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# taz.de -- Privatsphäre im Netz: „Als Exhibitionismus missverstanden“
> Betreiben junge Erwachsene auf Facebook naiven Seelenstrip oder Eigen-PR?
> Soziologe Jan-Hinrik Schmidt über die schwammige Grenze von privat und
> öffentlich im Netz.
Bild: Wer darf mein Gesicht sehen? Im Netz hat jeder selbst die Kontrolle.
taz: Herr Schmidt, Sind alle Facebook-Nutzer Exhibitionisten?
Jan-Hinrik Schmidt: Der Wunsch junger Menschen, sich zu offenbaren, ist
heute so stark wie vor zwanzig Jahren. Was sich mit den sozialen Netzwerken
geändert hat, sind die Praktiken und der Kontext von Selbstdarstellung. Das
wird von vielen älteren Menschen als Exhibitionismus missverstanden.
Im Spiegel stand letzte Woche der Satz: „Auf die Jüngeren wirken
Befürchtungen zu Vorratsdatenspeicherung oder polizeilicher
Funkzellenabfrage schrecklich antiquiert“. Stimmen Sie zu?
Nein. Studien belegen, dass Privatsphäre von jungen Menschen nach wie vor
als wertvoll empfunden wird. Die gesellschaftlichen Vorstellungen davon,
was privat ist und was nicht, haben sich in der Geschichte immer geändert.
Facebook und Twitter haben in den letzten Jahren angestoßen, dass sich die
Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit einmal mehr verschieben.
Wo verläuft die Grenze zwischen privat und öffentlich im Netz?
Sie ist schwammig. Wenn ich ein Foto von mir auf meinem Facebook-Profil
poste, heißt das nicht, dass ich meine Privatsphäre verlasse. Denn dort
wende ich mich ausschließlich an Leute, die ich im besten Fall alle zu mir
ins Wohnzimmer einladen würde. Allerdings ist das tatsächliche Publikum
manchmal größer, als das beabsichtigte. Das liegt an den technologischen
Eigenschaften des Internets, die für den Einzelnen nicht immer überschaubar
sind.
Betreiben junge Erwachsene auf Facebook denn wirklich naiven Seelenstrip?
Oder eher gezielte Eigen-PR?
Wie authentisch die geteilten Informationen sind, ist Sache jedes
Einzelnen. Sicher kehren viele bewusst nur ganz bestimmte Facetten von sich
nach außen. Die eine gibt die smarte Jurastudentin, der andere will als
Fußballfan gesehen werden. Das hat aber nichts mit Täuschung tun. In allen
gesellschaftlichen Situation präsentieren wir uns in bestimmten Rollen. Es
ist vielmehr eine Strategie, um die Privatsphäre zu wahren.
Stichwort Acta: gibt es unter jungen Menschen eine Sensibilisierung für den
Umgang mit privaten Daten?
Die Proteste wurden von jungen Leuten getragen, die nicht wollten, dass
über ihren Kopf hinweg Gesetze beschlossen werden, die ihren ganz
persönlichen Alltag bestimmen. Trotzdem können viele wohl wenig mit diesem
Thema anfangen.
Tatsächlich nutzen aber immer mehr Jugendliche die
Privatsphäre-Einstellungen auf Facebook, um ihre Profile schwerer
zugänglich zu machen. Das liegt zum Teil an Debatten über die Risiken von
sozialen Netzwerken, die in den Medien, an Schulen und in den Familien
geführt wurden. Aber die meisten kommen mit dem Erwachsenwerden ohnehin zur
Erkenntnis, dass sie nicht alles mit allen teilen wollen.
Hat Facebook gerade für die Persönlichkeitsentwicklung von Teenies auch
Vorteile?
Auf jeden Fall. Durch ihre Selbstdarstellung drücken sie Vorlieben,
Haltungen und Geschmäcker aus, machen deutlich, welcher Szene oder
Subkultur sie sich zugehörig fühlen. Und sie erhalten Feedback von ihren
Altersgenossen. Das hilft ihnen herauszufinden, wer sie sein wollen.
Allerdings müssen ihre Netzkompetenzen weiter gestärkt werden, damit sie
ihre Privatsphäre kontrollieren können. Dazu gehört beispielsweise, dass
sie lernen, Werbung von redaktionellen Inhalten und Fiktion von
Authentizität zu unterscheiden. Da müssen die Schulen ran, aber man darf
auch Eltern, Politik und Zivilgesellschaft nicht aus der Verantwortung
lassen.
Jedes Like auf Facebook ist ein kleines Votum. Machen soziale Netzwerke
Jugendliche zu besseren Demokraten?
Mit dem Like-Button können junge Menschen Präferenzen zum Ausdruck bringen,
aber ich würde ihn nicht überhöhen. Das Äußern von Präferenzen ist die
niedrigstschwellige Stufe von demokratischer Teilhabe. Mindestens so
wichtig ist es, Argumente zu artikulieren und für die eigenen Interessen
einzustehen. Trotzdem hat unter anderem der arabische Frühling gezeigt, was
junge Menschen mit sozialen Netzwerken erreichen können.
Verändert Facebook die Öffentlichkeit?
Ja. Früher waren Medien der einzige Filter für Informationen.
Facebook-Nutzer filtern ihre Informationen selbst, zum Beispiel indem sie
entscheiden, dass neben den Posts von Freunden auch der Twitter-Account der
taz ihren Newsfeed erreicht. Durch ihre Likes steuern sie die
Informationsströme, die sie erreichen. Jeder baut sich seine eigene
Öffentlichkeit.
Macht das Web 2.0 uns also zu wissenderen Bürgern?
Diese Frage ist noch nicht beantwortet. Auf der einen Seite steht das
Argument, dass Netzwerke den Informationsfluss verstärken. Es gibt aber
auch die Meinung, dass die Filterfunktionen der Nutzer-Plattformen uns
viele Informationen vorenthalten. Das liegt daran, dass wir die
Informationen auf Grundlage unserer früheren Likes zugeführt bekommen.
Wir kriegen also nur zu sehen, was uns schon einmal gefallen hat.
Abweichende, überraschende Meinungen bleiben uns deshalb oft verborgen. Das
ist gefährlich, wenn junge Menschen nicht mehr wissen, dass sie eine
gefilterte Weltsicht vorgesetzt bekommen. Allerdings kann man die
Software-Systeme auch so gestalten, dass nicht nur Nischen-Informationen
angezeigt werden.
Was bedeutet es, nicht Mitglied in einem sozialen Netzwerk zu sein?
Für junge Erwachsene ist das schwierig. Man muss auf Facebook sein, um den
Anschluss zu behalten. Außerdem haben die Mitglieder deutlich vielfältigere
Möglichkeiten, sich über bestimmte Interessen zu informieren. Gerade
deshalb sollten auch die aktiven Kompetenzen im Umgang mit sozialen
Netzwerken stärker vermittelt werden. Einfacher gesagt, gerade
Heranwachsende sollten lernen, wie sie die neuen Technologien einsetzen
können, um ihre Stimme zu erheben und sich für ihre Interessen stark zu
machen.
Berichten die deutschen Medien ausgewogen über die Gefahren und Chancen des
Internets?
Die Risiken stehen öfter im Vordergrund. Die Herausforderung für
Journalisten ist es, objektiv über eine Technologie zu berichten, die
möglicherweise den eigenen Arbeitsplatz bedroht.
Generell gibt es in Deutschland eine gewisse Technologieskepsis. Solange
sie nicht in Paranoia umschlägt, ist dagegen aber nichts einzuwenden. Die
digitalen Medien haben inzwischen so einen starken Einfluss auf die
Gestaltung der Gesellschaft, dass wir uns umgekehrt fragen müssen, wie wir
die digitalen Medien gestalten wollen. Schreiten wir ein, wenn Dinge in
Software gegossen werden, die wir als Gesellschaft ablehnen?
25 Apr 2012
## AUTOREN
Felix Kartte
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Meta
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