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# taz.de -- Zu Besuch im Reiter-Milleu: Ein gutes Pferd ist Gold wert
> "Wo Reitsport stattfindet, ist auch Geld", hat der Pferdezüchter Paul
> Schockemöhle einmal gesagt. Glückliche Pferdenarren: Für die Tiere gilt
> der Steuersatz von sieben Prozent.
Bild: Springturnier in Barcelona.
Fürst Gribaldi ist der Renner in Mühlen. Schön ist sein Exterieur, das
äußere Erscheinungsbild des einen Monat alten Hengstfohlens. Flüssig sind
seine Bewegungen bei Schritt und Trab im Ring des Reiterhofs Schockemöhle.
Die Vorderbeine treten in der manegeartigen Außenanlage weit aus der
Schulter heraus, schön gerade, wie es sein soll, sie paddeln nicht nach
links oder rechts. Der Rücken schwingt gut mit.
Die Klasse des jungen Hengstes entgeht den Augen der alten Pferdekenner
unter ihren Schirmmützen hier in Südoldenburg nicht. Sie sitzen in den
weißen Zuschauerzelten des "Hauptbrenntermins", einer Art Oldenburgs Next
Top Fohlen, und fachsimpeln meist in Platt. "Ist 'n gutes Fohlen", brummt
einer der eher bäuerlich gekleideten Herren. "Hey, ist das Fohlen
verkauft?", ruft einer dem jungen Knecht zu, der Fürst Gribaldi in vollem
Lauf durch den Ring führt. Doch der junge Mann versteht offenbar nur
Englisch. Kaum ist das Fohlen aus dem Ring, stürmt eine Interessentin auf
Fürst Gribaldis Züchterin, Andrea Bechheim, zu. "Eine Frage: Wollt ihr den
verkaufen?" "Ist schon verkauft", antwortet sie, "Herr Schockemöhle war
schneller." "Für den hätte ich euch 12.000 gegeben", sagt die
Interessentin. Und geht.
Pferde und Geld - das ist eine Verbindung, die seit Jahrzehnten oder eher:
Jahrhunderten sehr eng ist. "Wo Reitsport stattfindet, ist auch Geld", hat
Paul Schockemöhle einmal gesagt. Der Europameister im Springreiten der
Jahre 1981, 1983 und 1985 ist einer der großen Pferdezüchter Deutschlands.
Im vergangenen Jahr hatte der Pferdemarkt hierzulande laut Handelsblatt
einen Wert von rund 5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der deutsche
Spielzeugmarkt kam auf gerade mal 3,5 Milliarden Euro.
Ein riesiger Markt
In seiner diesjährigen Hengstkollektion bietet Schockemöhle den Samen
seiner Hengste für bis zu 2.675 Euro pro, tja, sagen wir: Schuss an. Für
1.800 Euro Decktaxe ist der tief gefrorene Samen des jüngst verstorbenen
Rappen Gribaldi zu haben. Er war der Großvater mütterlicherseits des
bewunderten Fohlens Fürst Gribaldi, das Schockemöhle, wie üblich hier, per
Handschlag erworben hat. Der Preis des Gribaldi-Samens wird steigen, weil
das edle Nass nach dem Tod des Pferdes nun stetig knapper wird. Auch vom
Hengst Contender ist öfter die Rede in der Herbstkollektion Schockemöhles,
die als buntes Heftchen daherkommt. Contenders Nachkommen haben über 5,8
Millionen Euro im Pferdesport verdient.
Angesichts dieser Summen dürfte das Klischee hier zu bestätigen sein, dass
der Pferdesport das letzte Refugium der Reichen vor dem Plebs ist. Doch
dafür geht es am Rande des niedersächsischen Dorfes Mühlen eher bescheiden
zu. Überhaupt scheint der nach Pferdeäpfeln und Heu riechende Reitsport das
Geld eher zu verstecken, das in ihm steckt. Auf der Wiese vor dem Reiterhof
sind ein Bier-, Kaffee- und Wurststand zu finden, Pommes mit Mayo kosten
1,80. Kein Schampus nirgends.
Immerhin, einige Luxuslimousinen, angereist aus ganz Europa, sind schon zu
bewundern, vor allem vor dem Komplex bei den riesigen Ställen
Schockemöhles, die einen Steinwurf von hier entfernt liegen. Hier stehen
und schnauben, geht man nach dem Wert ihrer Lenden und der Summe ihrer
Preisgelder, Hengste der Millionenklasse in den Boxen. Aber beim
Fohlenbrennen selbst überwiegen die Mittelklassewagen. Die eher
ländlich-provinzielle Atmosphäre wird noch verstärkt durch das leicht
brutale Geschehen, das dieser Fohlenschau den offiziellen Namen gibt: In
einer Ecke der Wiese brennt ein geschickter Pferdewirt in einem Gatter das
Oldenburger Brandzeichen, ein gekröntes "O", mit einem glühenden Eisen auf
den linken Oberschenkel der Fohlen. Manche schlagen dabei aus. Aber der
Schmerz scheint nicht lange anzuhalten. Kurz riecht es nach verbrannten
Haaren.
In einer Ecke des Geländes steht der landadlig-robust gekleidete
Schockemöhle unter uralten Eichen. Die zurückliegende Krise, so sagt er,
habe geholfen, dass man im Pferdemarkt "etwas in die Realität zurückgeholt
wurde": "Das Ganze war, wie die Wirtschaft insgesamt, überhitzt." Die
"absoluten Spitzenpferde" kosteten zwar immer noch 1 bis 2 Millionen Euro.
Das Durchschnittspferd aber, das vor der Krise ca. 80.000 Euro gekostet
habe, sei nun für 30.000 Euro zu haben.
Für Pferde gilt der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent. Richtig so, meint
Schockemöhle. Schließlich sei die Tier-, also auch die Pferdewirtschaft in
dieser Gegend - Schockemöhle stößt dabei mit dem Fuß ein Büschel Gras weg,
bis Sand zu sehen ist - praktisch das Einzige, was landwirtschaftlich
machbar sei. Und Pferde seien ein hiesiger Exportschlager!
Wie viele Millionäre es bei dieser Fohlenschau gibt? "Nicht so viele", sagt
Schockemöhle, "hier sind Leute, die ihr Auskommen haben." Die meisten
kämen, meint er sehr zurückhaltend, aus "wohl situierten, geordneten
Verhältnissen". Dass er selbst zu den Reichen im Land gehört, streitet
Schockemöhle nicht ab - wie auch angesichts der etwa 11 Millionen Euro, die
der Pferdemann 1999 nach einer Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung
nachzahlen musste. Und konnte. "Das hat mir nicht das Genick gebrochen",
sagt der Unternehmer, der auch eine Spedition sein Eigen nennt, "alles ist
so weitergelaufen wie vorher." Und was hält Schockemöhle von einer
Reichensteuer, die selbst Wohlhabende kürzlich vorgeschlagen haben? "Damit
tut man sich keinen Gefallen", sagt er. Das führe nur zu einer weiteren
Kapitalflucht: "Das rechnet sich nicht."
Reichtum gibt sich meist diskret in der eher egalitär gedachten
Gesellschaft der Bundesrepublik mit ihrem weiterhin fetten
Mittelstandsbauch. Aber vielleicht findet man das Geld im Pferdesport ja
auch gar nicht in der niedersächsischen Provinz.
Auf der Trabrennbahn Mariendorf hat das alte Westberlin überlebt. Kaum
verwundert wäre man, würde gleich Eberhard Diepgen auftauchen, um als
untoter Regierender, wie man hier sagt, neben Hildegard Knef die Derbywoche
zu eröffnen. Eine riesige Schultheiss-Fahne hängt von der Tribüne - und
schon das ist ein schlechtes Omen, denn diese Brauerei hat unter
Bierkennern in der Hauptstadt seit Jahrzehnten einen schlechten Ruf.
Die Haupttribüne ist ein trister Betonbau, dessen bunte, gleichwohl
angeschmuddelte Inneneinrichtung an die siebziger Jahre erinnert, als das
hier vielleicht noch eine Attraktion war. Auf den weitgehend leeren
Sitzbänken sitzen einige Zocker mit Bierbauch, die mit ihren Nachbarn
fachsimpeln, auf wen nun am besten zu setzen sei. Einige Bierflaschen
stehen neben ihren Füßen. Ein Charlie-Chaplin-Double mit Hitlerbärtchen
watschelt herum. Das soll lustig sein. Gott sei Dank rennen wenigstens die
Pferde auf der Bahn, sonst wäre hier der totale Stillstand.
Ein schäbiger Glanz
Ein Rennen wurde nach dem Swingsänger Andrej Hermlin benannt, was so etwas
wie Glamour hierherbringen soll. Nach dem Rennen wird der Chef einer
Swingband von einem Stadionsprecher kurz interviewt, viel Fachwissen wird
von ihm nicht erwartet. Der hoch gewachsene, elegante Mann sticht mit
seinem Anzug im Schnitt der dreißiger Jahre in diesem Ambiente heraus. In
Berlin, sagt die Lokalgröße auf dem Weg zur VIP-Terrasse, kleide man sich
eher zurückhaltend. "Hier mögen es viele nicht, als reich erkannt zu
werden." Vieles sei eh nur hohler Schein: "Das Auto und die Jacht gehören
eigentlich der Bank."
Auf der VIP-Terrasse hinter einem Stand mit Damenhüten hat der Unternehmer
Ulrich Mommert Zeit für ein Interview - zwei breitschultrige
Security-Männer verhindern, dass man einfach so das Reich der oberen
Zehntausend betritt. Mommert, Besitzer von etwa hundert Pferden, hat mit 35
von ihnen bis zum 11. Juli bei 13 Siegen immerhin knapp 30.000 Euro
gewonnen. Dennoch meint er, mit Trabern könne man "natürlich nicht" Geld
verdienen. Das alles sei nur ein Hobby, sagt er.
Hier im VIP-Bereich, wo etwa hundert Leute ganz offensichtlich eher
gelangweilt unter Sonnenschirmen von Schultheiss dem Renngeschehen folgen,
seien "drei bis vier Millionäre", schätzt der 69-jährige Pferdemann. Von
der Reichensteuer, sagt er, "wäre ich natürlich betroffen". Er halte sie
aber für falsch, denn "wo Geld ist, soll Geld ausgegeben werden". Mit so
einer Steuer würde man nur verhindern, "dass das Geld wieder in den
Kreislauf kommt". Und was die ermäßigte Mehrwertsteuer angeht, sieht
Mommert im Vergleich mit den Vergünstigungen in der Landwirtschaft keine
Privilegierung des Pferdemarktes. Dann schlägt er vor, doch noch etwas von
dem kostenlosen Essen zu kosten, das hübsche Hostessen im Cateringzelt
gleich um die Ecke mit routiniert-zauberhaftem Lächeln reichen.
Nun muss sich Mommert aber wieder um die Rennen kümmern. "Herr Schmidt",
spricht er in sein Handy nach einem Blick auf die Rennbahn, "bleiben wir
bei 18 stehen." Ist das Ganze für ihn wirklich eher eine Leidenschaft denn
eine Investition? Früher, erklärt Mommert, war der Trabrennsport ein
traditionelles Amüsement der Metzger, die es zu etwas Geld gebracht hatten.
"Zum Springreiten", ergänzt er noch, "würde ich nicht gehen: viel zu
elitär." Deutschlands Reiche schotten sich ab. Scheu ist das Geld, scheu
wie ein Fohlen.
26 Aug 2010
## AUTOREN
Philipp Gessler
Philipp Gessler
## TAGS
Pferdesport
Fußball-EM 2024
Pferde
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