# taz.de -- Interview mit Finanzsenator Nußbaum: "Kein Trittbrettfahrer der Na… | |
> Berlin leistet sich den Luxus beitragsfreier Kitas und gebührenfreier | |
> Studiengänge - auf Kosten anderer Bundesländer. Falsch, sagt | |
> Finanzsenator Ulrich Nußbaum im taz-Interview. | |
Bild: Er lacht, trotz der Schulden: Finanzsenator Ulrich Nußbaum. | |
taz: Herr Nußbaum, in den Haushaltsberatungen rühmt sich der Senat, schon | |
2016 keine neuen Schulden mehr zu machen. Doch auch dann wird Berlin noch | |
von Milliardenhilfen anderer Bundesländer abhängen, vor allem aus Bayern. | |
Ist das nicht Augenwischerei? | |
Ulrich Nußbaum: Was heißt Augenwischerei? Das wäre es dann, wenn dieser | |
Länderfinanzausgleich nicht Teil unserer föderalen Finanzarchitektur in der | |
Bundesrepublik wäre. Wenn wir etwas Illegitimes bekämen, hätten Sie recht – | |
aber so ist es ja nicht. | |
Illegitim vielleicht nicht – aber zu viel, meinen bayerische Politiker: | |
weil Berlin ja selbst mehr Geld hätte, wenn es nicht auf Kita-Beiträge und | |
Studiengebühren verzichten würde. | |
Der Länderfinanzausgleich ist kein Ausgleich für übergroße Ausgaben oder | |
ein Lotterleben, wie mein bayrischer Kollege Markus Söder oder andere | |
meinen, sondern ein Ausgleich für strukturelle Nachteile eines | |
Bundeslandes. | |
Das ist ja auch grundgesetzlich geregelt in Artikel 107 des Grundgesetzes. | |
Und im Kommentar dazu heißt es, der Ausgleich solle für „annähernd gleiche | |
Lebensverhältnisse“ sorgen. In der Praxis dreht sich das aber um: Eltern im | |
reichen Bayern müssen für die Kita zahlen, das arme Berlin macht sie auch | |
für Reiche beitragsfrei. | |
Sie haben immer noch nicht begriffen, worum es geht. Nämlich nicht darum, | |
ob wir mit dem Länderfinanzausgleich Kita-Gebühren finanzieren oder nicht. | |
Wir bekommen Geld als Ausgleich für unsere schwache Wirtschaftsstruktur, | |
und zwar ohne Vorgaben, wie wir das verwenden. Entscheidend ist, wie stark | |
unsere Ausgaben gewachsen sind, und wie stark die im Bundesschnitt oder in | |
Bayern: Und unsere sind in den letzten zehn Jahren nur um 2,3 Prozent | |
gewachsen, die in Bayern aber um 12 Prozent. | |
Ja, aber die Bayern bezahlen das auch von ihrem eigenen Geld. Wie erklären | |
Sie dem Bayern, der vielleicht gar nicht abgeneigt ist, Nachteile in Berlin | |
auszugleichen, warum die in Berlin sich so viele Vorteile leisten können, | |
die er nicht hat? | |
Falsch, falsch, Sie sind immer noch bei den Ausgaben und den gleichen | |
Lebensverhältnissen. | |
Aber gerade die sind doch der zentrale Gedanke von Grundgesetzartikel 107. | |
Das hat aber nichts mit dem Länderfinanzausgleich zu tun. | |
Aber der beruht doch darauf. | |
Nein, denn der Finanzausgleich ist viel komplexer. Wenn wir mal einzahlen – | |
Bayern war ja über Jahrzehnte auch Nutznießer des Finanzausgleichs –, dann | |
zahlen wir auch nicht den Bayern ihr 10 Milliarden teures Bankendebakel in | |
Österreich. In Bayern diskutiert doch auch keiner die Notwendigkeit des | |
kommunalen Finanzausgleichs, da zahlt die reiche Gemeinde am Tegernsee für | |
eine arme ostfränkische. Dass die nicht gern für die Preußen in Berlin | |
zahlen, ist mir klar. | |
Aber die am Tegernsee zahlen nur so lange gern für die Ostfranken, wie sie | |
das Gefühl haben: Wir helfen denen, damit ihr Teller mittags auch voll ist. | |
Die wären aber auch sauer, wenn die Franken oben auf dem Teller noch Kaviar | |
hätten. | |
Es ist die eigene Entscheidung der Gemeinde, ob sie ihr Schwimmbad | |
dichtmacht und stattdessen eine Schule ausbaut. Das ist Teil der kommunalen | |
Autonomie – genauso wie es Teil der Landesautonomie ist, zu entscheiden, wo | |
man im Rahmen eines Budgets Schwerpunkte setzt. Sonst könnten Sie die | |
Bundesländer gleich auflösen und unter Staatskuratel stellen. | |
Aber wenn schon föderal, warum dann auf Beiträge auch von Begüterten | |
verzichten und stattdessen bei der Grundversorgung der Menschen streichen | |
und die Berliner Bezirke nötigen, Bibliotheken dichtzumachen? | |
Wir nötigen die Bezirke gar nicht, | |
Das sehen die anders. | |
… das ist eine eigene Entscheidung der Bezirke, wie sie das Geld ausgeben, | |
dafür haben sie eine Bezirksverordnetenversammlung. Wir weisen eine Summe | |
zu, und die Bezirke sind in der Verantwortung, mit diesem Geld auszukommen | |
– so wie ich im Landeshaushalt auch mit dem Geld auskommen muss, das ich | |
zur Verfügung habe. Aber lassen Sie uns noch mal auf das Thema Solidarität | |
kommen. | |
Ihr Kollege Söder von der CSU sagt: Bayern ist solidarisch, aber nicht | |
blöd! | |
Wir sind auch solidarisch und nicht blöd. Wir, das klamme Berlin, helfen | |
nämlich Bayern. Und wissen Sie auch, wo? | |
Nein. | |
War mal eine Testfrage. Das geht nämlich immer unter. Also, als es 2008 | |
darum ging, mit einem Riesenaufwand und 400 Milliarden die Banken zu retten | |
– hatte da Berlin eine Staatsbank, die davon profitiert hätte? Nein. Aber | |
die Bayern hatten eine, die Baden-Württemberger hatten eine, die | |
Nordrhein-Westfalen und die Niedersachen auch. Die haben wir gestützt, da | |
wir ja anteilig mit unserem Vermögen am Bankenrettungsschirm beteiligt | |
waren. Das wird immer vergessen. Offenbar ist das Marketing der Bayern in | |
dieser Hinsicht besser. | |
Wo wir bei der Selbstvermarktung sind: Würden Sie denn zum Karneval als | |
Punk rumlaufen und um ein paar Euro schnorren? Das hat nämlich Ihr Kollege | |
Söder gemacht, um seine Kritik an Berlin noch anschaulicher zu machen. | |
Nein, würde ich nicht. Ich würde auch nicht in bayerischer Tracht | |
auftreten. | |
Aber das ist ja nicht nur ein Karnevalsspaß gewesen. Bayern hat | |
angekündigt, am Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich zu | |
klagen. | |
Angekündigt haben die viel, das haben auch die Baden-Württemberger und die | |
Hessen. Das ist doch nur Wahlkampfgetöse, die wollen intern die Reihen | |
schließen. Tatsache ist, dass Bayern dem Länderfinanzausgleich bis 2019 | |
zugestimmt hat. Und sie haben im Rahmen des Stabilitätsrats mit | |
unterschrieben, dass sie unser Sanierungsprogramm für gut befinden. Das | |
passt doch nicht zusammen: uns einerseits damit in Berlin gute Arbeit | |
attestieren und auf der anderen Seite Prasserei vorwerfen. | |
Da gibt es aber immer noch die Aussage Ihres Vorgängers Thilo Sarrazin, es | |
würde sich für Berlin kaum lohnen, seine Einnahmen zu steigern, weil es | |
dann weniger Geld aus dem Finanzausgleich gibt. | |
Das ist ja Quatsch. | |
Wieso? Höhere Einnahmen werden doch tatsächlich verrechnet. | |
Aber wenn sich alle so verhielten, würde der Topf insgesamt leerer. | |
Natürlich haben wir ein Interesse, unsere Einnahmen zu steigern, vor allem | |
über die Gewerbesteuer, die nur zu einem Teil verrechnet wird. Außerdem hat | |
Berlin ja nun gerade gezeigt, dass es sich um höhere Einnahmen bemüht: Wir | |
haben die Grunderwerbssteuer angehoben, wir werden eine City-Tax einführen. | |
Es ist nicht unser Interesse, Trittbrettfahrer der Nation zu sein. | |
Noch einmal zu den Kitas: Der Gedanke, Einkommensschwächere nicht mit | |
Beiträgen abschrecken zu wollen, ist ja nachvollziehbar. Aber warum | |
brauchen auch Eltern ab, sagen wir mal, 60.000 Euro Einkommen nichts zu | |
bezahlen? | |
Wir haben eine Werteentscheidung getroffen, dass keiner da wegen seines | |
Gehalts in Diskussionen kommt. Ich würde mich ja freuen, wenn jeder, der so | |
viel verdient, seinen eingesparten Kita-Beitrag an die Kita spendet. | |
Dann können Sie es auch gleich zur Pflicht machen. | |
Ich sage ja nicht, dass man das nicht anders entscheiden kann. Aber wir | |
haben das politisch so entschieden, wie es jetzt ist, und dann kann es auch | |
sein, dass als Folge davon eine Bibliothek geschlossen wird. Das ist aber | |
eine Entscheidung, die Berlin trifft und nicht der Herr Seehofer oder der | |
Herr Söder in Bayern. Der Herr Seehofer kann von mir verlangen, dass ich, | |
solange ich Schulden mache, mein Ausgabenwachstum geringer als in anderen | |
Bundesländern halte. Aber wie wir das ausgestalten, das bleibt unsere | |
Sache. | |
17 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Bayern | |
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