# taz.de -- Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln: Weg mit dem Überfluss | |
> Ilse Aigner will mit ein bisschen bunter Aufklärung gegen die | |
> Wegwerfkultur angehen. Doch gegen Lebensmittelverschwendung hilft nur | |
> eine radikale Lösung. | |
Bild: Toast drei Tage überm Mindesthaltbarkeitsdatum? Weg damit! | |
Zum Beispiel Nudeln im Supermarkt um die Ecke. Abgepackt in Plastik, | |
mindestens haltbar noch zwei Jahre. Honig, im Glas, mindestens haltbar ein | |
Jahr. Knäckebrot ein halbes Jahr, Frischkäse einen Monat, Milch vier Tage. | |
Und dann? | |
Was bis zu seinem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht aufgegessen oder | |
ausgetrunken ist, landet in der Regel im Müll. Das zeigt eine Forsa-Umfrage | |
im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums. Demnach wirft jeder vierte | |
Verbraucher einmal die Woche Lebensmittel weg, jeder fünfte immerhin einmal | |
im Monat. Wer Lebensmittel wegwirft, sei es hin und wieder oder häufig, | |
gibt als häufigsten Grund an, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen sei | |
oder die Produkte verdorben waren. | |
Noch deutlicher ist das Problem in den Supermärkten. Dass ein Händler die | |
Waren neu etikettiert und kurz vor Ablauf des Datums günstiger verkauft, | |
ist selbst in kleinen Läden die Ausnahme. Meist gilt sowieso das Prinzip | |
des vorauseilenden Gehorsams: Produkte werden schon Tage vor dem Erreichen | |
des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert und entsorgt. Auf dass der | |
Verbraucher bloß nicht in die Nähe von beinahe abgelaufenen Lebensmitteln | |
komme. Die daraus resultierenden Lebensmittelberge, die in den | |
Müllcontainern landen, waren in den vergangenen Monaten in diversen Kino- | |
und Fernsehdokumentationen zu besichtigen. | |
Insofern ist es nur folgerichtig, dass die CSU-Verbraucherministerin Ilse | |
Aigner eine Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung ins Leben ruft, mit | |
dem Ziel, die Berge essbaren Mülls zu verringern. Doch ein Logo zu | |
entwerfen, Flyer zu drucken und sich gemeinsam mit dem Handel hinzustellen | |
und zu hoffen, mit ein bisschen bunter Aufklärung über das | |
Mindesthaltbarkeitsdatum werde sich das Problem schon lösen, reicht nicht. | |
Es ist vielmehr eine typische Aigner-Aktion: Versuchen wir mal den Weg des | |
geringsten Widerstandes und setzen beim Verbraucher an, anstatt dort, wo es | |
wehtut, nämlich bei der Industrie. | |
## Schlechtes Gewissen | |
Denn das Mindesthaltbarkeitsdatum ist – das darf man nicht vergessen – eine | |
Vorschrift ganz im Sinne der Wirtschaft. Dazu gehört auch, dass zu vielen | |
Verbrauchern tatsächlich nicht klar ist, dass ein Mindesthaltbarkeitsdatum | |
wirklich etwas mit „mindestens“ zu tun hat. Sie halten ein Produkt nach dem | |
verstrichenen Zeitpunkt fälschlicherweise für nicht mehr essbar, werfen es | |
in den Müll – und kaufen dann ein neues. Immerhin geschieht das Wegwerfen | |
angeblich schlechten Gewissens, auch das hat die Umfrage ergeben, nur | |
ändert das am Ergebnis nichts. | |
Verschärft wird das Problem noch durch die Hamstermentalität: Wer auf | |
Vorrat kauft und dann die Packung hinten im Schrank oder Kühlschrank | |
vergisst und wegwirft, hat mehr gekauft und ausgegeben als nötig. Super für | |
die Industrie, das kurbelt den Umsatz an. Schlecht für den Geldbeutel und | |
die Umwelt, durch zusätzlichen Ressourcenverbrauch. | |
Konsequent wäre eine radikale Lösung: Mindesthaltbarkeitsdatum abschaffen. | |
Nein, das würde nicht dazu führen, dass Händler nun regelmäßig verdorbene | |
Milch und vergammelten Käse verkaufen – zumindest nicht in größerem Maß, | |
als das jetzt schon der Fall ist. Denn für verderbliche Produkte, deren | |
Verzehr nach einer gewissen Zeit zu gesundheitlichen Problemen führen | |
könnte, ist ein Verbrauchsdatum nötig. Das gibt es bereits bei Fleisch oder | |
Fisch, die nach dem Ablauf gar nicht mehr verkauft werden dürfen und auch | |
nicht mehr gegessen werden sollten. Jeder, der weiß, wie eine | |
Salmonellenerkrankung verläuft, wird sich tunlichst daran halten. | |
Was wegfallen würde? Das Überflüssige. Mindesthaltbarkeitsdaten auf | |
Mineralwasser zum Beispiel. Dort geben die Hersteller mitunter nur ein | |
halbes Jahr an. Und bei Salz, Kaugummi oder Wein geht es schließlich jetzt | |
schon ohne. | |
19 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Lebensmittel | |
Gastronomie | |
Containern | |
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