# taz.de -- Wirtschaftsweiser über Griechenland: "Immer neue Sparmaßnahmen" | |
> Ökonomischer Patient Griechenland: Der Wirtschaftweise Peter Bofinger | |
> über Forderungen der Troika, griechische Anstrengungen und die Folgen für | |
> Deutschland. | |
Bild: Das griechische Parlament – fotografiert durch ein Protestbanner. | |
taz: Herr Bofinger, die Griechen einigen sich auf ein radikales | |
Sparprogramm. Die EU ist dennoch nicht zufrieden. Was muss noch kommen? | |
Peter Bofinger: Die griechische Wirtschaft befindet sich im freien Fall. | |
Das Land ist in eine schwere Depression geraten. Das Bruttoinlandsprodukt | |
ist | |
gegenüber dem Jahr 2007 um 18 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit hat | |
dramatisch zugenommen. Da die Entwicklung erheblich schlechter ist als vom | |
Internationalen Währungsfonds noch vor einem Jahr erwartet wurde, ist es | |
nicht überraschend, dass das Land seine Sparziele nicht einhalten kann. | |
Doch anstatt die Strategie grundsätzlich in Frage zu stellen, fordert die | |
Troika immer neue Sparmaßnahmen. | |
Wie bisher geht es aber auch nicht weiter. | |
Es ist unstrittig, dass Griechenland seine öffentlichen Finanzen sanieren | |
muss. Aber die Konsolidierung darf die Situation nicht zusätzlich | |
verschlechtern. Dies gilt auch für den Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit | |
über Lohnsenkungen zu verbessern. Dabei wird übersehen, dass sich | |
Griechenland nicht mit Irland vergleichen lässt. Der Anteil des | |
Außenhandels an der Wirtschaftleistung liegt in Griechenland bei etwas mehr | |
als 20 Prozent, in Irland sind es rund 90. In einer exportorientierten | |
Volkswirtschaft kurbeln Lohnsenkungen den Export an und können so die Lage | |
stabilisieren. In Griechenland hingegen verschärfen Lohnsenkungen nur die | |
deflationären Prozesse. Es wird immer weniger investiert und konsumiert. | |
Wie soll Griechenland dann gerettet werden? | |
Zunächst sollte anerkannt werden, dass die gesamte Therapie der Troika | |
gescheitert ist. Der Patient ist vor zwei Jahren auf die Intensivstation | |
gekommen und es geht ihm immer schlechter. Zum Teil mag das daran liegen, | |
dass der Patient nicht alle Tabletten genommen hat, die ihm verschrieben | |
wurden. Aber die meisten und teilweise sehr bitteren Pillen hat er tapfer | |
geschluckt. Dass sollte den Ärzten eigentlich zu denken geben. | |
Was muss also geschehen? | |
Wir brauchen einen grundlegenden Strategiewechsel. Die Implosion der | |
griechischen Wirtschaft muss gestoppt werden, da sie die | |
Verschuldungsprobleme immer weiter verschärft. Was jetzt in Griechenland | |
geschieht, widerspricht jeglicher ökonomischer Theorie. | |
Wofür plädieren Sie? | |
Die Bundesregierung und die Troika müssen akzeptieren, dass der | |
Sanierungsprozess der griechischen Wirtschaft mehrere Jahre in Anspruch | |
nehmen wird. Man sollte die bisher ergriffenen Sparmaßnahmen zunächst | |
einmal wirken lassen und sich zugleich überlegen, wie man mit EU-Hilfen die | |
notwendigen Wachstumsimpulse geben kann. Das erfordert, dass die EU für die | |
nächsten drei Jahre die griechischen Haushaltsdefizite finanzieren muss. | |
Gleichzeitig sollten die Anstrengungen, die Steuereffizienz zu erhöhen noch | |
verstärkt werden, dafür könnte man ebenfalls EU-Hilfen heranziehen. Zudem | |
sollte man sich darüber Gedanken machen, wie man die wohlhabenden Griechen | |
noch mehr an der Finanzierung des Staates beteiligen kann. Neben einem | |
Spitzensteuersatz von 56 Prozent, wie wir ihn in Deutschland nach der | |
Einheit hatten, denke ich an das Modell des Lastenausgleichs, der in der | |
Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg eingeführt wurde. Wer ein hohes | |
Vermögen hatte, wurde zu einer 50-prozentigen Vermögensabgabe herangezogen, | |
die über 30 Jahre in Raten abgezahlt werden musste. Ich sehe auch ein, dass | |
die Mindestlöhne gesenkt werden müssen, aber auch das sollte man zeitlich | |
strecken. | |
Scheitert Griechenlands Rettung, scheitert dann der Euro? | |
Das Risiko ist hoch, dass eine unkontrollierte Insolvenz Griechenlands zum | |
Austritt des Landes aus der Währungsunion führen würde und dass sich daraus | |
eine unkontrollierte Kettenreaktion für den gesamten Euroraum ergeben | |
könnte. Die Märkte haben sich bereits auf Portugal als nächsten Kandidaten | |
eingeschossen. Und wenn sich die für dieses Jahr prognostizierte Rezession | |
in Italien und Spanien noch verschärfen sollte, könnte sich ein | |
Flächenbrand für den gesamten Euroraum entwickeln. | |
Mitten im kriselnden Euroraum scheint Deutschland eine Insel der | |
Glückseligen zu sein. Offensichtlich läuft hier einiges richtig. | |
Kaum jemand hat bemerkt, dass der Anteil der Arbeitseinkommen am | |
Volkseinkommen seit dem Jahr 2007 wieder deutlich gestiegen ist. Die | |
extreme Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer, die in der Phase von 2000 | |
bis 2007 erfolgte, ist damit zum Teil kompensiert worden. Das hat die | |
Binnennachfrage erheblich gestärkt, sie ist für rund zwei Drittel der | |
Expansion der beiden letzten Jahre verantwortlich. In den jetzt anstehenden | |
Lohnrunden muss diese Strategie konsequent weiter verfolgt werden, nicht | |
zuletzt weil die die aktuellen Zahlen zeigen, dass sich die Abschwächung im | |
Euroraum mittlerweile auch bei unserer Industrie bemerkbar macht. Die | |
deutsche Wirtschaft befindet sich bereits in einer leichten Rezession. | |
Und dann soll Deutschland für andere Länder einstehen? | |
Wir müssen uns fragen, was langfristig am meisten kostet. Ein Zusammenbruch | |
des Euroraums ist für Deutschland die teuerste Lösung. Denn das bedeutete | |
hierzulande nicht nur eine schwere Rezession, sondern auch massive Verluste | |
unserer Banken und Versicherungen aus ihren Finanzanlagen im Euroraum. Und | |
wenn über ein Ende mit Schrecken für Griechenland philosophiert wird, | |
sollte man bedenken, dass es auch nach einem eventuellen Austritt aus dem | |
Euroraum verlässt, ein Mitglied der EU bleiben würde. Die Europäische | |
Gemeinschaft wird nicht zulassen können, dass in Griechenland die Anarchie | |
ausbricht. Deshalb ist es besser jetzt richtig zu helfen als das ganze | |
System gegen die Wand zu fahren, was dann letztlich noch teurer werden | |
könnte. | |
12 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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