| # taz.de -- Neue Bücher zur Buchmesse: Und später die Muße | |
| > Zuletzt schrieb er über das Böse und den Sinn des Lebens. Nun erklärt der | |
| > britische Marxist Terry Eagleton, warum Marx wichtig ist – für Demokratie | |
| > und Freiheit. | |
| Bild: Eagleton meint, Marx sehe Klasse „als Vermögen, zum eigenen Vorteil Ma… | |
| So manchem, der unter plötzlichem Linksdrall gegen gierige Banker wettert, | |
| möchte man empfehlen, sich lieber auf Papst Benedikt als auf Karl Marx zu | |
| berufen. Marx ist der neue Gewährsmann einer modischen Kapitalismuskritik, | |
| die häufig bloß nach individuellen Verfehlungen fragt. | |
| Fest steht, so Terry Eagleton in seinem neuen Buch, wenn die Leute das Wort | |
| Kapitalismus überhaupt in den Mund nehmen, ist das ein Zeichen dafür, dass | |
| er in Schwierigkeiten steckt. | |
| Terry Eagleton, britischer Literaturtheoretiker, Marxist und Katholik, hat | |
| eine Verteidigungsschrift für Marx geschrieben. „Warum Marx recht hat“ | |
| heißt sie schlicht. In zehn Kapiteln formuliert er die populärsten | |
| Vorwürfe, um sie anschließend mit Marx zu widerlegen. Das macht er wie in | |
| all seinen Büchern eloquent und humorvoll. Wenn auch die großzügig | |
| gestreuten Witzeleien immer mehr die eines routinierten Professors vor | |
| Proseminaristen sind. | |
| Der Grundgedanke von Marx, der Eagleton Triebkraft gibt, ist der, dass das | |
| Seiende immer ein von Menschen Gemachtes und jedes Sein ein geschichtliches | |
| Sein ist. Davon ausgehend, räumt Eagleton den Begriffen Demokratie und | |
| Selbstbestimmung einen zentralen Stellenwert ein. Marx ersetzte das passive | |
| Subjekt der Materialisten des 18. Jahrhunderts und fand „eine ganz eigene | |
| Spielart des Materialismus“, eine demokratische, so Eagleton, die das | |
| handelnde Subjekt privilegierte. | |
| ## Unterschiedliche Bedürfnisse in gleicher Weise berücksichtigen | |
| Mit Marx von Demokratie und Freiheit zu sprechen, heißt, dass „die freie | |
| Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ sein | |
| muss. Das allein markiert jedoch noch keine Differenz zur liberalen | |
| Tradition. Individuelle Freiheit steht immer in einem Verhältnis zu anderen | |
| Werten, wie etwa dem der Gleichheit. | |
| Spätestens an diesem Punkt trennen sich liberaler und marxistischer | |
| Freiheitsbegriff, und Eagleton stellt zu Recht heraus, dass der | |
| Abstraktionsgrad der liberalen Freiheit die Trennung in formale Gleichheit | |
| und reale Ungleichheit zulässt: „Marx sah darin die Übertragung dessen, was | |
| er den Tauschwert nannte – eine Ware wird in ihrem Wert dem der anderen | |
| angeglichen – auf die politische Sphäre.“ Demgegenüber gehe es weniger | |
| darum, alle unterschiedslos zu behandeln, sondern unterschiedliche | |
| Bedürfnisse in gleicher Weise zu berücksichtigen. | |
| Spricht Eagelton von Selbstbestimmung, so hat er vor allem den frühen Marx | |
| und die Pariser Manuskripte vor Augen. Um Selbstbestimmung zu praktizieren, | |
| bedarf es des Übergangs von einem Reich der Notwendigkeit zu dem der | |
| Freiheit, des Übergangs von der Arbeit zur Muße, wie Eagleton das im | |
| Anschluss an Marx formuliert. | |
| Hier betont er immer wieder, dass Marx ein großer Bewunderer des | |
| Kapitalismus war, habe er doch etwa die Akkumulation von Reichtum sowie die | |
| Achtung der bürgerlichen und demokratischen Rechte gelobt. Ein Aspekt, den | |
| Hannah Arendt mal zur Behauptung bewogen hat, Marx habe im „Kommunistischen | |
| Manifest (1848) das größte Loblied auf den Kapitalismus gesungen, das ihr | |
| je untergekommen sei. | |
| ## Desaströs und emanzipativ | |
| Marx hat tatsächlich immer den Doppelcharakter des Kapitalismus als | |
| einerseits desaströse, andererseits jedoch emanzipative Kraft gesehen, weil | |
| er die Voraussetzung für die Beseitigung von Mangel geschaffen habe. | |
| Davon ausgehend wünschte man sich eine zeitgemäßere Auseinandersetzung mit | |
| der Marx’schen Theorie. Eine, die fragte, wie kapitalistische Produktion | |
| heute organisiert ist und welche Möglichkeiten für eine andere Ordnung sie | |
| eröffnet, eine, wie Antonio Negri sagen würde, „die auf dem Gemeinsamen | |
| beruht“. Eagleton erwähnt zwar die Marx’sche Stelle aus den „Grundrissen | |
| der Kritik der Politischen Ökonomie“ (1859), in der dieser die zunehmend | |
| hegemoniale Rolle gesellschaftlichen Wissens als Produktivkraft | |
| vorwegnimmt, begnügt sich jedoch damit, die Etablierung einer | |
| Informationsgesellschaft zu benennen. | |
| Immerhin nimmt Eagleton sie dafür her, um den Klassenbegriff bei Marx zu | |
| erklären und den Mythos zu verwerfen, Marx habe stets nur männliche, weiße | |
| Industriearbeiter gemeint, wenn er von der Arbeiterklasse gesprochen habe: | |
| Klasse ist nicht bloß eine Frage „abstrakter gesetzlicher | |
| Eigentumsverhältnisse, sondern das Vermögen, zum eigenen Vorteil Macht über | |
| andere auszuüben“. | |
| So stellt Eagleton vieles richtig und gibt eine gute Einführung ins | |
| Marx’sche Werk. Des Autors heimlicher Arbeitstitel war womöglich Demokratie | |
| und Freiheit. Der ist plausibel, weil er auch die banalsten | |
| realsozialistischen Verfehlungen oder Errungenschaften ins Verhältnis zu | |
| Marx setzt. Eagleton möchte eine mögliche kommunistische Gesellschaft | |
| verteidigen. Marx als Werkzeugkiste zu benutzen wäre interessanter gewesen, | |
| als ihn gegen die Häresie ins gute Licht zu setzen. | |
| 15 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Tania Martini | |
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