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# taz.de -- „taz" auf der Leipziger Buchmesse 2012: Sie hat Sex, er aber nicht
> Shakespeare, Geschlechtsverkehr und Talkshows: Andrea Paluchs „Zwischen
> den Jahren“ ist Frauenliteratur für den modernen Mann. Oder andersherum.
Bild: Sie hat Sex. Er ist nicht dabei.
Eine Frau, Akademikerin und mehrfache Mutter, wird 40 und unruhig.
Irgendwann ist für sie klar, dass ihr Mann Sex mit ihrer besten Freundin
hatte. Und nun?
Sie hat daraufhin dreimal Sex mit einem Mann, der in der Sendung ihres
Mannes auftreten soll, der ein populärer Fernsehmoderator ist. Dann stellt
sich die Sache aber so dar, dass ihr Mann und ihre beste Freundin es gar
nicht miteinander gemacht haben. Der Mann hat selbstverständlich alles gar
nicht so richtig mitgekriegt und nimmt's dann auch mit Fassung.
„Dies ist eine Geschichte über mich“, sagt die Ich-Erzählerin ganz am
Anfang und ganz am Ende. „Und sie endet gut.“ Andrea Paluch schrieb viele
Jahre zusammen mit ihrem Mann Robert Habeck Bücher. Eine singuläre
Konstellation, in der beide nahe Flensburg abwechselnd den literarischen
Plot und die Familienarbeit voranbrachten.
Habeck ist inzwischen oder derzeit Berufspolitiker und Grüner
Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Und Paluch legt
mit „Zwischen den Jahren“ den ersten allein geschriebenen Roman vor.
## „Eine große Umstellung“
Sie nennt es „eine große Umstellung, aber auch ein großer Freiheitsgewinn.�…
Der Titel „Zwischen den Jahren“ bezieht sich auf Shakespeares Mann&Frau&
Verkleidungs-Komödie „Twelfth Night“ - die zwölfte Nacht nach Weihnachten,
also Dreikönig. Es geht in der Geschichte nicht darum, dass Sex mit Dritten
(oder Vierten) Ehe und Lebensglück zerstört. Es geht darum, wie man
Lebenspläne und romantische Illusionen in Realität transformiert und dabei
den Eindruck beibehält, dass es gut so ist.
Eine zusätzliche sexuelle oder gar emotionale Beziehung des Karrieremannes
ist das klitzekleine Ding, das die Fragilität des Balance-Aktes offenbar
macht. Eigentlich ist es ja okay, dass er Karriere gemacht hat und sie
„nicht weltberühmt“ wurde.
Obwohl sie doch die Substanz hat und er nur ein wunderbar daherschwätzender
Selbstdarsteller ist. Eigentlich schien ihr ausbalanciert, was es
auszubalancieren gibt: Kinder, Liebe, Beruf, Rock'n Roll-, Karriere- und
Weltrettungsfantasien.
## Dieser Othello-Flash
Aber dann kriegt sie eben doch diesen Othello-Flash. In ihrer
Kolumnensammlung „Nichts ist alltäglich“ hat Paluch klargemacht, was ihr
Projekt ist: Die Familie als Ort der Freiheit, aber das Private nicht als
Rückzug. Pragmatismus als Idealismus. Es geht nie um Ideologien, sondern
immer um Lebbarkeit. Ihre Ich-Erzählerin ist kein Monster und keine Monroe,
keine Geniale, keine Besessene, kein Mainstream und kein Außenseiter. Das
wirklich Besondere an ihr ist, dass sie mehr oder weniger normal ist.
Und das am Ende zu schätzen weiß. Aber es geht ja nicht darum, die
Erzählerin zu verstehen. Es geht darum, sich zu verstehen. Und das Wunder
besteht darin, dass man bei Paluch sogar als Mann in einem Kapitel mehr und
Wichtigeres über das eigene Leben lernt als in den Gesamtwerken anderer
sogenannter Gegenwartsschriftsteller. Von einem Grünenparteitag ganz zu
schweigen.
Ob das daran liegt, dass die Autorin lange mit einem Mann gemeinsam Figuren
entwickelt und Positionen durchdacht hat?
## Männer fühlen sich angesprochen
Da sollte mal die Germanistik ran. Jedenfalls durchschaut Paluch den
modernen Mann und sieht ihn in klar seiner ganzen Unzulänglichkeit. Aber
sie verachtet ihn nicht. Sie mag ihn trotzdem. „Ich (Frau?) habe mich von
gesellschaftlichen Zwängen längst befreit, jetzt sind die Männer dran. Und
die haben es diesbezüglich nicht leicht“, sagt Paluch dazu auf Nachfrage.
Sie hatte Sorge, "Zwischen den Jahren" könne als Frauenbuch gelabelt
werden. Dass sich nun Männer angesprochen fühlen?
„Die Frauenprobleme sind bei den Männern angekommen.“ Darüberhinaus geht …
um: Die politischen Gedanken, die man so hat im modernen Bürgertum. Das
kulturelle Wohnzimmer, in dem man sich eingerichtet hat, und die Kinder,
deren Bedeutung man dauernd nicht überschätzen will, aber...Und ist es
überhaupt okay, glücklich zu sein, wenn die Welt es doch nicht ist?
„Zwischen den Jahren“ kann diejenigen bewegen, die es betrifft. Und das
sind im Grunde ganz schön viele. Denn seien oder werden wir ehrlich: Das
wirklich Dramatische in unseren Leben ist nicht der Atomausstieg.
[1][Donnerstag, 15. März, 14 Uhr, im taz-Studio (Halle 5/ E 410 a): Die
Autorin Andrea Paluch im Gespräch mit Peter Unfried]
9 Mar 2012
## LINKS
[1] /programm/2012/buchmesse_leipzig/events/297.de.html
## AUTOREN
Peter Unfried
Peter Unfried
## TAGS
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