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# taz.de -- Intellektuelle und Occupy: Willkommen im Schuldenfahrtssystem
> Die US-Intellektuellen Michael Hardt und David Graeber sprachen zu den
> Blockupy-Protestierenden in Frankfurt. Es ging um Anarchie, Schulden und
> Kapitalismus.
Bild: Haben die Stadt dichtgemacht: Polizisten in Frankfurt.
„Glückwunsch, Ihr habt es geschafft, dass die Banker die Banken
dichtmachen, Ihr habt es geschafft, dass die Polizei die Stadt dichtmacht“,
ruft Michael Hardt. Jubel im Festsaal der alten Uni Bockenheim. Tatsächlich
haben Tausende von Polizisten die Frankfurter Innenstadt so gründlich
okkupiert, dass das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist.
Ein derart massiver Eingriff in die Bürgerrechte lässt sich nur dann
halbwegs rechtfertigen, wenn die von Innenminister Rhein und seiner CDU
heraufbeschworene Eskalation dann doch stattfindet, im Modus der
selbsterfüllenden Prophezeiung.
Eigentlich sollten Michael Hardt und sein Kollege David Graeber am
Freitagabend an der Alten Oper sprechen, im Schauspiel war um 16 Uhr eine
doppelte Buchvorstellung mit Graeber geplant, der amerikanische
„Anthropologe und Anarchist“ (Selbstauskunft) hat zwei Bücher am Start:
„Schulden, die ersten 5.000 Jahre“ (Klett-Cotta) und „Inside Occupy“
(Campus).
Mit dem 51-jährigen Graeber stellt sich nach Mark Greif binnen weniger
Wochen schon der zweite „Vordenker“ (Campus-Werbung) von Occupy Wallstreet
in Deutschland vor. Während der Mittdreißiger Greif ein linkes
Hipsterpublikum anzog, spricht Graeber am Freitagnachmittag vor allem mit
Aktivistinnen und Aktivisten, viele sind angereist aus Italien, Spanien,
sogar Griechenland. Vor der Polizeiblockade ist Blockupy auf den alten
Campus in Bockenheim ausgewichen.
## Folklore-Ort der Siebziger
Der neue Campus Westend war kurzerhand für das gesamte verlängerte
Wochenende geschlossen worden, zudem bietet die Lernfabrik im städtischen
Abseits bewusst keinen Raum für politische Veranstaltungen. Im
Studierendenhaus in Bockenheim hat die linke Folklore der Siebziger
überlebt, hier lieferten sich schon Fischer und Cohn-Bendit Redeschlachten.
Man kann die Bilder von den menschenleeren Hochhausschluchten des
Bankenviertels als symbolischen Erfolg für Blockupy werten. Allerdings
hätte es auch gute Bilder aus dem Theater geben können: Der amerikanische
Anarchist Graeber im Chagallsaal, ein gemischtes Auditorium aus
Bewegungslinken, Kulturlinken und Interessierten des Frankfurter
Bürgertums. Vom Chagallsaal aus hat man einen schönen Blick auf die
Europäische Zentralbank und das – vorübergehend (?) geräumte – Occupy Ca…
Angeblich auf Druck der Polizei haben die Städtischen Bühnen die
Graeber-Veranstaltung abgesagt, dabei hatten sie den Campern anfangs Räume
zur Verfügung gestellt. Eine Vermischung der Milieus aus Bewegungslinken
und der Frankfurter Stadtgesellschaft im Schauspiel findet also nicht
statt, im homogenen Alternativmilieu des Alten Campus bleiben die
Blockupyer weitgehend unter sich. War diese Marginalisierung gen Peripherie
das Ziel der städtischen Ordnungspolitik?
David Graeber jedenfalls und später Michael Hardt haben hier Heimspiele.
Graeber erzählt von seinem Vater, der im Spanischen Bürgerkrieg bei den
Internationalen Brigaden kämpfte und seinem Sohn mitgegeben hat, dass
Anarchie sehr wohl möglich sei. Wohlwollender Applaus. Interessanter wird
es beim Thema Schulden, das beide Autoren verbindet. Nach Graeber stehen
Schulden am Anfang jeder Revolution, sollte es nicht zu einem
Schuldenerlass kommen. Inzwischen fragen hochrangige Banker ihn, den
Anarchisten von Occupy, wie man den Kapitalismus retten kann. Der
Too-big-to-fail-Glaube sei nachhaltig erschüttert.
## Schulden als Narrativ des Alltags
Schulden und individuelle wie kollektive Schuld verschränken sich immer
mehr, debt (Schuld(en)) wird zu einem Narrativ unseres Alltags, wir
verschulden uns in der Schule, bei der Krankenkasse, beim Versuch,
vernünftigen Wohnraum zu finden. Hardt spricht von einem „sozialen Band der
Schuld“: debtfare ersetzt welfare, wir leben sozusagen im
Schuldenfahrtssystem.
Beide Redner plädieren für Schuld(en)verweigerung, Hardt empfiehlt die
Entindividualisierung der Schuld(en), wenn jede(r) 100.000 Euro Schulden
hat, dann nivelliert sich das. Die Frage, wie diese Schuld(en)verweigerung
konkret aussehen könnte, individuell, kollektiv, politisch, bleibt offen.
Viel Beifall erhält Graeber, als er sagt, Kapitalismus sei ein Ding der
Vergangenheit. Hochstimmung als Martin Glasenapp von der veranstaltenden
Interventionistischen Linken mitteilt, dass die italienischen „Genossinnen
und Genossen“ den deutschen Vertretungen in Rom und Venedig „robuste
Besuche“ abgestattet hätten. Drum links zwo, drei?
20 May 2012
## AUTOREN
Klaus Walter
## TAGS
Job
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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