# taz.de -- Grüne reagieren auf Piraten in NRW: „Wir sind doch nicht ignoran… | |
> Im Angesicht der Piraten: Vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen | |
> fordert die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann eine | |
> ökologisch-industrielle Revolution. | |
Bild: Die Grünen nehmen die Herausforderung der Piraten im NRW-Wahlkampf an. | |
Frau Löhrmann, tragen Sie eigentlich aus Gründen der Corporate Identity | |
stets einen grünen Blazer oder weil sie ihn wirklich schön finden? | |
Sylvia Löhrmann: Beides. Ich mag die grüne Farbe wirklich, sie hat etwas | |
Beruhigendes. Ich habe aber auch vieles in Blau. Doch wenn man schon in | |
einer so tollen Partei ist, kann man das auch äußerlich zum Ausdruck | |
bringen. | |
Ihre Partei finden inzwischen nicht mehr so viele toll. Nach der jüngsten | |
Umfrage stehen die Grünen in NRW nur noch bei 11 Prozent, vor einem Jahr | |
waren es noch bis zu 24 Prozent. Was haben Sie falsch gemacht? | |
Als die Umfragen für uns besonders hoch waren, gehörte ich zu jenen, die | |
gesagt haben: Leute, bleibt auf dem Teppich. Auch jetzt lasse ich mich | |
nicht von den Demoskopen verrückt machen. Entscheidend ist, was am 13. Mai | |
nach 18 Uhr ausgezählt wird. | |
Bereuen Sie es denn nicht schon, Neuwahlen provoziert zu haben? | |
Wir haben nichts provoziert und nichts inszeniert. Man darf mit Neuwahlen | |
nicht spielen. Das ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. Der | |
Maßstab für Grüne und SPD war einzig und allein: Bleibt die rot-grüne | |
Minderheitsregierung handlungsfähig? Das war nach der Ablehnung unseres | |
Haushalts in der zweiten Lesung nicht mehr gegeben. Es ist an der Zockerei | |
der FDP gescheitert. | |
Ihre schwächelnden Umfrageergebnisse liegen im Bundestrend. Wie zufrieden | |
sind Sie sie eigentlich mit Ihrem Berliner Spitzenpersonal? | |
Ich bin froh darüber, dass wir in Berlin mehrere authentische und | |
glaubwürdige Führungspersönlichkeiten haben, die für unterschiedliche | |
Zielgruppen und Themenfelder stehen – von gelungener Integration über | |
Verbraucherschutz bis hin zu Finanz- und Europakompetenz. | |
Wen wünschen Sie sich als Spitzenkandidatin oder -kandidaten? | |
Ich wünsche mir ein Duo. | |
Sie meinen also Sebastian Nerz und Marina Weisband? Die Piraten rangieren | |
ja inzwischen vor Ihrer Partei. | |
Wohl kaum. Die Umfrageschwankungen zeigen doch nur, dass sich niemand | |
einbilden kann, Wählerinnen und Wähler für immer gepachtet zu haben. | |
Selbstverständlich ist die Piratenpartei für uns eine Herausforderung. Auch | |
wenn es vornehmlich ihre Anmutung ist, die im Moment den Zuspruch | |
auszumachen scheint, und weniger die Frage der inhaltlichen Konsistenz | |
ihres Programms, setzen wir uns sachlich mit ihnen auseinander. | |
Haben Sie sich mal das Programm der Piraten angeschaut? | |
Wir sind doch nicht ignorant. Deshalb hat mich auch die Aussage des | |
FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner schon verwundert, dass er die | |
Piratenpartei nicht ernst nehmen würde. Gerade er sollte sie ernster | |
nehmen, weil nicht unwesentliche Teile von Zuschreibungen, die bei der FDP | |
mal verortet waren, auf die Piratenpartei zutreffen. Es ist kein Zufall, | |
dass Manche aus der Piratenpartei sich selbst als „die neue FDP“ | |
bezeichnen. | |
Manche erinnern die Piraten eher an die frühen Grünen. | |
Vielleicht oberflächlich betrachtet und meinetwegen auch in Bezug auf ihren | |
basisdemokratischen Anspruch. Aber damit können wir selbstbewusst umgehen: | |
Wer hat denn die Basisdemokratie erfunden? | |
Zeigt der Erfolg der Piraten nicht ein großes Bedürfnis nach mehr | |
Basisdemokratie? | |
Das Prinzip, wir machen Betroffene zu Beteiligten, gab es schon vor der | |
Piratenpartei. Wir haben mit der rot-grünen Minderheitsregierung mehr | |
direkte Demokratie in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt: von der | |
Erleichterung von Bürgerbegehren bis zu der Schaffung der Möglichkeit, dass | |
Bürgerinnen und Bürger selbst die Abwahl von Bürgermeistern einleiten | |
können. | |
Schmerzt es Sie nicht, dass die Grünen inzwischen auch in NRW hinter den | |
Piraten liegen? | |
Die entscheidende Frage ist doch: Will man einer Regierung, die gute Arbeit | |
geleistet hat, jetzt eine klare Mehrheit geben, damit sie ihre Arbeit | |
fortsetzen kann? Oder riskiert man aus einem diffusen Gefühl heraus, es | |
„denen da oben“ mal zeigen zu wollen, am Ende bei einer großen Koalition zu | |
landen? Darum geht es am 13. Mai. | |
Hat man den Grünen in ihrer Gründungszeit nicht auch entgegengehalten: | |
Lieber weiter das kleinere Übel SPD wählen, denn wer Grün wählt, wählt | |
Franz Josef Strauß? | |
Also bei allem Respekt: Die Grünen hatten schon 1980 ein Konzept für den | |
ökologischen Umbau der Industriegesellschaft – und dieses Konzept ist heute | |
in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Piratenpartei sagt hier mal | |
dies und dort mal jenes. Ökologische, feministische und soziale Fragen | |
beantworten sie gänzlich unterkomplex. Und was die Finanzen angeht, halte | |
ich es mit meinem Kollegen Reiner Priggen: Gegenüber der Piratenpartei ist | |
die Linkspartei ein Sparschwein. Da sah das inhaltliche Angebot der Grünen | |
bei aller Heterogenität meiner Partei immer anders aus. Im Übrigen tritt | |
die Piratenpartei, wie auch die FDP, mit einer Männercrew an. Bei uns | |
stehen die Frauen in der ersten Reihe – und zwar schon immer. Auch auf | |
diesen Unterschied lege ich Wert! | |
Rechnen Sie weiter fest damit, dass Sie auch der nächsten Landesregierung | |
angehören? | |
Unser Ziel ist das natürlich. Die Bilanz der rot-grünen | |
Minderheitsregierung ist gut. Wir haben in den vergangenen zwanzig Monaten | |
vieles erreicht: von der Abschaffung der Studiengebühren über | |
Windkrafterlass und kommunalem Rettungsschirm bis zum Schulkonsens. | |
Gleichwohl gibt es Unwägbarkeiten: Es könnten nur drei, aber auch sechs | |
Fraktionen im kommenden Parlament sein. Dann könnte es schwierig werden. | |
Wenn es keine klare Mehrheit für Rot-Grün gibt, droht die große Koalition. | |
Das wäre dann die wahrscheinlichste Variante. Das muss den Wählerinnen und | |
Wählern klar sein. | |
Könnten Sie dann nicht immer noch eine Ampel machen? | |
Wenn meine Oma Räder hätte, wäre sie ein Fahrrad. Lindner behauptet, die | |
FDP habe sich runderneuert. Doch das ist eine Mogelpackung. Es sind alles | |
die gleichen Gestalten, und die FDP hat sich auch inhaltlich nicht | |
verändert. Im Bundestag hat Herr Lindner alles immer mitbeschlossen, was | |
für NRW schädlich ist, ausnahmslos. Insofern ist er ein typischer | |
FDP-Apparatschik. Wenn Herr Lindner etwas kann, dann den Mist, den FDP in | |
Land und Bund angerichtet hat, schönzureden. Dieser Mann hat keine Substanz | |
und sollte in Nordrhein-Westfalen keine Verantwortung tragen. | |
Sehen Sie es eigentlich als Anerkennung ihrer Arbeit in der | |
Landesregierung, dass Ex-SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement jetzt | |
Wahlkampf für die FDP macht? | |
Das macht es noch mal einen Tick herausfordernder, weil Wolfgang Clement | |
für die alte antiökologische Beton-SPD steht. Insofern ist es gut, dass | |
Herr Clement mit seiner Unterstützung der FDP deutlich macht, wie viel | |
altes Denken bei der FDP verwurzelt ist. Wir brauchen eine | |
ökologisch-industrielle Revolution – die Grünen sind dafür die | |
Antriebsfeder. Wir stehen für eine neue grüne Industriepolitik und nicht | |
die alte von Clement & Co. | |
Bei aller demonstrativen Harmonie zwischen Frau Kraft und Ihnen: Es gibt | |
doch auch handfeste Differenzen zwischen SPD und Grünen. | |
Wir haben keine Fundamentalkonflikte mehr, sondern eine Gesamtlinie, die | |
ähnlich ist. Aber natürlich gibt es Unterschiede, die liegen besonders im | |
Bereich der Energie- und im Bereich der Mobilitätspolitik. Bisher sind uns | |
jedoch immer Verständigungen gelungen. Das wird auch weiter so sein. | |
Eine Differenz ist der Umgang mit der Urananreicherungsanlage in Gronau, | |
die immerhin jedes zehnte AKW weltweit mit Brennelementen beliefert. Wann | |
steigt Rot-Grün endlich aus der Atomenergie aus? | |
Die Urananreicherungsanlage ist ein Problem, keine Frage. Unsere Wähler | |
können sich darauf verlassen, dass das für uns ein wichtiges Thema ist, bei | |
dem wir umsetzen wollen, was möglich ist. Aber ich kann kein Versprechen in | |
die Welt setzen, dass wir Gronau morgen stilllegen. Dazu fehlen der | |
Landespolitik die Möglichkeiten. Aber wir haben die Anlage mit eingebracht | |
in die Gespräche über den Ausstieg aus der Atomenergie. Diese Frage kommt | |
auch bei Koalitionsverhandlungen natürlich wieder auf den Tisch. Ein | |
Problem ist allerdings auch der etwas zögerliche Bundesminister, der für | |
die Atomaufsicht zuständig ist. Um das mal vorsichtig zu formulieren. Herr | |
Röttgen redet zwar manchmal grün, aber er handelt nicht grün. Zwei | |
Attribute passen genau auf ihn: Wankelmut und Unglaubwürdigkeit. | |
Das klingt nach enttäuschter Liebe. Sie galten mal als Anhängerin von | |
Schwarz-Grün. | |
Quatsch, ich verstehe die Grünen als eine eigenständige politische Kraft, | |
die sich nicht über die Nähe oder Distanz zu irgendwem definiert. Aber es | |
ist doch klar: Die Zusammenarbeit mit der SPD hat sich bewährt. Das führt | |
uns zu einer klaren Wahlaussage: Wenn Rot-Grün geht, dann machen wir das – | |
mit hoffentlich starken Grünen. Punkt. Alles andere steht doch überhaupt | |
nicht zur Debatte. Ich habe persönlich nichts gegen Herrn Röttgen, wie ich | |
auch persönlich nichts gegen Herrn Lindner, Frau Schwabedissen oder Herrn | |
Paul habe. Aber ich finde, das Land ist mit einer Regierung aus Grünen und | |
SPD in guten Händen. | |
17 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
P. Beucker | |
A. Wyputta | |
## TAGS | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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