# taz.de -- Todesstrafe in Weißrussland: Trotz Protesten kein Pardon | |
> Präsident Lukaschenko lehnt es ab, die angeblichen U-Bahn-Attentäter zu | |
> begnadigen. Ob Kowaljow und Konowalow bereits exekutiert wurden, ist | |
> unklar. | |
Bild: Der Beschuldigte Wladislaw Kowaljow im Angeklagten-Käfig im Gericht in M… | |
BERLIN taz | Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus/Weißrussland, | |
kennt kein Erbarmen. Am Mittwochabend berichtete das erste staatliche | |
Fernsehen, dass der Autokrat es abgelehnt habe, die beiden Todeskandidaten | |
Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow zu begnadigen. Grund für die | |
Entscheidung sei die besondere Gefahr für die Gesellschaft, die von den | |
beiden ausgehe, sowie die schweren Konsequenzen ihrer Taten. | |
Am 30. November 2011 hatte das Oberste Gericht in der Hauptstadt Minsk die | |
beiden 25-Jährigen zum Tode verurteilt. Sie sollen für mehrere | |
Bombenanschläge verantwortlich sein, darunter das Attentat auf eine Minsker | |
U-Bahn-Station am 12. April vergangenen Jahres. Dabei waren 15 Menschen | |
getötet und rund 300 verletzt worden. | |
Derzeit ist unklar, ob die Verurteilten bereits im staatlichen Auftrag | |
getötet wurden. „Ein Wunder ist nicht geschehen. Wurden die ’Terroristen‘ | |
erschossen?“, fragte die weißrussische Menschenrechtsorganisation „Chartyja | |
97“ auf ihrer Website am Donnerstag. Und: „Es sind viele Fragen offen | |
geblieben. Aber auf diese kann jetzt niemand mehr antworten.“ | |
Belarus ist das einzige Land in Europa, in dem die Todesstrafe – meist per | |
Genickschuss – noch vollstreckt wird. Nach Angaben von Amnesty | |
International wurden seit 1991, dem Jahr der Unabhängigkeit, 400 Menschen | |
hingerichtet. Unabhängige Gerichte gibt es nicht, Richter erhalten ihre | |
Anweisungen, wer zu welchem Strafmaß zu verurteilen ist, von ganz oben. | |
Auch der Prozess gegen Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow, die bereits | |
einen Tag nach dem U-Bahn-Anschlag festgenommen worden waren, war eine | |
Farce. Für keinen einzigen der Anklagepunkte konnte die Staatsanwaltschaft | |
stichhaltige Beweise vorlegen. Beide Beschuldigte gaben mittlerweile an, | |
ihre Geständnisse während der Ermittlungen unter Folter abgelegt zu haben. | |
Die Verurteilung der beiden löste in Belarus eine Debatte über die | |
Todesstrafe aus – und eine Welle der Solidarität mit Konowalow und | |
Kowaljow. 270.000 Menschen unterschrieben einen Appell, das Urteil nicht zu | |
vollstrecken. Auch ein 27-Jähriger, der bei dem Minsker Anschlag beide | |
Beine verloren hat, gehörte zu den Unterzeichnern. | |
## Mit äußerster Härte gegen Kritiker | |
Eine derartige Aktion ist in Belarus alles andere als selbstverständlich. | |
Denn seit den gefälschten Präsidentenwahlen vom 19. Dezember 2010, bei | |
denen Lukaschenko offiziellen Angaben zufolge 80 Prozent der Stimmen | |
gewann, lässt der Staatschef seine Handlanger mit äußerster Härte gegen | |
seine Kritiker vorgehen. | |
Bei Massenprotesten am Abend des Wahltages wurden rund 3.000 Menschen | |
festgenommen. Zwei oppositionelle Präsidentschaftskandidaten, Andrej | |
Sannikow und Mikolai Statkewisch, wurden wegen „Schürens von Massenaufruhr“ | |
zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Aufenthaltsort von Sannikow, | |
der regelmäßig in andere Haftanstalten verbracht wird, war zwischenzeitlich | |
nicht bekannt. Angaben von Angehörigen zufolge soll der 58-Jährige schwer | |
erkrankt sein. Medizinische Hilfe werde ihm weitgehend vorenthalten. Auch | |
so könne man die Todesstrafe vollstrecken, nur etwas langsamer, so ein | |
belarussischer Oppositioneller, der anonym bleiben möchte. | |
Der Leiter des Minsker Menschenrechtszentrums Vjasna, Ales Bialiatzki, der | |
angeblich Gelder aus dem Ausland veruntreut haben soll, sitzt genauso im | |
Gefängnis wie der Aktivist Sergej Kavaljenko. Sein ursprüngliches Vergehen | |
war das Hissen der ehemaligen belarussischen Nationalflagge. | |
## Druck auf kritische Medien | |
Repressionen gegen Anwälte, die Oppositionelle verteidigen, sind genauso an | |
der Tagesordnung wie Druck auf kritische Medien und unabhängige | |
Journalisten. Erst am vergangenen Mittwoch wurde Andrej Dinko, | |
Chefredakteur der oppositionellen Zeitung Nascha Niwa, die Ausreise nach | |
Litauen verweigert. Dynko steht auf einer schwarzen Liste von | |
Lukaschenko-Kritikern, die das Land derzeit nicht verlassen dürfen. | |
Diese Liste ist eine weitere Antwort des Präsidenten auf Einreiseverbote | |
und Kontosperrungen für hochrangige Mitarbeiter des Regimes, die die | |
Europäische Union im Februar ausgeweitet hatte. In einer ersten Reaktion | |
hatte Minsk den Vertreter der EU sowie den Botschafter Polens des Landes | |
verwiesen. | |
In Brüssel herrscht derzeit Ratlosigkeit. Das wurde auch am Donnerstag nach | |
Bekanntwerden der Entscheidung Lukaschenkos deutlich. Eigentlich hatte das | |
EU-Parlament über eine Resolution abstimmen wollen, mit der die Verhängung | |
von Wirtschaftssanktionen sowie eine Absage der Eishockeyweltmeisterschaft | |
2014 in Belarus gefordert werden sollte. Die Abstimmung wurde um zwei | |
Wochen verschoben, um dem Regime eine weitere Möglichkeit zu geben, die | |
Situation zu verbessern. Zudem appellierte der Präsident des EU-Parlaments, | |
Martin Schulz, an Lukaschenko, seine Entscheidung zu überdenken und ein | |
Moratorium über die Todesstrafe zu verhängen. | |
Die Grünen-Politikerin und Osteuropaexpertin Marieluise Beck bezeichnete | |
die verweigerte Begnadigung einen Akt tiefster Barbarei, Gnaden- und | |
Rechtlosigkeit. Sollten die Hinrichtungen wirklich vollzogen werden, so sei | |
für Lukaschenko der Weg nach Europa endgültig versperrt. | |
15 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
Barbara Oertel | |
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Russland | |
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