# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Klima der Einschüchterung | |
> In der Türkei wird die Lage der Journalisten immer schlechter. Kurden | |
> sind die Hauptbetroffenen. Das zeigt exemplarisch die Verfolgung des | |
> Verlegers Zarakolu. | |
Bild: Der türkische Verleger Ragip Zarakolu 1998 auf der Frankfurter Buchmesse. | |
ISTANBUL taz | Die Kritik an der Unterdrückung der Presse- und | |
Meinungsfreiheit in der Türkei wird immer lauter. Während Paul Auster sich | |
anlässlich der Veröffentlichung seines letzten Buches in der Türkei | |
weigerte, nach Istanbul zu kommen, "weil ich kein Land besuche, in dem über | |
100 Journalisten im Gefängnis sitzen", stufte nun auch "Reporter ohne | |
Grenzen" die Türkei in ihrem jährlichen Presseranking für 2011 auf den 148. | |
Platz ab. | |
"Die beispiellos große Anzahl von Verhaftungen, sehr viele | |
Telefonabhörungen und die Missachtung der Geheimhaltung journalistischer | |
Quellen haben in den Medien ein Klima der Einschüchterung und Selbstzensur | |
geschaffen", hieß es in der Bilanz. | |
Einer, der den Verhaftungswellen des letzten Jahres zum Opfer fiel, ist der | |
Verleger, Publizist und Menschenrechtler Ragip Zarakolu. Der 64-jährige | |
Verleger wurde am 1. November letzten Jahres verhaftet, sitzt seitdem in | |
Untersuchungshaft und weiß immer noch nicht, was ihm eigentlich vorgeworfen | |
wird. | |
Er ist einer von hunderten Verhafteten im sogenannten KCK-Verfahren. Dieses | |
von Sonderermittlern der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft betriebene Vorgehen | |
soll angebliche Sympathisanten der kurdischen PKK-Guerilla, die im Auftrag | |
der PKK den Staat unterminieren, aufdecken und unschädlich machen. Tausende | |
Kurden sind von diesem Verfahren betroffen, aber auch immer mehr | |
Intellektuelle und Journalisten, die im Verdacht stehen, kurdische | |
Autonomiebestrebungen zu unterstützen. | |
## Nicht eingeschüchtert | |
Als Gründer des Belge-Verlages hat Ragip Zarakolu seit 1977 immer wieder | |
Bücher publiziert, die für den Staatsschutz Propaganda für kurdischen | |
Separatismus waren. Weil kurdische Zeitungen ständig vom Verbot bedroht | |
sind, hat er sich schon in den 1990ern mehrfach als Herausgeber zur | |
Verfügung gestellt und war deshalb immer wieder mit Verfahren überzogen | |
worden. Doch Zarakolu hat sich nie einschüchtern lassen. | |
Jetzt haben seine Anwälte ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof | |
für Menschenrechte angestrengt, in dem sie die willkürliche | |
Untersuchungshaft und die Behinderung der Verteidigung beklagen. Sollten | |
sie Erfolg haben, hätte das Signalwirkung für viele andere inhaftierte | |
Journalisten, die weniger prominent sind als Zarakolu. | |
## Friedensnobelpreis 2012? | |
Außerhalb der Türkei ist Zarakolu vor allem in Skandinavien ein bekannter | |
Name. Er hat den Preis für Meinungsfreiheit der Union norwegischer | |
Schriftsteller bekommen und wurde 2003 vom norwegischen Kulturministerium | |
für seinen Einsatz für die Pressefreiheit ausgezeichnet. Jetzt haben sieben | |
Abgeordnete des schwedischen Parlaments das Nobelpreiskomitee aufgefordert, | |
Zarakolu als "weltweit bekanntes Symbol der Meinungs- und Pressefreiheit" | |
für den Friedensnobelpreis 2012 zu nominieren. | |
Dünnhäutig reagierte vor allem der türkische Ministerpräsident Tayyip | |
Erdogan. In einer wütenden Replik beschuldigte er den Autor Auster, mit | |
zweierlei Maßstäben zu messen, weil er keine Bedenken habe, Israel zu | |
besuchen, die Türkei aber verurteile. | |
In der letzten Woche hat die Regierung nun doch ein Reformpaket ins | |
Parlament eingebracht, mit dem sie der internationalen Kritik Rechnung | |
tragen will. Doch die Vertreterin von Human Rights Watch in der Türkei, | |
Emma Sinclair-Webb, hält das Vorhaben für nicht viel mehr als | |
"Augenwischerei". "Wenn die Regierung in ihrem Bemühen um Pressefreiheit | |
wirklich seriös wäre", sagte sie, "hätte sie die Gummiparagrafen im | |
Anti-Terror-Gesetz ändern müssen und nur noch wirkliche Aufrufe zur Gewalt | |
unter Strafe stellen dürfen." | |
So sieht es nicht danach aus, als würde sich die Situation von | |
Journalisten, Verlegern und kritischen Intellektuellen bald zum Besseren | |
wenden. | |
15 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Israel | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
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