# taz.de -- Energieforscher über japanische Atomlobby: "Das ist ein politische… | |
> Für ein paar Tage muss Japan ohne Atomstrom auskommen. Geht doch, sagt | |
> der Energieforscher Tetsunari Iida. Und warnt: „Die Atomlobby ist zäh“. | |
Bild: Sichtbares Argument gegen Atomkraft: Fukushima. | |
taz: Herr Iida, Japan ist derzeit ohne Atomkraft, die ein Drittel des | |
Stromes lieferte. Warum funktioniert das Land noch? | |
Tetsunari Iida: Wir haben genug konventionelle Kraftwerke. Auch wenn alle | |
Atomkraftwerke stillstehen, gibt es kein Problem mit der Stromversorgung. | |
Das einzige Probleme sind die Brennstoffkosten. Die meisten Kraftwerke | |
werden mit Öl befeuert, das die Industrie teurer kaufen muss. Besonders | |
nachhaltig ist das nicht. Die Regierung sollte sich überlegen, der | |
Industrie unter die Arme zu greifen. | |
Wäre es besser, Atomkraftwerke abgeschaltet zu lassen und durch Öl zu | |
ersetzen, um im Gegenzug die Gefahren von Atomunfällen einzudämmen? | |
Derzeit diskutieren wir in Osaka, unter welchen Voraussetzungen die | |
Atomkraftwerke wieder angefahren werden dürfen. Die Regierung in Tokio hat | |
dafür wenig getan. Es gibt keine ernsthaften Maßnahmen, die Sicherheit zu | |
verbessern. Ohne aus Fukushima wirklich zu lernen, sollte es keinen | |
Neustart geben. | |
Aber einige Kraftwerke könnten wieder angefahren werden, wenn die | |
Sicherheit erhöht wird? | |
Das glaube ich, aber es wird hart. Die Regierung macht nichts dafür. | |
Die Kraftwerke sind wegen der Stresstest heruntergefahren worden. Bringen | |
die nichts? | |
Es gibt ein paar Anordnungen der Regierung in Tokio, was verbessert werden | |
soll. Zum Schutz der Bevölkerung vor Ort tragen die Maßnahmen nicht bei. | |
Simuliert wird etwa die technische Sicherheit bei Erdbeben und Tsunamis, | |
nicht aber menschliches Versagen oder Terrorismus. Der Stresstest bezieht | |
sich nur auf die Hardware der Anlagen. | |
Wer hat ein Interesse, dass die Reaktoren wieder anfahren? | |
Die Industrie, natürlich, um die Kosten für das Öl zu sparen. Die Banken | |
fürchten um die Zahlungsfähigkeit der Energieunternehmen. Da spielen viele | |
Faktoren zusammen. | |
In Japan gibt es den Begriff nuclear village für die enge Verflechtung aus | |
Atomindustrie, Medien und Politik. Bröckelt das Nukleardorf jetzt? | |
Es funktioniert leider immer noch. Das System lebt. Nicht einmal einzelne | |
Verantwortliche sind seit der Katastrophe von Fukushima entlassen worden. | |
Die Regierung, die Politik und die Bürokratie ändern diese Strukturen | |
nicht. Kurz nach dem Atomunfall hat es so ausgesehen, jetzt sind wieder | |
alle zurück im Spiel. In der Debatte um den Neustart wird die Regierung von | |
der Wirtschaft gedrängt, sie schnell wieder hochzufahren, obwohl ein | |
Großteil der Bevölkerung und viele lokale Regierungen dagegen sind. Das ist | |
ein echter politischer Konflikt. Das ist ein politischer Krieg um | |
Atomkraft. | |
Das Atomdorf hat Gegenwind? | |
Es hat immer noch großen Einfluss über die Energiemonopole. Das sind starke | |
Strukturen, die sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges aufgebaut haben. | |
Ihr Institut ist eine der wenigen unabhängigen Einrichtungen für | |
Energieforschung in Japan. Ist Ihre Expertise nach Fukushima stärker | |
gefragt? | |
Wir hatten einen Sprung an Anfragen und öffentlicher Aufmerksamkeit. Vor | |
allem aktive Politiker, die gegen Atomkraft sind. | |
Sie selbst nennen sich einen Aktivisten für eine demokratische | |
Energieversorgung. Wie könnte die in Japan aussehen? | |
Immer mehr Leute befürworten einen Atomausstieg, mittlerweile sind es über | |
80 Prozent der Bevölkerung. Das ist kein kurzfristiges Meinungsbild, | |
sondern ein fundamentaler Wandel. Vor Fukushima sprach niemand über die | |
Existenz des Atomdorfes, die Industriemonopole und deren dunkle Deals im | |
Hintergrund. Niemand kannte die Gefahr von Atomunfällen. Jetzt aber wollen | |
die Menschen keine Atomkraft mehr. Aber unser politisches System ist nicht | |
besonders offen und demokratisch. Die Änderung braucht Zeit. | |
Ab wann könnte erneuerbare Energie die Atomkraft ersetzen? | |
Ich glaube, in den nächsten zehn Jahren wird sich Japan grundsätzlich | |
Wandeln. Das ist vergleichbar mit der Meiji-Ära im 19. Jahrhundert … | |
… als Japan vom Feudalstaat zur Großmacht aufstieg. | |
Genau. Wenn wir in 10 Jahren zurückblicken werden, wird es sich komplett | |
geändert haben. Es muss sich geändert haben. | |
Hat Ihnen gegenüber mal jemand zugegeben, dass er mit seiner Meinung über | |
Atomkraft falsch lag? | |
Wir Japaner kommunizieren nicht so unbefangen. Niemand würde so etwas | |
sagen. Wenn überhaupt, dann bewegt man tief in sich drin derartige | |
Gedanken. Wenn dann die gesamte Gemeinschaft umdenkt und Atomkraft ablehnt, | |
dann kann man sich allmählich daran anpassen. | |
6 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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