# taz.de -- 9/11-Prozess in Guantánamo: Militärjustiz hinter Stacheldraht | |
> Am Wochenende wird die Anklage gegen die fünf mutmaßlichen Drahtzieher | |
> des 11. September 2001 verlesen. Vor einem Militärgericht, fern der USA. | |
Bild: Nur einige Journalisten werden der Verhandlung beiwohnen. Kaum ein Hinter… | |
WASHINGTON taz | Zehn Jahre und acht Monate danach soll am Samstag die | |
Anklage gegen fünf mutmaßliche Drahtzieher der Attentate vom 11. September | |
2001 verlesen werden. Das Ereignis findet in einem eigens für den Zweck | |
gebauten, und nach innen und außen hermetisch abgeschirmten, Militärgericht | |
auf dem fern der USA gelegenen Militärstützpunkt Guantánamo statt. | |
Damit nichts über die Ermittlungsmethoden der USA – darunter die gegen alle | |
Angeklagten angewandte „Wasserfolter“ – nach außen dringt, filtert ein | |
Geheimdienstmitarbeiter jedes im Gerichtssaal gesprochene Wort. Per | |
Knopfdruck kann er den Ton ausschalten. Das Publikum – und die Journalisten | |
– im Gerichtssaal hören die komplette Verhandlung 40 Sekunden zeitversetzt. | |
Die Anklageverlesung soll der Auftakt zu dem voraussichtlich erst in einem | |
Jahr stattfindenden größten Prozess im „Krieg gegen den Terror“ werden. Es | |
geht um alle 2.976 Ermordeten des 11. September 2001. Und jeder Angeklagte | |
riskiert die Hinrichtung. Doch das öffentliche Interesse hält sich gering. | |
Selbst die Familienangehörigen der Toten haben sich nicht um die wenigen – | |
per Los verteilten – Plätze gedrängelt. | |
## Zuschaueransturm wird nicht erwartet | |
Und auch die sechs Militäranlagen an der Ostküste der USA, wohin die | |
Verhandlungen am Samstag in einem geschlossenen Kreislauf für Angehörige | |
übertragen werden, erwarten keinen Zuschaueransturm. Neben einer Handvoll | |
Familienangehöriger hat das Pentagon eine kleine Gruppe von Journalisten | |
ausgewählt, die in den Gerichtssaal gehen dürfen. | |
Wenige Stunden vor der Anklageverlesung in dem von den Militärs als | |
„historisch“ angekündigten Prozess in Guantánamo hat am Donnerstag von New | |
York aus die US-amerikanische Bürgerrechtsgruppe Aclu beantragt, auf die | |
Zensur im Gerichtssaal zu verzichten. | |
„Das Vorgehen der Regierung ist illegal. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das | |
nichts zu tun“, begründet Hina Shamsi von der Aclu: „Traditionell haben | |
zivile und militärische Gerichte in unserem Land anerkannt, dass es besser | |
ist, die Wahrheit zu zeigen, als sie vor der Öffentlichkeit zu verstecken – | |
ganz egal, wie hässlich die Wahrheit ist.“ | |
## Alle Angeklagten sind im Geheimen gefoltert worden | |
Alle Angeklagten sind nach ihrer Gefangennahme und bevor sie nach | |
Guantánamo gebracht worden sind, für mehrere Jahre an geheim gehaltenen | |
Orten verhört und gefoltert worden. Der in Pakistan geborene, heute | |
46-jährige Ingenieur Chaled Scheich Mohammed soll sich in der | |
Gefangenschaft als „Vordenker“ gegeben und sich damit gebrüstet haben, die | |
Attentate bis ins Detail geplant zu haben. Unter anderem soll er den 19 | |
Flugzeugentführern einen Mindestwortschatz in Englisch beigebracht haben. | |
Neben ihm werden zwei Jemeniten auf der Anklagebank sitzen. Der 33-jährige | |
Walid bin Attasch soll elf der Attentäter bei Nahkampfschulungen | |
ausgewählt, der 40-jährige Ramsi Binalschib soll – nachdem seine vier | |
Visumanträge für die USA gescheitert sind – von Hamburg aus Gelder in die | |
USA an die künftigen Attentäter überwiesen haben. | |
Der aus Pakistan stammende 34-jährige Computerfachmann Ali Abdul Asis, der | |
sich vor den US-Ermittlern Ammar al-Baluchi nenne, wird ebenfalls als ein | |
Möchtegernmärtyrer beschrieben, den das „No“ der US-Einwanderungsbehörden | |
daran gehindert habe, Flugzeugentführer zu werden. Stattdessen soll er sich | |
aus der Ferne um die Reiselogistik der Attentäter gekümmert habe. Der | |
fünfte Mann ist der aus Saudi-Arabien stammende 43-jährige Mustafa | |
al-Hawsawi. Auch er soll Geld und Kreditkarten für einige der Entführer | |
beschafft haben. | |
## Die Angeklagten sehen sich nicht des Mordes schuldig | |
Es ist offen, ob die Angeklagten vor dem Militärgericht an ihren | |
Geständnissen festhalten. Jim Harrington, einer der zivilen Anwälte, die an | |
dem Verfahren in dem mit Militärs gefüllten Gerichtssaal teilnehmen, hat | |
angekündigt, dass die Angeklagten die Vorwürfe von Mord und Terrorismus | |
ablehnen wollen. | |
Die Anklageverlesung von diesem Samstag in Guantánamo ist ein neuer | |
Versuch. Bereits am Ende der Amtszeit von George W. Bush hatte die | |
Militärjustiz eine Anklage gegen dieselben fünf Männer versucht. Sie war | |
damals am Widerspruch des Kongresses in Washington gescheitert. Der | |
verlangte eine Verlagerung des Prozesses vor ein normales Gericht auf dem | |
Territorium der USA. | |
Einer der Demokraten, die damals die Legitimität der Militärjustiz | |
bezweifelten, ist heute US-Präsident. Nachdem Barack Obama sein | |
Versprechen, das Gefangenenlager von Guantánamo binnen eines Jahres zu | |
schließen, nicht eingehalten hat, reformierte er die Regeln für die | |
Militärjustiz. | |
4 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Hungerstreik | |
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