# taz.de -- Weißrussischer Oppositioneller: "Sie können mich jederzeit festne… | |
> Der Westen muss endlich Wirtschaftssanktionen gegen Weißrussland | |
> verhängen, sagt Mikita Lichawid. Ein Gespräch über seine Haftstrafe, | |
> Repressionen und Angst. | |
Bild: Oppositions-Proteste in Minsk, Weißrussland. | |
taz: Herr Lichawid, Sie waren neun Monate inhaftiert. Wie waren die | |
Bedingungen? | |
Mikita Lichawid: Ich war in einem Straflager. In einer Zelle sind bis zu | |
zwölf Häftlinge untergebracht. Dort hältst du dich 24 Stunden auf. Es gibt | |
keine Matratzen, keine Bettwäsche, du schläfst auf einer Art Platte. Es ist | |
die ganze Zeit dunkel, denn im Raum brennt nur eine schwache Birne. Überall | |
laufen Ratten herum. | |
Sie wurden zu dreieinhalb Jahren Lager verurteilt. Wie kam es zu Ihrer | |
plötzlichen Freilassung? | |
Sie holten mich an einem Morgen ab, und ich dachte, ich würde an einen | |
anderen Ort gebracht. Als wir im Verwaltungsgebäude ankamen, war mir schon | |
klar, dass ich freikommen würde. Präsident Lukaschenko hatte ein | |
entsprechendes Dekret unterschrieben. Das war übrigens ein weiterer Verstoß | |
gegen das Gesetz, denn ich hatte nicht um eine Begnadigung gebeten. | |
Wie leben Sie jetzt, haben Sie irgendwelche Auflagen? | |
In Belarus kann ich jetzt weder arbeiten noch studieren. Es gibt für mich | |
keinerlei Spielraum. Sie können mich jeden Moment festnehmen und wieder ins | |
Gefängnis schicken. Dass ich jetzt nach Deutschland gekommen bin, um über | |
die Situation in Belarus zu berichten, kann die Staatsmacht als Vorwand | |
nehmen, um mich wieder zu isolieren. | |
Haben Sie Angst davor, wieder inhaftiert zu werden? | |
Diese Angst habe ich nicht. Diejenigen, die im Gefängnis sitzen, sind auch | |
Menschen, viele davon sind sehr intelligent und gut ausgebildet. Von deren | |
Fähigkeit zu kommunizieren könnte unsere politische Führung so einiges | |
lernen. Und überhaupt: Mehr als lebenslänglich können sie mir sowieso nicht | |
geben, und hinter meine Überzeugungen gehe ich nicht zurück. | |
Das System setzt ausschließlich auf Repressionen gegen seine Kritikern. Wie | |
lange kann das noch so weitergehen, und wie lange kann sich Lukaschenko | |
noch an der Macht halten? | |
Wenn Russland Lukaschenko weiterhin unterstützt, wird sich das Regime noch | |
lange halten. Doch Moskau hat bereits begriffen, dass allein das Reinpumpen | |
von Geld nach Belarus nicht die gewünschten Resultate bringt. Moskau hat | |
deshalb jetzt damit angefangen, die profitträchtigsten belarussischen | |
Firmen aufzukaufen. | |
Seit den gefälschten Präsidentenwahlen ist ein Jahr vergangen. Wo steht die | |
belarussische Protestbewegung heute? | |
Eine große Anzahl von Menschen ist in diesem einen Jahr dem | |
Repressionsapparat zum Opfer gefallen. Die Belarussen sind eingeschüchtert. | |
Dennoch gibt es Protestpotenzial, weil die wirtschaftliche Lage sehr | |
schlecht ist. Mittlerweile sind auch Menschen bereit zu demonstrieren, die | |
sich vorher noch nie an solchen Aktionen der Opposition beteiligt haben. | |
Sogar ein Großteil der Leute, die bei den letzten Wahlen noch für | |
Lukaschenko gestimmt haben. Das Problem ist ein anderes. Die Opposition | |
wurde durch die Repressionen stark geschwächt, viele sitzen im Gefängnis. | |
Das ist einer der Gründe dafür, dass es heute keine Vertreter der | |
Opposition gibt, die die belarussische Gesellschaft konsolidieren könnten. | |
Das heißt Menschen auf die Straße bringen. | |
Wie blicken die Belarussen auf die jüngsten Ereignisse in Russland? | |
Wir empfangen in Belarus viele russische Fernsehkanäle. Dort wird gezeigt, | |
wie gut in Russland alles ist. Dass das Volk die Partei der Staatsmacht | |
unterstützt. Doch das ist eine Lüge. Die Unzufriedenheit der Menschen ist | |
groß, sie wollen Veränderungen. | |
In Russland existiert ein autoritäres Regime. Und das Vorgehen der | |
Staatsmacht ist genau das gleiche, wie es in Belarus schon seit Jahren | |
praktiziert wird. Die Diktatur, die in Belarus herrscht, breitet sich auch | |
in anderen Regionen Osteuropas aus. Das ist sehr gefährlich. Wenn es einen | |
kleinen Zaren in einem Land gibt, das weder Gas und Öl noch Atomwaffen | |
besitzt, ist das das eine. Aber wenn sich ein Regime mit einer solchen | |
Weltsicht in Russland etabliert, ist das etwas ganz anderes. | |
Wie beurteilen Sie die Politik des Westens gegenüber Belarus? | |
Der Westen behauptet zwar immer, dass die Freilassung der politischen | |
Gefangenen im Verhältnis zu Belarus Priorität habe. Doch außer mit Worten | |
und ein paar Resolutionen wird dafür nichts getan. | |
Aber was sollten die westlichen Staaten denn konkret tun? | |
Sie sollten Wirtschaftssanktionen verhängen. Das heißt zum Beispiel den | |
Warenaustausch zwischen westlichen Ländern und belarussischen Firmen | |
begrenzen. Denn genau deshalb werden belarussische Firmen ja mit russischem | |
Kapital gekauft, weil Moskau sie als Brückenkopf für einen eigenen Zugang | |
zu den westlichen Märkten benutzen will. | |
Im Falle von Wirtschaftssanktionen würde das Interesse Moskaus an | |
belarussischen Firmen rapide sinken. Und Lukaschenko wäre auf seine eigenen | |
Probleme zurückgeworfen. Das würde auch sein repressives Vorgehen innerhalb | |
des Landes erschweren. | |
Kürzlich wurden zwei junge Männer in Belarus zum Tode verurteilt. Sie | |
sollen für den Bombenanschlag auf eine Minsker U-Bahn im vergangenen April | |
verantwortlich sein, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Glauben Sie, | |
dass die beiden wirklich hingerichtet werden? | |
Schwer zu sagen. Lukaschenko ist machtversessen, und es imponiert ihm, dass | |
er diese Menschen begnadigen kann oder eben auch nicht. Es gefällt ihm, | |
dass er das Leben dieser beiden in seiner Hand hat. Der Fall wirft eine | |
Menge Fragen auf, die bis jetzt nicht beantwortet sind. | |
Zum Beispiel ob Geheimdienste an dem U-Bahn-Attentat beteiligt waren. Daher | |
befürchte ich, die beiden werden erschossen. Wenn irgendwelche | |
Geheimdienste hinter den beiden Verurteilten standen, ist es besser, sie | |
umzubringen, damit diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit | |
gelangen. Wie man bei uns so schön sagt: Einen Toten kannst du nichts mehr | |
fragen. | |
26 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Weissrussland: Zum Abschuss freigegeben | |
Bereits die Verkündung des Urteils gegen die Todeskandidaten mobilisierte | |
270.000 Personen in Belarus. Die Exekution der beiden Männer könnte noch | |
größere Auswirkungen haben. | |
Todesstrafe in Weißrussland: Trotz Protesten kein Pardon | |
Präsident Lukaschenko lehnt es ab, die angeblichen U-Bahn-Attentäter zu | |
begnadigen. Ob Kowaljow und Konowalow bereits exekutiert wurden, ist | |
unklar. | |
Todesstrafe für Attentäter in Weißrussland: Begnadigung abgelehnt | |
Lukaschenko hat die Begadigung zweier Todeskandidaten abgelehnt. Die beiden | |
wurden dafür verurteilt, im Jahr 2011 in der Minsker Metro ein Attentat mit | |
15 Toten verübt zu haben. | |
Lukaschenko greift Westerwelle an: „Besser Diktator als schwul“ | |
Der weißrussische Staatschef findet Homosexualität „abartig“ und giftet in | |
Richtung Westerwelle. Der deutsche Außenminister ist nicht der einzige | |
Politiker, den Lukaschenko beleidigt hat. | |
„Kalter Krieg“ zwischen Brüssel und Minsk: Racheaktion aus Weissrussland | |
Die EU zieht ihre Botschafter ab. Dahinter steht ein Schlagabtausch nach | |
der Ausweitung von Sanktionen durch Brüssel. Der Grund: anhaltende | |
Repressionen. | |
Alles Fremde in Weißrussland zensiert: Lukaschenko kappt das Internet | |
Schlechter Einfluß, zu viele Proteste, zu viel Gefahr für die Regierung: | |
die weißrussische Führung verbietet das Surfen auf ausländischen Websites | |
und droht hohe Strafen an. | |
Justiz in Weißrussland: Todesstrafe mitten in Europa | |
Wegen eines Anschlags mit 15 Toten werden zwei Männer in Minsk zum Tode | |
verurteilt. Das Urteil könnte innerhalb von 24 Stunden vollstreckt werden. | |
"Schauprozess" in Minsk: Ab ins Straflager | |
Vier Jahre muss der weißrussiche Menschenrechtler Ales Beljazki ins | |
Gefängnis. Er soll Steuern hinterzogen haben. Europaweit regt sich großer | |
Widerstand gegen die fragwürdige Entscheidung. |