de -- Griechenlands Sparkurs: "Ich bin froh, wenn ich noch Strom hab" | |
> Lebensmittel tauschen, drei Pullover in der kalten Wohnung tragen und | |
> leere Bibliotheken. Drei Griechinnen erzählen von ihrem Alltag unter dem | |
> rigiden Sparkurs der Regierung. | |
Bild: Auf dem Land werden Lebensmittel getauscht, in Athen werden Zwiebeln umso… | |
Litsa Artemis, 42, Buchhändlerin | |
Seit dem ich 18 bin, habe ich im Buchhandel gearbeitet. Als letztes in | |
einem der größten Verlage Griechenlands, der krisenbedingt einen großen | |
Teil seines Programms eingestellt hat. So bin ich seit einem Jahr | |
arbeitslos und ich frage mich, ob ich unter den gegebenen Umständen je | |
wieder arbeiten werde. | |
Das Verlagswesen ist zusammengebrochen. Es gibt nicht die geringste | |
Perspektive woanders wieder anzufangen. Und ich möchte nicht daran denken, | |
was mich für Arbeitsbedingungen erwarten, wenn ich wieder Arbeit haben | |
sollte. | |
Ich war es gewohnt Arbeitsrechte zu haben, die Überstunden abzurechnen, | |
Weihnachtsgeld, das Einhalten von kollektiven Tarifverträgen – mit dem | |
neuen Memorandum gibt es diese Dinge nicht mehr. Unter den Bedingungen des | |
Memorandums zu arbeiten ist für mich als Arbeitnehmerin eine Beleidigung. | |
Jetzt sitze ich zuhause und trage gerade drei Pullis, weil unser Haus sich | |
entschieden hat, nicht zu heizen. Ganz Athen heizt nicht mehr, wegen des | |
teueren Heizöls. Ich bin jeden Tag froh, wenn ich noch Strom habe, weil ich | |
es nicht einsehe die neue Immobilienabgabe zu zahlen. Sie wird mit der | |
Stromrechnung vom Staat eingenommen, bis zu einem Drittel der griechischen | |
Haushalte haben die Rechnung nicht gezahlt. | |
Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Über meinen Kopf schwebt stets | |
die Frage, nach Deutschland zu immigrieren. Wer hätte das gedacht, dass ich | |
das noch erlebe? Ich bin Tochter von ehemaligen Gastarbeitern in Düsseldorf | |
und bin erst mit sieben Jahren aus Deutschland nach Athen gekommen. | |
Maria Lazou, 62, Rentnerin | |
Für mich war die Lösung aus der Krise, zurück in mein Dorf auf die Insel | |
Skiathos umzuziehen. Das Leben in Athen wurde im letzten Jahr immer teuerer | |
und unerträglich. | |
Meine Rente beträgt mittlerweile 869 Euro, bei 35 Jahren Dienst als | |
Gymnasiallehrerin. Damit konnte ich mir nicht mal mehr die Grundversorgung | |
leisten, die in Griechenland ohnehin immer teuer war und nun mit den neuen | |
Steuern in die Höhe geschossen ist. | |
Nun lebe ich mit meinem Mann auf dem Land, das ich als Mitgift geerbt habe. | |
Wir bauen unser eigenes Gemüse an und genießen einen qualitativ besseren | |
Lebensstandard als in der Stadt. | |
Wir sind nicht die einzigen. Mit Freunden versuchen wir, Lebensmittel zu | |
tauschen und zu leben ohne viel einkaufen zu müssen. Jemand hat Hühner, | |
jemand anders fängt Fische mit seinem Kutter, jemand Drittes bietet guten | |
selbstgemachten Wein. | |
Strom sparen wir durch Solaranlagen, die wir Stück für Stück selbst auf | |
unseren Dächern installieren. Ich möchte nicht mehr auf die Hilfe vom Staat | |
warten, sondern selbst die Initiative übernehmen. Sogar Recycling | |
organisieren wir auf der Insel in einer freiwilligen Bürgerinitiative. | |
Ohne staatliche Zuschüsse oder Unterstützung kümmern wir uns selbst um das | |
Recycling von Plastik auf der Insel – und es läuft super, alle beteiligen | |
sich. Ich denke, es gibt einen neuen Trend zum bürgerlichem Engagement, | |
weil es notwendig geworden ist, sich am Staat vorbei zu organisieren. | |
Aliki Gerlioti, 26, Doktorantin, Juristin | |
Mein Problem ist, dass ich in Griechenland keine Möglichkeit mehr sehe, | |
meine Promotion abzuschließen. Alle Stipendienprogramme wurden abgeschafft. | |
Und mit diesen paar Hundert Euro, die ich verdiene, kann ich mich nicht | |
finanzieren. Obwohl ich bei meinen Eltern wohne, die mich mit zwei | |
mickrigen Renten aushalten müssen. | |
Ich habe mein Studium sehr gemocht, war mit der Qualität der griechischen | |
Universitäten sehr zufrieden und möchte gerne weiterforschen. Aber jetzt | |
ist die Forschung in Griechenland gestorben. | |
Die Unibibliotheken Athens sind ein Witz, es wurden alle Abonnements für | |
juristische Fachzeitschriften abbestellt, wegen der Kürzungen. Auch Bücher | |
werden keine neuen mehr angeschafft, selbst die Netzzeitschriften können | |
sie sich nicht mehr leisten. Die Bibliotheken sind veraltet, damit kann ich | |
keine erstzunehmende Promotion mehr machen. | |
Ich überlege, zu meinem Freund nach Berlin zu ziehen, der als Jurist auch | |
schon aus Thessaloniki immigriert ist. Jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, | |
habe ich ein schlechtes Gewissen, mein Land verlassen zu wollen. | |
Auf der anderen Seite spüre ich eine Erleichterung dabei. Erleichterung | |
weil ich diesem erstickenden Klima entkomme, dieser nationalen Depression, | |
die in Griechenland um sich gegriffen hat. Die Gespräche wurden | |
aufgezeichnet und übersetzt von Magarita Tsomou | |
14 Feb 2012 | |
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