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# taz.de -- Neue Bücher zur Buchmesse: Vergeude deinen Geist
> Er verfügt über Superkräfte: Eine Autofahrt und eine Ortsbegehung mit
> Frank Schulz, dem Autor des Schöne-Verlierer-Romans „Onno Viets und der
> Irre vom Kiez“.
Bild: Hartz VI ist die Konstante von Frank Schulz' Romanhelden.
Und dann klappt Frank Schulz, dieser große, aufrechte, ja würdevolle Mann
mit den freundlichen Augen und der Zauselfrisur, zusammen. Das heißt: Er
klappt sich zusammen und zwängt sich in seinen königsblauen Ford Ka, in
dieses Ei von einem Auto. In dieses Onnomobil, sozusagen.
Und während er dort hinfährt, wo Onno Viets, der Held seines neuen Romans,
etwas tut, was er genauso wenig kann wie alles andere – während er in die
Straße chauffiert, wo Onno Viets als selbst ernannter Privatdetektiv seine
erste Observation durchführt, da denkt man es doch. Vielleicht ist doch
viel mehr Onno Viets in Frank Schulz, als Frank Schulz je einräumen würde.
Und vielleicht hätte sich kein anderer deutscher Schriftsteller einen wie
Onno Viets ausdenken können.
Onno Viets, der alles überstrahlende Held in Frank Schulz’ Roman „Onno
Viets und der Irre vom Kiez“ – er ist ein Mann zum Verlieben. Mitte
fünfzig, Hartz IV und: Nichts, was er bislang begonnen hat, ist ihm
geglückt. Und trotzdem entzieht sich Onno Viets der rustikalen Zweiteilung
der Welt in Gewinner und Verlierer. Denn Onno Viets mag zu nichts zu
gebrauchen zu sein, einmal fällt im Roman das schöne Wort Resilienz.
Trotzdem verfügt er über Superkräfte. Zum Einen kann er gut sitzen. Zum
anderen kann er gut zuhören. Und dann ist da noch das Tischtennis, seine
Frau Edda, die so ziemlich keinem Schönheitsideal entspricht, und eine
Wohnung voller Setzkästchen und Heizkissen.
Anders gesagt: Onno Viets ist ziemlich zufrieden mit dem, was er nicht hat.
„Es könnte sein“, sagt Frank Schulz. „Ich fürchte – ja, das ist so. O…
Viets ist glücklich.“
## Reduzierte Denkzelle mit viel Tisch
„Ich habe mein Lebenswerk abgeschlossen, jetzt wollte ich mal was anderes
machen“, erklärt das Frank Schulz, bevor es in seinem Ford Ka los geht – in
seiner kargen Arbeitswohnung im siebten Stock eines Wohnturms aus den
Fünfzigern im weniger schicken Teil von Hamburg-Eimsbüttel, einer
reduzierten Denkzelle mit viel Tisch, Pinnwand und weitem Blick. Was er
damit meint? Er meint wohl, dass er sich frei geschrieben hat.
Zur Erinnerung: Onno ruht in sich. Bodo Morten dagegen, der Held der
„Hagener Trilogie“, der drei Romane also, dank derer Frank Schulz eine
ergebene Fangemeinde und namhafte Verehrer wie Wolfgang Herrndorf und
Gerhard Henschel gewann, ist ein Dörfler in der großen Stadt, der nie
aufhört, Heimweh zu haben, ein heikles, hochgebildetes Tresengenie ohne
Abschluss, ein haltloser Geisteswissenschaftler und gescheiterter
Lokalreporter, der zu viel weiß, um im Paradies wohnen bleiben zu dürfen,
und zu wenig, um wo anders anzukommen. Verschwende nicht nur deine Jugend,
vergeude auch deinen Geist: So das Credo der Zeit, in der die sogenannten
78er erwachsen wurden.
Auch Frank Schulz, das erzählt er in diesem Zusammenhang offenherzig, ist
Kind dieser Zeit. Denn auch er hatte solcherlei Schwierigkeiten: Zweiter
Bildungsweg, aber wenig Spaß beim Germanistikstudium. Lange Zeit Heimweh
nach Hagen bei Stade, ein Dorf eine Stunde westlich von Hamburg, wo er wie
sein Held Bodo aufgewachsen ist. Dann arbeitslos, ABM und Durchschlagen mit
Jobs, zuletzt als Dokumentar bei der Gala.
## Für Brotjobs zu alt
Lebt in Hamburg, seit er erwachsen ist, will aber nicht hier beerdigt
werden. Bis heute, sagt er, ist es ein existenzielles Thema für ihn, ob er
vom Schreiben wird leben können, denn inzwischen ist er Mitte Fünfzig,
Brotjobs kriegt er jetzt wohl keine mehr, das neue Buch läuft überraschend
gut, aber der Vorschuss für sein zweites Onno-Buch wird aufgebraucht sein,
bevor er anfangen kann, es zu schreiben. Und trotzdem. Die prekäre
Zerrissenheit eines Bodo Morton braucht es im Moment nicht. Es ist gerade
genug Luft zum Atmen, dass man sich einen Onno leisten kann.
Aber ist Alltagsheld Onno wirklich selbstzufrieden, hat er es sich zu
gemütlich gemacht? Manche Kritiker sehen das so. Sie überblättern den
großen biblischen Stoff, den Onno trägt. Dieses Große, die Menschenliebe,
die Herzensbildung – die schimmert bei Schulz ja immer durch. Manchmal
spiegelt es sich im Dorf, manchmal in den komplexen Schichten seines
Humors, seinem Hang zur Stimmenimitation, seiner detailversessenen
Beschreibungswut.
Und in seinem neuen Buch findet es sich auch unterm Plot, der von oben
betrachtet krimihaft vom ersten Fall des Onno Viets und vom Rotlichtmilieu
erzählt, aber drunter auf die unerklärliche Freundschaft zwischen Onno und
einem Gangster zielt, einem blutrünstigen, drogenabhängigen Schläger mit
verletztem Kinderherz, den Onno am Ende verrät.
„Der Gute ist gezwungen, das Gute im Bösen zu verraten“, bringt Frank
Schulz es in seiner Arbeitswohnung auf den Punkt. Onno Viets, der sanfte
Weiche, wird also Privatdetektiv. Sein erster Auftraggeber ist eine Art
Dieter Bohlen des Porno-TV, der den Verdacht hegt, dass seine Geliebte
fremdgeht. Schon auf dem Flughafen „verbrennt“ Onno, weil Fiona, die
Geliebte, ihn gleich anspricht.
## Eine Freundschaft von der man nichts hat
Auf Mallorca lernt Onno ihren Geliebten kennen, den Gangster. Die beiden
mögen sich spontan. Aber warum? Und warum muss Onno die Freundschaft
verkaufen? Frank Schulz weiß darauf keine schnelle, skrupellose Antwort.
Nach einem langen Blick aus dem Fenster sagt er vorsichtig: „Zuneigung ist
ein Wert an sich.“
Einmal hat er in einem Interview von der Zuneigung zu seinem Großvater
erzählt. Das war eine tiefe Liebe, denn „wir mochten uns und haben nie
etwas voneinander verlangt“, gab er damals zu Protokoll. Vielleicht ist es
das, was Onno manchmal so riesengroß erscheinen lässt. Mit einem wie ihm
befreundet zu sein, davon hat man nichts. Man mag ihn nur um seiner selbst
willen.
„Stimmt“, freut sich Frank Schulz so heftig, dass man sofort ahnt: Hier
kämpft einer viel zu sehr mit seinem Schreiben, als dass er je siegessicher
sein könnte. „Die Liebe zwischen dem Schläger und Onno, die hat etwas
Reines“, sagt er. Umso schlimmer, dass Onno sich dies zunutze macht.
## Grotesker, fassbarer Schrecken
Später, im Ford Ka, wird Frank Schulz erklären, wie schwer es ist, etwas
Reines oder Großes so zu erzählen, dass es nicht platt, sondern wirklich
rein und groß erscheint. Als er an der Alster hält und auf die Anlegestelle
zeigt, an der ganz am Anfang seines Buches etwas unvorstellbar
Schreckliches passiert, erklärt er: Hier braucht es den fremden Blick einer
Touristin, die alles filmt. So wird der Schrecken grotesk und damit auf
wundersame Weise wieder fassbar.
Dann, als Frank Schulz auf die Reeperbahn einbiegt und vorm Etablissement
Ritze hält, wo Onno zum ersten Mal dem Gangster begegnet, legt er dar: Onno
konnte nur so sympathisch werden, weil er einen Freund hat, der seine ganze
Geschichte erzählt. Er musste die unfassbare Liebenswürdigkeit Onnos in die
Sympathie eines Freundes verpacken, um sie plausibel zu machen.
Anders gesagt: Man kann die Wirklichkeit nicht einfach benennen. Man muss
sie verfremden, damit sie wirklich erscheint. Ach, es gäbe noch so viel zu
erzählen über Frank Schulz. Vielleicht nur noch dies: Warum will er
eigentlich nicht begraben sein in Hamburg, wo er sich so gut auskennt?
Frank Schulz: „Auch wenn es etwas … unangemessen Symbolisches hat … Ich
will in Hagen beerdigt werden.“
Nicht, dass es das einfache, zufriedene Leben, das es im Dorf vielleicht
sogar einmal gegeben haben mag, noch gibt. Die Sehnsucht danach, die gibt
es allerdings noch immer. Und Sehnsucht ist ein mächtiger Motor. Im Fall
von Frank Schulz hat sie sogar eine Figur wie Onno Viets hervorgebracht.
Frank Schulz: "Onno Viets und der Irre vom Kiez". Galiani, Berlin 2012, 368
Seiten, 19,99 Euro
16 Mar 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
Susanne Messmer
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