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# taz.de -- Buchautorin Carolin Emcke: "Ich will mich nicht verkleiden müssen"
> Carolin Emcke hat ein kluges und gänzlich unkitschiges Buch über das
> Begehren geschrieben. Es handelt streng genommen von nichts als dem guten
> Leben.
Bild: Carolin Emcke – hier während einer Lesung in Köln – wird auf dem ta…
Um die nicht besonders überraschende Pointe vorwegzunehmen: Wer, wenn nicht
sie, hätte so ein Buch schreiben sollen? Carolin Emcke steht nicht in
Gefahr, unter KollegInnen als Autorin über Nischenkulturelles verrufen zu
werden.
Diese Journalistin, Jahrgang 1967, hat über die RAF geschrieben, erhielt
für ihren erhellenden Essay über „Liberalen Rassismus“ vor zwei Jahren den
Otto-Brenner-Preis für Kritischen Journalismus, für das Buch „Von den
Kriegen“ eine Auszeichnung der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie den
Theodor-Wolff-Preis vor vier Jahren.
Und jetzt steht sie mit „Wie wir begehren“ in der Arena, etwa für den Preis
der Leipziger Buchmesse auf der Vorschlagsliste. Für eine sehr persönliche
Geschichte, die sich um Lesbisches, Schwules, Anderssexuelles dreht. Und
zwar ganz und gar explizit, nicht zwischen die Zeilen gepackt.
Nein, Carolin Emcke kann es sich leisten, über Begehren zu schreiben, über
ihr Begehren. Es ist ihre Geschichte, und zugleich – hat man das Buch
gelesen – darf man wissen, dass es eine von Millionen ist. Sie werden sich
wiedererkennen und diese ultragenaue Sprache auf den gut 250 Seiten lieben.
Ein Coming-out-Traktat ist es trotzdem nicht. Wie könnte dies auch sein?,
fragt Carolin Emcke. Versteckt, sozusagen als selbst verheimlichte
Homosexuelle lebt sie nicht.
## Keine Geständnisliteratur
„Das wäre ein Missverständnis“, sagt sie beim Gespräch in einem Kreuzber…
Café, „das ist keine Geständnisliteratur, ich muss mich ja nicht mehr
outen.“ Sie nennt ihr Buch eine „Coming-of-Age-Geschichte, sie erzählt vom
Erwachsenwerden und stellt zugleich die Frage, was das eigentlich heißen
soll“. Gut formuliert, Carolin Emcke, aber nüchterner gesprochen darf man
sagen, dass ihre Geschichte angenehm typisch geraten ist. Besser: von dem
berichtet, was viele andere kennen.
Eine Kindheit, eine Jugend, in der Schwules, Lesbisches nicht existiert;
dass eine Frau eine Frau begehrt, ein Mann einen Mann wird traditionell
beschwiegen oder verwitzelt oder mit gehässigen Worten verworfen. „Man
bleibt immer unsichtbar, normalerweise“, sagt sie, was auch bedeutet: Wird
das Homosexuelle nicht selbst von schwulen Männern oder lesbischen Frauen
thematisiert, bleibt es stumm – die gewöhnliche Erwartung wird auf
Heterosexuelles gesetzt.
Sie hat sich nie verhuscht gemacht. Emcke war als Reporterin in vielen
Teilen der Welt, in denen schwule Männer und lesbische Frauen des Todes
sind. Aber deshalb schweigen? „Im Ausland meine Homosexualität zu
verbergen, hat gelegentlich auch mit Selbstschutz zu tun. Aber ich merke
auch dort, dass mich dieses Verschweigen umtreibt. Ich will mich nicht
verkleiden müssen. Masken mochte ich schon als Kind nicht.“ Aus diesen
Sätzen klingt eine sattelfeste Coolness, eine gute Selbstkenntnis – und
Courage allenthalben, sich nicht einreden zu lassen, dass beschämend sein
könnte, wer sie ist.
Aber all das klingt, gemessen an ihrem Buch selbst, wie das Übliche zum
Thema. Die Entdeckung der eigenen Homosexualität als biografische Tragödie
– Emcke aber besteht auf anderes: „Es gibt diese Geschichten, die sich
entlang der Unterdrückung und des Leids erzählen. Nicht, dass das nicht
stimmte, das ist gar nicht zu bestreiten. Aber mir war es wichtig, neben
all dem schweren auch eine positive Geschichte zu erzählen.“ In der Tat,
das gelingt ihr bestechend. Ihre Entdeckung, in einem gewissen Sinne sehr
anders zu sein als die anderen, dauert viele Jahre, sie birgt sie in ihren
mittleren Zwanzigern.
## Filigrane Suchbewegungen
Dass sie jedoch, was ihr Begehren anbetrifft, nicht so tickt wie das Gros
ihrer Freunde und Bekannten, ahnt sie erst nach und nach. Ihr Lebensroman
kreist um Handball, um Jungs, um Verschwinden im Wald nach der Schule, in
filigranen Suchbewegungen – und um Musik, um Modulationen. Vor allem jedoch
um Glück, um die Liebe.
Carolin Emcke betont gerade diesen Punkt, um ihre Distanz zu
katastrophenseligen Geschichten zu wahren. Als Frau eine Frau zu begehren,
sie zu lieben, in ihren Körper hinein und wieder hinaus, sie wirklich zu
wollen – darauf komme es an. „Du musst aufwachen können mit diesem Begehren
und das Gefühl haben, ein Versprechen von Glück, von Erfüllung, Lust vor
dir zu haben.“
Und eben nicht, so ließe sich fortsetzen, in traditioneller Manier, mit dem
Coming-out nichts als einen Berg Probleme vor sich zu haben. Emcke, das ist
das Privileg ihrer Generation, ist gewiss mit beredtem oder verklemmtem
Nichtsprechen über das Thema Homosexualität aufgewachsen, aber nicht mit
Paragrafen aus der Nazizeit und einer Mentalität der Bekämpfung und
Verfolgung.
## Keine traumatisierende Entdeckung
Insofern ist „Wie wir begehren“ auch ein poetisches Buch über eine
vielleicht irritierende, aber nicht traumatisierende Entdeckung – diese
Lust am Sexuellen am eigenen Geschlecht. Trotzige Posen liest man so nicht
heraus, sie fehlen, weil der Autorin diese Art von Bekenntnis fremd ist.
Scham? „Schambesetzt sind Passagen in der Erzählung – aber nicht die Sorte
Scham, die man fühlt, wenn man etwas über die eigene Art zu lieben
enthüllt. Sondern die Sorte Scham, die man fühlt, wenn man sich nicht gut
benommen hat.“
Genug wichtige Statements von ihr eingesammelt. Möglicherweise gilt für ihr
Buch vor allem dies: eine warmherzige, durchweg unkitschige Geschichte, wie
es sie bisher nicht gab.
10 Mar 2012
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
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