# taz.de -- Gentechbakterien auf dem Gestüt: Der Wirkungskreis der Pferdelunge | |
> Auf dem Hof von Paul Schockemöhle in Mecklenburg-Vorpommern will ein | |
> Pharmakonzern einen mittels Gentechnik hergestellten Impfstoff testen. | |
> Die Bevölkerung protestiert. | |
Bild: Die Anwohner in Grabow halten nichts von der Idee auf dem Schockemöhle-G… | |
BERLIN taz | Am 1. April soll es losgehen. Auf dem Gestüt Lewitz im | |
mecklenburg-vorpommerschen Grabow sollen junge Pferde einen Impfstoff gegen | |
eine Lungenentzündung injiziert bekommen. Das Besondere daran: Der | |
Impfstoff enthält gentechnisch manipulierte Bakterien. | |
Drei Fohlenjahrgängen soll der Impfstoff verabreicht werden, heißt es in | |
der Versuchsbeschreibung. Der in der Natur vorkommende Typ des Bakteriums | |
verursache bei den Fohlen eine Lungenentzündung – ältere Pferden sind | |
dagegen immun. Um die Fohlen zu impfen, wurden daher vier Gene des | |
Bakteriums entfernt. Man arbeite schon länger mit dem Pharmaunternehmen | |
Intervet zusammen, das den Impfstoff testen wolle, so Marc Lämmer, Leiter | |
des Gestüts. | |
Intervet mit Sitz im niederländischen Boxmeer ist die Tiersparte des | |
US-Chemie- und Pharmakonzerns Merck & Co. Einen ersten Freisetzungsantrag | |
stellte das Unternehmen bereits Ende 2010. Im folgendem Jahr wurden | |
daraufhin in den Niederlanden 40 Fohlen mit den Impfbakterien behandelt. | |
Der neue Freisetzungsstandort, das Pferdegestüt Lewitz, gehört dem | |
mehrmaligen Europameister im Springreiten, Paul Schockemöhle. Auf rund | |
3.000 Hektar werden dort etwa 3.500 Pferde gehalten. Weil es auf dem Hof | |
die für eine Untersuchung notwendige hohe Zahl an Pferden gebe, habe man | |
eingewilligt, den Versuch durchzuführen. | |
## Untersuchungsdaten für die Zulassung | |
Schließlich müsse eine Wirkung des Impfstoffs mit einer Vergleichsgruppe | |
nicht geimpfter Tiere mit gleichen Haltungsbedingungen verglichen werden. | |
Später soll unter anderem mit den Daten aus der Untersuchung eine Zulassung | |
des Impfstoffs beantragt werden. | |
Doch die Anwohner in Grabow protestieren seit Wochen gegen den Versuch. | |
Über 400 Einwendungen schickten Bürger und Vereine an den Landkreis und das | |
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das über | |
die Zulassung entscheidet, auch die Gemeinde beteiligte sich. | |
„Niemand weiß, was mit den manipulierten Bakterien passiert“, formuliert | |
Anwohnerin Gisela Welke ihre Befürchtungen. „Die Krankheit ist auch auf | |
Menschen übertragbar“, sagt Bürgermeister Ulrich Schult. Und eine | |
Wohnsiedlung liege direkt nebenan. | |
Noch Ende Januar hatten verschiedene Medien fälschlicherweise berichtet, | |
dass der Impfversuch aufgrund der Proteste abgesagt werden soll. Paul | |
Geurts, Sprecher von Intervet, widerspricht: Man warte nur auf die | |
Genehmigung des BVL. Im Genehmigungsantrag für den Versuch wird eingeräumt, | |
dass das Bakterium in seiner nicht manipulierten Form auch bei anderen | |
Säugetieren und Menschen eine Lungenentzündung hervorrufen kann. | |
## Gesundheitliche Gefährdung nicht ausgeschlossen | |
Weiter heißt es: „Der Impfstamm gelangt nach der Impfung kurzzeitig mit dem | |
Kot der geimpften Tiere in die Umwelt.“ Und: „Wir können (…) nicht | |
ausschließen, dass der Impfstamm bei immuneingeschränkten Personen | |
Infektionen verursachen könnte.“ | |
Das sieht Anja Sobczak vom Umweltinstitut München ähnlich: Eine | |
gesundheitliche Gefährdung könne nicht ausgeschlossen werden. „Daher muss | |
die Freisetzung von Gen-Lebend-Impfstoffen grundsätzlich verboten werden“, | |
fordert sie. Lämmer widerspricht: „Wir sehen keine Gefährdung für unseren | |
Bestand und auch nicht für die Umgebung, sonst würden wir den Versuch nicht | |
durchführen.“ | |
Was er sich von der Versuchsreihe verspricht, will er nicht sagen: Man | |
plane, sich im März gemeinsam mit dem Hersteller des Impfstoffs zu äußern. | |
Derzeit gibt es noch keine Impfung gegen die Erkrankung. Betroffene Fohlen | |
werden bislang mit Antibiotika behandelt. Ohne Behandlung liege die | |
Sterblichkeit meist über 80 Prozent, sagt Katja Roscher, | |
Veterinärmedizinerin an der Klinik für Pferde der Universität Gießen. | |
In Lewitz ist das Interesse an einer Alternative groß: Mehr als die Hälfte | |
der Fohlen auf dem Gestüt erkrankt durch das Bakterium, heißt es in dem | |
Antrag für den Versuch – eine ungewöhnlich hohe Anzahl. „Auf mehr als der | |
Hälfte der Gestüte erkranken weniger als 10 Prozent der Fohlen“, sagt | |
Roscher. Bei Einzelbeständen könne sich der Anteil auf bis zu 100 Prozent | |
erhöhen. | |
## Kommerzielle Interessen | |
„Die Krankheit tritt vor allem dann auf, wenn viele Tiere in einem Betrieb | |
sind und sie dicht stehen“, sagt Johannes Handler, Professor für | |
Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin. Das müsse nicht gegen | |
die Haltungsbedingungen sprechen. | |
Das Umweltinstitut und auch der Umweltverband BUND kritisieren trotzdem, | |
kommerzielle Interessen würden über den Tierschutz gestellt. „Ein Pferd, | |
das einmal eine Lungenentzündung hatte, lässt sich nicht mehr als | |
Sportpferd verkaufen.“ Die Impfung sei daher nicht im Interesse der Tiere, | |
sondern der wirtschaftlichen Verwertbarkeit. | |
Handler bestätigt, dass der Immunschutz der Tiere sich mit zunehmendem | |
Alter verbessere. Dennoch könne die Entwicklung einer Impfung grundsätzlich | |
sinnvoll sein. Das BVL geht davon aus, dass es bis Mitte April die | |
Entscheidung über eine Genehmigung des Versuchs fällt. „Dabei werden die | |
Argumente aus den Einwendungen berücksichtigt“, sagt BVL-Sprecher Andreas | |
Tief. | |
16 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
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