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# taz.de -- Atomkraft in Japan: Der unbeabsichtigte Ausstieg
> Gut ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima hat Japan das letzte von
> über 50 Kraftwerken abgeschaltet. Doch die Atomlobby setzt auf einen
> Neuanfang.
Bild: Wollen seit Fukushima keine Atomkraft mehr: JapanerInnen.
TOKIO taz | Japan hat sich von der Atomkraft verabschiedet. Eher
unbeabsichtigt und nur vorübergehend. Aber seit der Abschaltung von
Reaktorblock 3 des Kraftwerks in der Stadt Tomari auf der Hauptinsel
Hokkaido am Samstag produziert Japan kein einziges Watt Atomstrom mehr.
Noch vor 14 Monaten kamen 27 Prozent des Stroms aus Nuklearenergie. Während
die Kraftwerke aufgrund regulärer Wartung abgeschaltet wurde, verhinderten
zeitaufwändige Stresstests und anhaltende Sicherheitsbedenken der Anwohner
ihre schnelle Wiederinbetriebnahme.
Die Befürworter der Atomenergie in Japan müssen parallel einen zweiten
Schlag hinnehmen: Der Fukushima-Betreiber Tepco hat sich nach monatelangem
Widerstand staatlicher Kontrolle unterstellt. Für eine Kapitalspritze von
neun Milliarden Euro erhält der Staat die Mehrheit der Stimmrechte und kann
nun die Strategie von Japans größtem Stromkonzern beeinflussen. Damit
verliert die Atomlobby ihren Eckpfeiler. Tepco soll sich ganz auf seine
Sanierung konzentrieren. Für Lobbyarbeit bleiben da weder Geld noch Kraft.
Der geschrumpfte Einfluss der Lobby lässt sich daran erkennen, dass der
angestrebte Neustart der Meiler bisher nicht gelungen ist. Die Regierung
wollte die Bevölkerung mit Hilfe von Stresstests von der Sicherheit der
Anlagen überzeugen. Auf der Basis von Computerberechnungen hatten die
Atomaufsicht und die Nuklearkommission zwei Blöcke der Anlage Oi in der
Präfektur Fukui für sicher erklärt. Sie würden einem ähnlich starken
Erdbeben und Tsunami wie bei der Katastrophe im März 2011 standhalten, hieß
es. Dazu ordnete die Regierung neue Auflagen wie einen erdbebensicheren
Kommandobunker an.
## Atomkritische Stimmung
Aber die Strategie ging nicht auf. Selbst unverhohlene Warnungen vor
Strommangel in den heißen Sommermonaten konnten die atomkritische Stimmung
im Land nicht wenden. Zwar bedrängte Wirtschaftsminister Yukio Edano den
Gouverneur von Fukui und den Bürgermeister von Oi persönlich, den Neustart
der zwei Meiler zu billigen. Doch die folgten dem Wunsch nicht, sondern
organisierten eigene Anhörungen von Bürgern und Experten.
Das Unbehagen an den offiziellen Sicherheitsversprechen hat im
Bürgermeister von Osaka, Toru Hashimoto, einen einflussreichen Fürsprecher
gefunden. Seit einiger Zeit attackiert der 42-Jährige verkrustete
Strukturen und egoistische Lobbys in Japan – von der Lehrergewerkschaft
über die Zentralisierung bis zur Atomindustrie.
Jetzt benutzt der aufstrebende Politiker den drohenden AKW-Neustart als
Sprungbett in die nationale Politik. Es sei falsch, dass Politiker ein
Atomkraftwerk für sicher erklärten, meinte Hashimoto mit gutem Gespür für
die Volksstimmung. In einem acht Punkte umfassenden Katalog verlangte der
Reformer von der Regierung neue Sicherheitsvorschriften und eine bessere
Krisenvorsorge. So müssten Betreiber mit allen Präfekturen in 100 Kilometer
Entfernung von den Atomkraftwerken Sicherheitsverträge abschließen.
Bisher gibt es solche Abkommen nur mit den Gemeinden im näheren Umkreis.
Außerdem soll die Endlagerung der Nuklearabfälle geklärt werden. Mit seinen
Forderungen trifft Hashimoto die Schwachstellen der Regierung. Würde
Premier Yoshiko Noda die Liste akzeptieren, wäre jeder Weiterbetrieb der
Meiler für lange Zeit unmöglich.
## Politiker beantragen Stilllegung
Hashimoto hat die Entschlossenheit und Disziplin, die Atomindustrie an die
Kandare zu nehmen. Auf der Hauptversammlung des Stromversorgers Kansai
Electric Power (Kepco) im Juni wird der Politiker die Stilllegung aller elf
Atomkraftwerke des Konzern beantragen. Erneuerbare Energien sollen den
Nuklearstrom ersetzen und der Region Osaka zu neuem Wirtschaftswachstum
verhelfen. Das wäre ein enormer Bruch.
Kepco erzeugt die Hälfte des Stroms mit Atomkraft. Die Firma betreibt auch
die zwei Blöcke in Fukui, die als erste hochgefahren werden sollen. Doch
Bürgermeister Hashimoto hat ein Mitspracherecht, weil die Stadt Osaka mit
neun Prozent größter Aktionär ist.
Das Establishment in Tokio fürchtet bereits den nächsten logischen Schritt:
Dass Hashimotos bisher nur regional agierende Partei „Osaka Ishin no Kai“
(Osaka-Restaurierungsgruppe) zur 2013 anstehenden landesweiten
Parlamentswahl antritt und daraus ein Referendum über Atomenergie macht.
Aus heutiger Sicht würde Hashimoto viele Stimmen gewinnen – ein Grund mehr
für Regierung und Opposition, sich nicht zu weit für Atomkraft aus dem
Fenster zu hängen.
6 May 2012
## AUTOREN
Martin Fritz
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
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