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# taz.de -- Buch über Mord an Jürgen Ponto: Verantwortung übernehmen
> Julia Albrecht und Corinna Ponto haben ein Buch über den Mord an Jürgen
> Ponto verfasst: "Patentöchter. Im Schatten der RAF". Eine Begegnung.
Bild: Schweigemarsch durch die Frankfurter Innenstadt 1977: 3.000 Bankangestell…
Das letzte Mal, dass das Berliner Ensemble im Zusammenhang mit dem Thema
Rote Armee Fraktion in die Schlagzeilen geriet, ist doch schon eine ganze
Weile her.
Es war im November 2008, als der Intendant des Theaters am Schiffbauerdamm
dem RAF-Gefangenen Christian Klar nach dessen Haftentlassung einen
Praktikumsplatz anbot. Politiker und allen voran die Springer-Presse
tobten. Im Januar 2009 verzichtete Klar dann auf die Hospitanz. Wegen
"sensationslüsterner Berichterstattung" und der "anhaltenden Belagerung des
BE durch Paparazzi" befürchte er Schaden für das Theater, dessen
Intendanten Claus Peymann und sich selbst, wie er mitteilen ließ.
Das Thema RAF steht am heutigen Montag erneut auf dem Spielplan des BE -
allerdings ganz ohne die große Aufregung. Julia Albrecht und Corinna Ponto
lesen aus ihrem bemerkenswerten Buch "Patentöchter. Im Schatten der RAF -
ein Dialog". Die eine ist die Tochter von Jürgen Ponto, dem
Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, der am 30. Juli 1977 in seinem
Haus in Oberursel von einem Kommando der RAF erschossen wurde; die andere
ist die Schwester von Susanne Albrecht, der Terroristin, die den Mord
mitgeplant und mitausgeführt hat.
Zum Treffen am Brandenburger Tor kommt Julia Albrecht mit dem Fahrrad. Der
Pariser Platz ist auch der Ort, an dem sich Ponto und Albrecht zum ersten
Mal trafen, der Auftakt zu einem umfangreichen Briefwechsel und für
zahlreiche Begegnungen, an deren Ende "Patentöchter" erscheint.
Es sei kein politisches Buch über die RAF, sagt Julia Albrecht, sondern
"ein sehr persönliches Buch mit großem politischen Potenzial". "Man könnte
uns fragen, warum wir das beide nicht im stillen Kämmerlein" erörtert
haben, fährt sie fort, "aber wir wären nie so weit gekommen. Außerdem war
diese Geschichte schon immer eine öffentliche. Und nur in der
Öffentlichkeit lässt sie sich bearbeiten und so auch etwas erreichen."
## "Susanne war RAF"
Dass die beiden Autorinnen tatsächlich etwas erreichen, zeigte sich auf
beeindruckende Weise am 11. April bei ihrem Auftritt in der ARD-Sendung
"Beckmann", an der auch Michael Buback und Jörg Schleyer sowie der
Filmemacher Andres Veiel ("Black Box BRD", "Wer wenn nicht wir")
teilnahmen.
Spiegel Online berichtete: "Dann sagt Veiel diesen Satz: ,Auch die Täter,
die später Monster wurden, brauchen eine Biografie, so dass man sie
verstehen kann.' Auf der anderen Seite des Tisches wird hörbar auf den
Stühlen gerutscht, Empörung scheint sich auszubreiten, schon wieder ist da
einer, der sich in die Verbrecher einfühlen will - und so die Opfer zu
Statisten der Geschichte zu degradieren droht. Empathie für die Mörder,
Apathie für die Ermordeten? Normalerweise bricht genau an solchen Stellen
der Dialog ab, bei Reinhold Beckmann aber ging er hier erst los …"
Julia Albrecht ist Jahrgang 1964. Sie hat in den vergangenen Jahren als
Journalistin und Juristin unter anderem für die taz und die
Grünen-Bundestagsfraktion gearbeitet. Man nimmt ihr ab, wenn sie erklärt,
wie schwer es ihr gefallen sei, die Schwester nicht als ein verführtes
Opfer zu sehen, sondern zu begreifen: "Susanne war nicht irgendwie und aus
Versehen RAF. Susanne war RAF."
Corinna Ponto hat Theater- und Musikwissenschaften studiert. Sie hat als
Opernsängerin gearbeitet und ist sieben Jahre älter als Julia Albrecht. In
dem Buch schildert sie der Jüngeren, wie ihre Familie vor dem RAF-Terror
ins Ausland "flüchtete". Und wie ihr "der Atem stockte", als sie bei einem
Besuch bei ihrer Mutter auf Long Island 1993 in einem US-Magazin einen
ausführlichen Bericht über die in der DDR festgenommene Susanne Albrecht zu
lesen bekam. Und dass sie heute zu der Überzeugung gelangt sei, dass der
Staatssicherheitsdienst der DDR einen immensen Einfluss auf die RAF
ausgeübt habe.
## Unfähigkeit, andere Bewertungen vorzunehmen
Wie umgehen mit der RAF und den nicht aufgeklärten Tathergängen? Die
Journalistin Carolin Emcke, (die den von der RAF ermordeten
Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen als ihren Patenonkel betrachtet) hat
in diesem Zusammenhang eine Art Forum der Aufklärung vorgeschlagen, in dem
ein Tausch stattfinden kann. Die Justiz verzichtet auf Strafverfolgung, die
Exkämpfer der RAF brechen im Gegenzug ihr Schweigen.
Ob sie sich für diese Idee erwärmen könnte? Julia Albrecht weiß es nicht so
recht: "Ob das gesellschaftliche und politische Akzeptanz fände? Ich glaube
nicht." Vor allem aber: Solange die positiven Bezugnahmen auf die Taten von
einst nicht freiwillig aufgegeben werden, so lange würde auch ein solches
Forum die Täter von einst nicht zum Sprechen bringen. Sie glaubt nicht,
dass es in erster Linie neue Strafverfahren sind, die ein Sprechen hindert.
Sondern die Unfähigkeit, andere Bewertungen vorzunehmen.
Als sie sich bei heftig böigem Wetter am Pariser Platz den Mantel zuknöpft,
sagt Julia Albrecht, sie möchte, dass endlich jene, die schweigen,
Verantwortung übernehmen. Nicht einfach so oberflächlich - zumal es so
wirke, als würden ehemalige RAF-Kader wie Karl-Heinz Dellwo sich öffentlich
in die radikale Linke hinein als Guerilleros der Siebziger inszenieren, als
Widerstandsgruppe. Das sei, so Julia Albrecht, "hochgefährlich".
Käme es nicht darauf an, eine Schuld anzuerkennen? Nein, Schuld ist für
Albrecht eine "Vokabel von viel zu moralischem Gehalt - es reiche doch
Verantwortung, eine allerdings, die die Opfer glauben können, nicht so eine
formelhaft hingeplapperte".
9 May 2011
## AUTOREN
J. Feddersen
W. Gast
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