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# taz.de -- Debatte Ölpreise: Zeitalter ohne Happy End
> Hohe Benzinpreise garantierten keinen schnellen Ausstieg aus dem Erdöl –
> im Gegenteil. Die Ölkonzerne verdienen so gut, dass sie noch mehr
> Ölkatastrophen in Kauf nehmen.
Bild: Für die Ölkonzerne lohnt sich die Umweltverseuchung.
Die spannende Frage zu den derzeitig hohen Benzinpreisen lautet: Führen sie
zu einem schnelleren Ausstieg aus dem Erdölzeitalter? Und wie wird dieser
Ausstieg gestaltet?
Jenseits von so öden wie populistischen Diskussionen um eine Erhöhung der
Pendlerpauschale lautet die allgemeine Erzählung, die Teuerung sei eine
Chance, erleichtere sie doch den Abschied vom Öl. Investitionen in
effizientere Techniken und in die Erforschung alternativer Energien wie
Elektroautos oder erneuerbare Energien rechneten sich inzwischen.
Die stetig steigenden Preise nach dem „Peak-Oil“ zwängen Politik und
Wirtschaft, die Zeit des immer knapperen und damit teureren Rohstoff aktiv
zu gestalten. Doch die Vorstellung, ein hoher Ölpreis allein eröffne
ökologisch gesehen neue Möglichkeiten, trügt.
Die Rechnung geht nicht auf, weil derzeit vor allem die Ölkonzerne von den
hohen Preisen profitieren. BP, Shell, Total oder die russische Rosneft –
sie alle freuen sich über sprudelnde Gewinne und kündigten jüngst an, in
den nächsten Jahren deutlich mehr zu investieren und mehr Öl zu fördern als
bisher. Bohrungen in der Tiefsee, die Ausbeutung von Ölsanden in Kanada und
Venezuela oder die Erschließung von Vorkommen in der Arktis erfordern hohe
Investitionen. Die Konzerne gehen davon aus, dass sie sich künftig rechnen
werden.
## Katastrophen werden sich häufen
Man muss kein Pessimist sein, um anzunehmen, dass sich damit Katastrophen
wie der Untergang der „Deepwater Horizon“, wodurch der Golf von Mexiko
verseucht wurde, häufen werden. Die Bohrtechnik in der Tiefsee ist nicht
beherrschbar. Um an das Öl in den riesigen Teersandvorkommen im Norden und
Süden Amerikas zu gelangen, werden Unmengen an Wasser und Energie
verbraucht; die nördlichen Urwälder Kanadas werden zerstört, Moore trocken
gelegt, das Grundwasser wird vergiftet.
Und der russische Staat verdient so gut am schwarzen Gold, dass sein
Konzern die immensen Verluste durch marode Pipelines lässig ignorieren
kann. Das Ende des Ölzeitalters droht zum ökologischen Fiasko zu werden.
Bestrebungen der Regierungen, die Konzerne an den hohen Kosten der durch
sie verursachten Verheerungen am Lebensraum zu beteiligen, sind nicht in
Sicht.
Und selbst die „Zeit danach“ bietet beunruhigende Perspektiven. Dabei ist
klar, dass die Welt nach dem Ende des Erdöls eine andere sein wird als
heute. Bislang liefert Erdöl weltweit über ein Drittel der erzeugten
Energie, in Deutschland bildet das Erdölderivat Naphta 80 Prozent der
Rohstoffbasis für die chemische und nachgelagerte Industrie.
Ob Energieversorgung und Ressourcennutzung nach dem Öl aber ökologischer
und gerechter sein werden, ist bislang alles andere als ausgemacht. Derzeit
sind viele Entwicklungspfade denkbar, und kaum einer führt zu einer
nachhaltigen Wirtschaft. So ist die Gleichsetzung von „Elektroauto“ mit
„Öko-Auto“ erwiesenermaßen fahrlässig, wenn Mobilität mit Batterie auf
Atomstrom oder Kohle setzt – genauso wie das Recycling von Metallen
mitunter ungeheuer energieaufwendig ist.
## Der Druck steigt
Auch nachwachsende Rohstoffe als Grundlage für Treibstoff oder als neue
Basis für die Chemie- und Kunststoffindustrie sind für sich genommen keine
Lösung. Werden künftig massenhaft mehr Pflanzen nicht nur zur
Nahrungsmittelproduktion, sondern als Rohstoff für die Industrie angebaut,
steigt der Druck auf den fruchtbaren Boden. Die Landwirtschaft wird sich
weiterhin intensivieren, sie wird eher mehr als weniger Wasser einsetzen,
Brachflächen werden schwinden.
Das sind keine wilden Horrorszenarien. Nicht nur die Bundesregierung,
sondern auch die USA, China und Brasilien investieren Milliarden von
Fördergeldern in die Entwicklung von Technologien auf der Basis
„nachwachsender Rohstoffe“ und in die Elektromobilität. Um Nachhaltigkeit
und Klimaschutz geht es dabei, wenn überhaupt, nur am Rande. Erklärtes Ziel
ist hingegen der Erhalt von Mobilität und von Industriearbeitsplätzen.
Die „Rohstoffwende“, weg vom Öl, hin zu erneuerbaren Energien, aber auch
weg von der gedankenlosen Nutzung von primär, also durch Bergbau gewonnenen
Mineralien und Metallen hin zu einer wirklichen Kreislaufwirtschaft, bietet
eine Chance für eine Wirtschaft, die sorgfältiger mit den begrenzten
Ressourcen der Erde umgeht: mit Wasser, Boden, Luft, mit der
Aufnahmekapazität der Atmosphäre und der Meere für Schadstoffe.
Um das zu erreichen, sind neue Technologien notwendig. Und noch wichtiger
sind soziale Innovationen. Wir brauchen neue Konsummodelle, die ohne die
Vernichtung von Rohstoffen auskommen, neue Modelle sozialer Sicherung, die
nicht auf ein beständiges Wachstum der Wirtschaft angewiesen sind. Wir
müssen Mobilität anders organisieren und Arbeit neu verteilen. Das sind die
eigentlichen Themen, um die es bei der Rohstoffwende geht.
## Lokale Genossenschaften
Es gibt einen rege diskutierenden Teil der Zivilgesellschaft, der das
längst verstanden hat. Der die Energieversorgung in die eigenen Hände nimmt
und versucht, sie lokal und genossenschaftlich zu organisieren. Oder
Konsumenten, die einen Bezug zur Produktion ihrer Lebensmittel herstellen
wollen und sich in Projekten der Community-supported agriculture
engagieren.
Doch nicht nur die Debatte in der Bundestags-Enquete-Kommission für
Nachhaltigkeit zeigt, dass solche alternativen Formen des Konsumierens und
Produzierens auf der Ebene institutionalisierter Politik bislang kaum
wahrgenommen werden. Dort, wo diese ihre Zukunftsentwürfe beschreibt, etwa
in den Forschungsrahmenplänen auf nationaler oder Brüsseler Ebene, geht es
nämlich vor allem um technologische Innovationen, die ein weiteres
Wirtschaftswachstum garantieren sollen. Unverändert gilt in den
Industrieländern der Rohstoff- und Energiewende das Motto: Alles muss sich
ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist.
Ein hoher Ölpreis ändert daran nichts. Zumindest nicht, solange die Gewinne
weiter an die Konzerne fließen, die mit Hilfe der etablierten Politik die
Industriegesellschaft der Zukunft so organisieren wollen wie die von
gestern.
6 Apr 2012
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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