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# taz.de -- Demografie-Erhebung in Deutschland: Die Zukunft ist silbergrau
> Deutschland veraltet zunehmend. Faktoren wie Arbeit, Wohnen und
> Gesundheit ändern sich, Politik und Wirtschaft müssen sich anpassen. Ein
> Blick auf die nächsten 50 Jahre.
Bild: „Die Lebenserwartung ist in 100 Jahren erheblich gestiegen, der Zeitpun…
## Nebenjobben, Billigjetten und Dauersurfen
Eins ist sicher: Das gesetzliche Rentenniveau sinkt. Nach Zahlen der
Deutschen Rentenversicherung wird sich das Nettorentenniveau bis 2030 um
etwa 12Prozent vermindern, hinzu kommen Rentenkürzungen, weil viele Ältere
wahrscheinlich vor dem 67. Lebensjahr mit Abschlägen in den Ruhestand
wechseln.
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband schätzt, dass im Jahr 2030
jeder zehnte Rentner von Grundsicherung leben wird, mit einer Kaufkraft in
Höhe des heutigen Hartz-IV-Satzes. Er warnt daher vor „wachsender
Altersarmut“. Vor allem alleinstehende Frauen sind armutsgefährdet. Ob die
Altersarmut aufgrund der niedrigen gesetzlichen Renten durch Nebenjobs,
Partnerschaften oder Erbschaften abgemildert wird, ist schwer abzuschätzen.
In Deutschland steigt heute schon die Zahl der MinijobberInnen im
Rentenalter. Zum Vergleich: In Japan, der Nation der Greise, ist von den
65- bis 69-Jährigen die Mehrzahl noch erwerbstätig, die meisten davon in
Teilzeit.
Inwieweit sich Leute mit niedrigen Renten künftig von der Gesellschaft
ausgeschlossen fühlen, dürfte zudem von der Umgebung abhängen: Wenn viele
Menschen weniger zum Leben haben, passen sich die Subkulturen
möglicherweise dem niedrigen Konsumniveau an. Zum Vergleich: Im Jahre 1960
lag das Rentenniveau einer Angestelltenwitwe bei 157 Mark monatlich, das
war in heutiger Kaufkraft eine Rente von 322 Euro, davon musste auch die
Miete bezahlt werden. Ein über 65-Jähriger auf Grundsicherung bekommt heute
inklusive des Mietzuschusses doppelt so viel.
In der Nachkriegszeit entwickelten sich Subkulturen der Bescheidenheit
unter den RentnerInnen. Freizeitaktivitäten, die nichts kosten und die
Glückshormone anregen wie Wandern und Singen, waren beliebt. Das könnte
sich in den kommenden Jahrzehnten wiederholen, statt Busreisen können sich
die Alten dann aber wohl immer noch Billigflugreisen leisten.
Auch die Unterhaltungsmöglichkeiten durch das unentgeltliche Internet
dürften künftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Von einem „rasanten
Zuwachs“ der Älteren in den sozialen Netzwerken sprach kürzlich der
Branchenverband Bitkom. Schon heute nutzen von den Online-Usern im Alter
zwischen 65 und 69 Jahren rund 40 Prozent soziale Netzwerke. Wenn die
internetaffinen Jahrgänge alt werden, dürfte das Netz erst recht zum
bequemsten Kommunikationsmittel für Menschen werden, die gerne zuhause
bleiben und im Web nach alten Freunden fahnden. Leute im Rentenalter
verbringen heute schon rund 80 Prozent ihrer Zeit zuhause. DRIB
## Zurück in die Stadt: Wohnen im Büro
Noch eine Seniorenresidenz, noch eine und noch eine – Städte und Gemeinden
stellen sich auf die alternde Gesellschaft ein, sagt der Stuttgarter
Architekt Stefan Behnisch: „Wir merken das daran, dass die Zahl der
Ausschreibungen stark zunimmt.“ „Nur“, so Behnisch: „Das ist der falsche
Weg.“ Es gehe nicht darum, ein paar Altenheime zu bauen, sondern die Städte
altengerecht umzubauen.
Die Stadtplaner sind sicher: Die Bürger werden enger zusammenrücken und vor
allem aus den Speckgürteln zurück in die Stadt ziehen. Endlich wieder Kino,
Oper, Theater, Restaurants – vor allem nach dem Auszug der Kinder, der
Empty-Nest-Phase. Dafür müssen Bushaltestellen und Fußgängerwege ausgebaut,
mehr Parks geschaffen werden. Das bestätigt auch Architekt Behnisch: „20
Prozent der Eltern wollen wieder zurück in die Stadt, sobald die Kinder aus
dem Haus sind“ – Tendenz steigend.
Natürlich werde es immer Leute geben, die auf dem Land wohnen bleiben,
räumt Konrad Götz ein, Lebensstilforscher am Frankfurter Institut für
sozial-ökologische Forschung, ISOE. „Doch wer keine totale Landratte ist,
zieht weg, erst recht wenn die Bank, der Supermarkt, die Hausarztpraxis
schließt.“ Vorbei seien die Zeiten, wo Ältere sich damit zufrieden gaben,
Oma oder Opa zu sein. Sie wollten mitmachen.
Hamburg und Köln, Stuttgart und München, Jena, Dresden und Leipzig würden
attraktiv – und die Nutzung anders. Denn die Überalterung der Gesellschaft
käme zusammen mit Veränderungen in der Arbeitswelt, meint Behnisch. Und
gearbeitet werde vor allem zuhause, Büros würden nur noch gebraucht, um
KollegInnen zu treffen, also als „Kommunikationszentren“. Darum würden
Büros umgebaut – zu Wohnungen. „Wir können doch nicht alles abreißen und
neu hochziehen“, sagt Behnisch.
Und in den neuen Wohnungen lebt dann jeder für sich allein? Tatsächlich
wird die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte weiter steigen. In
Metropolen wie Berlin, so schätzt das Statistische Bundesamt, wird im Jahr
2030 in knapp 60 Prozent der Haushalte nur noch eine Person wohnen. Damit
die Älteren nicht alleine in Räumen leben, die einst für die ganze Familie
gebaut wurden, sollen Wohnungen und Häuser leichter umzubauen sein.
Architekten entwickeln sogenannte Swing Spaces, in denen sich Räume je nach
Bedarf der einen oder anderen Wohnung zuschlagen lassen. Die Wände bleiben,
wo sie sind, Türen werden zur einen Wohnung dazugebaut, zur anderen
durchgebrochen. Aus dem Familienhaushalt lässt sich dann leichter eine
Einpersonenwohnung machen.
Noch sind das Experimente. Aus ökonomischen Gründen kommen womöglich auch
einfachere, alte Wohnkonzepte zurück, erleben die „Untermiete“ und die
Wohngemeinschaft eine Renaissance.
Denn der Rückzug in die Städte ist so billig nicht zu haben. Die Planer
sind sich einig, dass die Preise in den Städten steigen, die im Umland
langfristig verfallen. Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung
und Entwicklung, macht denn auch einen Nachteil an der Reurbanisierung aus:
„Sie funktioniert nur, solange es noch Käufer gibt für die Eigenheime mit
begrenzter ästhetischer Halbwertszeit.“
Werden nur noch Reiche in den Städten leben? „Nein“, sagt Behnisch, „die
Armen sind doch längst da, und unsere Antwort kann ja nicht sein, nur
Sozialwohnungen zu bauen.“ GERS
## Körper und Sex, Pflege und Selbstfürsorge
Auch wenn viel von den „fitten Alten“ die Rede ist, wird sich das
Körperbild einer ganzen Generation verändern. „Die Lebenserwartung ist in
100 Jahren erheblich gestiegen, der Zeitpunkt der Menopause aber kaum“,
sagt Alfred O. Mueck, Präsident der Deutschen Menopause-Gesellschaft, der
taz. Im Schnitt kommen Frauen statt wie damals mit 49 heute mit 51 Jahren
in die Wechseljahre. Auch bei Männern macht sich ab Mitte 40 das Alter
bemerkbar. Zeichen der Verweiblichung, wie etwa Fettansätze an der Brust,
sind häufig.
Möglicherweise verschieben sich durch die Überalterung auch die Maßstäbe
für sexuelle Attraktivität. Heute schon sind in Fernsehkrimis und selbst in
der Modebranche erheblich mehr ältere Frauen als früher zu sehen, die als
attraktiv gelten. Derweil steigt die Zahl der Männer, die sich unters
Messer der Schönheitschirurgen legen.
Wie steht es mit der Sexualität in einer Gesellschaft, deren Hormonspiegel
im Durchschnitt tiefer liegt als heute? Hormontherapien für Frauen wie für
Männer sind hoch umstritten und der Absatz von Viagra stagniert seit langem
in Deutschland. Die Zahl der Singles steigt, die Fürsorge für den eigenen
Körper könnte daher eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Das
Sich-selbst-Verwöhnen ist heute schon das tragende Motto in der
Wellnessindustrie – siehe die Fitness- und Heilmethoden von Power-Gymnastik
bis Ayurveda. Für die Alten von morgen expandiert vielleicht auch der Markt
für mentales Fitnesstraining, etwa durch interaktive Trainingsspiele an
Laptop oder Handy.
Die Gebrechlichkeit wird man damit nur wenig eindämmen können: Die Zahl der
Pflegebedürftigen wird nach Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes
bis zum Jahre 2030 um 1 Million auf 3,4 Millionen Menschen wachsen, bedingt
durch die vielen Hochbetagten. Alle Experten gehen davon aus, dass die
Pflegeversicherung mehr Geld braucht. Der Beitragssatz liegt derzeit bei
knapp 2 Prozent. Wird die Pflegeversicherung finanziell nicht besser
ausgestattet, besteht die Gefahr, dass sich künftig nur noch Vermögende
eine menschenwürdige Versorgung leisten können.
An den meisten Pflegebedürftigen hängen Angehörige, die eine Betreuung
organisieren müssen. Wo früher vor allem weibliche Familienmitglieder für
die Pflege zuständig waren, ist der Anteil der Ehemänner und Söhne
inzwischen auf ein Viertel der Pflegepersonen gestiegen. Die betreuenden
Angehörigen „leben heute seltener mit der pflegebedürftigen Person in einem
Haushalt zusammen“, heißt es in einem Bericht des
Bundesgesundheitsministeriums. Oft werden ambulante Dienste in die
Versorgung mit einbezogen.
Immer mehr auch berufstätige Menschen werden sich in Zukunft mit der
Versorgung von gebrechlichen Angehörigen befassen. Auf die Einzelkinder
kommt eine besonders hohe Belastung zu: Sie müssen sich sowohl um die
Mutter als auch den Vater kümmern. DRIB
24 Apr 2012
## AUTOREN
B. Dribbusch
H. Gersmann
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