# taz.de -- Wahlen im Senegal: Hände weg von meinem Tisch | |
> Makaila Nguebla bloggt für den Wandel. Tambê Saër verkauft Krimskrams. | |
> Zwei Lebensperspektiven kollidieren, während sich der politische Streit | |
> in Senegal zuspitzt. | |
Bild: In Dakar regt sich Widerstand gegen die dritte Kandidatur von Präsident … | |
DAKAR taz | Makaila Nguebla ist stolz: Fünf Einträge hat er heute schon in | |
seinen Blog gestellt. Vielleicht schafft er noch mehr, etwa nach der | |
Demonstration, die am späten Nachmittag im Zentrum Dakars stattfinden soll. | |
So kurz vor den Wahlen am 26. Februar gehören die Proteste zum täglichen | |
Pflichtprogramm. "Als Blogger sind wir wichtige Beobachter. Wir sind | |
überall dort, wo etwas passiert, und informieren die Welt", sagt Nguebla. | |
Er sitzt im kleinen Garten der Afrikanischen Vereinigung zur Verteidigung | |
der Menschenrechte (RADDHO). Mit dem kleinen Pavillon in der Mitte ist es | |
eine einladende Begegnungsstätte. Auf den Knien den Laptop balancierend, | |
schaut sich Nguebla an, wie viele Menschen heute seinen Blog aufgerufen | |
haben. Am Vormittag hat er seine Leser über die momentane Stimmung im | |
Senegal informiert und außerdem zwei Beiträge über den Tschad und Libyen | |
online gestellt. | |
Auf dem Gesicht des Bloggers macht sich ein Lächeln breit. "Viele wissen | |
gar nicht, wie produktiv ich bin", sagt er und zieht seine Strickjacke aus. | |
Die Mittagssonne brennt. Seit mehr als vier Jahren bloggt Makaila Nguebla. | |
Geld verdient er bis heute nicht damit. Schade sei das natürlich. Aber | |
vielleicht entdecke ihn ja eine europäische Zeitung, die ihn als | |
Korrespondenten einstellt. Doch dafür hätte er im Moment gar keine Zeit. Er | |
ist Wächter der Demokratie - in Vollzeit. | |
Aus dem Konferenzraum dringt Gelächter: Besucher informieren sich bei | |
RADDHO über die politische Lage im Land; Menschenrechtsaktivisten treffen | |
sich, um Projekte vorzubereiten. Makaila Nguebla genießt diese Atmosphäre, | |
hier wird gemeinsam für den Senegal gekämpft. | |
## Dreiste dritte Kandidatur | |
Der Blogger klappt seinen Laptop zu und spricht über das, was im Moment | |
wohl jeden Senegalesen beschäftigt. Präsident Abdoulaye Wade besitzt die | |
Dreistigkeit, zum dritten Mal für das höchste Amt im Staat zu kandidieren, | |
obwohl die Verfassung eigentlich nur zwei Amtsperioden zulässt. Wade beruft | |
sich auf die alte Version, die bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 galt und | |
keine zeitliche Beschränkung vorsieht. | |
"Deshalb gehen die Menschen auf die Straße. Deshalb ist die Lage im Senegal | |
so schwierig", sagt Makaila Nguebla. Was es für viele noch schlimmer macht: | |
Das Verfassungsgericht bestätigte Wades Auslegung Ende Januar. Blogger | |
Nguebla sieht darin einen klaren Fall von Amtsmissbrauch. Doch der | |
Präsident lächelt siegessicher von den überdimensionalen Wahlplakaten und | |
stellt sich stur. | |
Dabei schlägt ihm überall in Dakar Wind entgegen. "Seine Kandidatur ist | |
unser Problem", erklärt Alioune Tine, Präsident von RADDOH. Vor Tines Büro | |
hat sich eine Schlange gebildet. Jeder möchte ihn sprechen, jeder ist | |
bereit, auf ihn zu warten. Das Handy des Hochschulprofessors steht nicht | |
still. Ein Mitarbeiter wimmelt die Anrufe ab. "Monsieur Tine ist gerade in | |
einer Besprechung." | |
Vor 22 Jahren hat Tine RADDHO gegründet. Die Nichtregierungsorganisation | |
arbeitet in mehreren afrikanischen Ländern und genießt dank Tine den Ruf, | |
unabhängig und kritisch zu sein. Jetzt wirkt der Vordenker aus dem Senegal | |
müde. Er streicht sich über den Bauch. Die vergangenen Tage waren | |
anstrengend. Trotzdem zeigt er ein freundliches, verständnisvolles Lächeln. | |
## Für die Demokratisierung wichtig | |
Dann wird er ernst. Er spricht von Abdoulaye Wade, der im Jahr 1978 zum | |
ersten Mal Präsident werden wollte, aber gegen den großen Staatsmann | |
Léopold Sédar Senghor verlor. "Wade ist mittlerweile wohl der älteste | |
Präsidentschaftskandidat auf der Welt", sagt Tine. Trotz der Kritik bleibt | |
Tine fair: "Wade hat viele Dinge angestoßen, die für die Demokratisierung | |
wichtig waren. Würde er nicht auf die dritte Amtszeit pochen, hätte er zum | |
Helden werden können." | |
Stattdessen haben sich wütende Jugendliche und senegalesische | |
Intellektuelle gegen ihn gewandt. Zusammengeschlossen haben sie sich in der | |
Bewegung M23, die sich nach dem Volksaufstand am 23. Juni 2011 gründete. An | |
jenem Tag wollte Wade weitere Verfassungsänderungen durchpeitschen, doch | |
die Proteste waren so massiv, dass der Versuch scheiterte. | |
M23 ist ein Zusammenschluss aus Organisationen der Zivilgesellschaft, | |
prominenten Einzelpersonen und politischen Parteien. "Ein Spiegel der | |
Gesellschaft", sagt Arona Sy von M23. Was alle eint, ist das Ziel, Wade | |
endlich loszuwerden. Täglich gibt es Demonstrationen im Zentrum Dakars, in | |
der Regel ohne Genehmigung. Mitunter sind nur ein paar hundert Menschen | |
überhaupt dabei, doch in der Presse wirkt es so, als sei das halbe Land auf | |
den Beinen. | |
M23 spiegelt die komplette Zivilgesellschaft, schwärmt Arona Sy. Zu der | |
Bewegung gehören auch die übrigen Präsidentschaftskandidaten, die zwar alle | |
ihren eigenen Wahlkampf machen, sich aber im Moment noch als vereinte | |
Opposition präsentieren. Doch wie ihr Zusammenhalt nach Sonntag aussehen | |
und wer dann mit wem koalieren könnte, lässt sich kaum vorhersagen. | |
## | |
Alioune Tine wird nicht mitmischen. "Er hat keine Ambitionen auf das Amt", | |
sagt Ismaila Madior Fall, Professor für Rechts- und Politikwissenschaften | |
an der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar. Tine sei ein Humanist und | |
setze sich für Menschenrechte ein. Besonders interessant ist für den | |
Rechtswissenschaftler die Frage, wie sich "M23 weiterentwickelt. "Ich habe | |
den Eindruck, die Bewegung überlebt den Wahlsonntag. Sie wird populärer." | |
Trotzdem sind es vor allem die Intellektuellen, die ins RADDHO-Büro kommen, | |
über die Zukunft ihres Landes und juristische Feinheiten diskutieren. | |
## Vor allem die Intellektuellen diskutieren | |
Tambê Saër hat für M23 nichts übrig. Er steht an einer belebten Kreuzung | |
mitten in Plateau, dem politischen und wirtschaftlichen Zentrum Dakars. Die | |
Autos rauschen vorbei, und um ihn herum haben sich gut 30 junge Männer | |
geschart. Auch sie diskutieren lautstark. Wer die Männer danach fragt, wo | |
an diesem Nachmittag die Demonstration stattfindet, kriegt eine barsche | |
Antwort. "Irgendwo da hinten", zischt einer und zeigt dorthin, woher aus | |
ihrer Sicht schon seit Wochen das Unheil kommt. | |
Tambê Saër steht fast regungslos dar und kneift die Augen zusammen. Sein | |
Gesichtsausdruck verfinstert sich. Die schwarze Jacke, die er trägt, lässt | |
ihn noch ernster wirken. Warum er all diesen Missmut, diese Wut ausstrahlt, | |
ist auf dem Stück Stoff zu lesen, das er den Passanten entgegenstreckt. | |
"Touche pas ma table" - "Hände weg von meinem Tisch" - hat er mit einem | |
dicken, roten Filzstift daraufgeschrieben. Die Menschen laufen vorbei, | |
niemand schenkt dem ernsten Mann Beachtung. | |
Dabei geht es um seinen Tisch - und um sein Leben. "Jetzt haben wir schon | |
seit knapp drei Wochen ständig Demonstrationen", flucht Tambê Saër. Vor | |
lauter Aufregung stottert er ein bisschen. Er arbeitet - mitten in Plateau | |
- als fliegender Händler und verkauft auf einem Holztisch Kleinigkeiten: | |
Zigaretten, Papiertaschentücher, Kugelschreiber, Süßigkeiten und Kaugummis. | |
Eigentlich. Denn seitdem die Gegner von Wade täglich durch das Viertel | |
ziehen, ist das Arbeiten für ihn und seine Kollegen so gut wie unmöglich | |
geworden. | |
Ganz besonders schlimm war die letzte Woche. Die M23 rief zwar zu | |
friedlichen Veranstaltungen auf. Trotzdem eskalierte die Lage fast jeden | |
Abend. Dann setzten die Polizisten Tränengas und mitunter Wasserwerfer ein. | |
Die Demonstranten revanchierten sich, warfen Steine und zündeten überall | |
kleine Feuer an. Besonders gut brannten die Tische der fliegenden Händler. | |
## Persönliche Demo gegen die Demonstationen | |
Durch wütende Demonstranten hat auch Tambê Saër seinen eingebüßt. "Was soll | |
ich jetzt machen? Ein neuer kostet mich 20.000 Cefa. So viel Geld habe ich | |
doch nie im Leben", sagt er verzweifelt. Sein letzter Ausweg ist seine ganz | |
persönliche Demonstration gegen die Demonstrationen. "Sie sollen endlich | |
die Tische in Ruhe lassen. Dann können sie so viel demonstrieren, wie sie | |
wollen." | |
Wenn Blogger Makaila Nguebla das hören könnte, würde er ungläubig mit dem | |
Kopf schütteln. Die Demos und der Protest sind zu seinem Leben geworden. | |
Und genau dorthin will er jetzt. Sein Blog braucht neue Informationen. "Es | |
gibt so viele tunesische oder ägyptische Blogger. Und jetzt auch | |
afrikanische", sagt er und fährt seinen Laptop runter. Er spielt auf das | |
an, was ihm schmeichelt. Im Senegal weht ein Hauch von Frühling - von | |
afrikanischem Frühling. Als Blogger ist er mittendrin. | |
24 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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