# taz.de -- Exzellenz in Hochschulen: „Es wird Verlierer geben“ | |
> Am 15. Juni entscheidet sich, ob die FU Berlin Exzellenzuni bleibt. Die | |
> Unipräsidenten Ulrich Radtke (Duisburg) und Peter-André Alt (FU Berlin) | |
> im Gespräch. | |
Bild: Hinterm Waschbeton wohnt die Exzellenz: Freie Universität Berlin. | |
taz: Herr Alt, Herr Radtke, am 15. 6. wird entschieden, ob die Freie | |
Universität Berlin Exzellenzuniversität bleibt oder den Titel verliert. Was | |
machen Sie am Tag danach? | |
Peter-André Alt: Da feiere ich meinen Geburtstag. Es soll ein warmer | |
Sommertag werden, wir laden daher zu einem Sommerfest ein. Wenn wir dann | |
noch einen weiteren Grund zum Feiern haben, freuen wir uns umso mehr. | |
Ulrich Radtke: Ich werde am Tag nach der Entscheidung den Kolleginnen und | |
Kollegen, die in der Exzellenzinitiative erfolgreich waren, gratulieren. | |
Herr Alt, ist die FU eine deutsche Eliteuniversität? | |
Alt: Die Medien haben diesen Begriff im Zusammenhang mit der | |
Exzellenzinitiative geprägt. 2007, im letzten Wettbewerb, war die Freie | |
Universität eine der neun Universitäten, die mit ihrem Zukunftskonzept | |
überzeugt haben, und in den folgenden Jahren hat sie viel aus diesem | |
Konzept gemacht. Daher spricht nichts dagegen, wenn man sie im Kontext auch | |
so bezeichnet. Wobei der Begriff „Exzellenzuniversität“ treffender ist. | |
Um wie viel Geld geht es diesmal für die FU? | |
Alt: Wir sind vergleichsweise bescheiden. In der letzten Runde erhielt | |
unser Zukunftskonzept eine Förderung von 36 Millionen Euro; die Hälfte | |
dessen, was die meisten anderen Hochschulen beantragt haben. Auch in der | |
neuen Runde verfolgen wir unsere Strategie weiter. Wir haben eine nur | |
geringfügig höhere Summe beantragt und liegen damit vermutlich unter dem | |
üblichen Durchschnitt. | |
Und was für eine Universität ist Duisburg-Essen, Herr Radtke? Keine | |
Eliteuni? | |
Radtke: Mein Part ist in diesem Gespräch kein einfacher, als Rektor einer | |
Universität, die nicht mehr am Elitewettbewerb teilnimmt. Man könnte | |
abgestempelt werden als Verliereruniversität. Insgesamt sind wir eine der | |
völlig normalen deutschen Forschungsuniversitäten, für die Forschung und | |
Lehre gleichermaßen wichtig ist. Wir haben sehr gute Wissenschaftler in | |
einigen Bereichen der Universität. | |
Kein Antrag aus Duisburg-Essen kam diesmal durch die Vorauswahl. Auf wie | |
viel Geld müssen Sie jetzt verzichten, und wie weh tut das? | |
Radtke: Die finanzielle Dimension der Exzellenzinitiative ist beschränkt. | |
Wir bekommen jährlich 20 Millionen Euro als Kompensation für | |
Studiengebühren. Das ist das Geld von drei Exzellenzclustern und zwei | |
Graduiertenschulen. Die mediale Aufmerksamkeit ist viel größer, sie steht | |
in keinem direkten Verhältnis zur verteilten Summe. | |
Es tut Ihnen nicht ums Geld, sondern um die Aufmerksamkeit leid? | |
Radtke: Ja, weil gerade auch im Ausland sehr stark unterschieden wird | |
zwischen Eliteuniversitäten und Nichteliteuniversitäten. Da zählt es auch | |
nicht, ob man Exzellenzcluster oder Graduate Schools eingeworben hat, der | |
Titel „Eliteuniversität“ ist entscheidend. Ich habe das auf meinen Reisen | |
erlebt, etwa in China: Da steht auf der einen Seite die Gruppe der | |
Eliteuniversitäten, mit deren Professoren sich alle unterhalten wollen. Und | |
ein bisschen im Schatten steht die Gruppe der anderen Universitäten, obwohl | |
die genauso exzellente Wissenschaftler haben. | |
Alt: Das Prädikat „Exzellenzuniversität“ erweist sich tatsächlich als | |
Türöffner. Man wird häufig darauf angesprochen. Einen Termin beim | |
Präsidenten einer Topuniversität im Ausland bekommt man mithilfe dieses | |
Status viel einfacher. | |
Vergrößert die Exzellenzinitiative bereits bestehende Unterschiede zwischen | |
den Hochschulen, schafft sie gar neue? | |
Alt: Auf der einen Seite schreitet die Differenzierung sicher fort. Eine | |
Universität, die wie die Freie Universität Berlin vor 20 Jahren, also lange | |
vor der Exzellenzinitiative, begonnen hat, Verbundforschung zu fördern und | |
Drittmittel einzuwerben, hat, wenn sie einmal erfolgreich war, bessere | |
Chancen, wieder solche Verbünde zu etablieren. Die Exzellenzinitiative hat | |
diesen Prozess noch etwas beschleunigt. Vor allem aber hat sie eines getan, | |
was im System selber angelegt war, nämlich die Fiktion widerlegt, alle | |
seien gleich. | |
Radtke: Das Starke am deutschen System war immer die Vielfalt. Es | |
konkurrieren Wissenschaftler und Forschergruppen aus allen Hochschulen | |
miteinander. Für mich ist die dritte Profillinie der Exzellenzinitiative, | |
die der „Zukunftskonzepte“, daher die problematischste. Damit wird uns, wie | |
in England und den USA, ein System aufgezwungen, in dem der wirtschaftliche | |
Erfolg davon abhängt, dass sich die Universitäten als Ganzes in den | |
Wettbewerb begeben. | |
Sollte es in Deutschland keine Exzellenz-Unis mehr geben? | |
Radtke: Der Titel „Exzellenzuniversität“ ist irreführend, denn | |
Universitäten, die teils mehr Exzellenzcluster eingeworben haben als | |
andere, sind mit ihrem Zukunftskonzept gescheitert. Das ist ein von | |
Marketingstrategen entworfenes Konzept. Aufgrund dieses luftigen Konzepts | |
den so prestigeträchtigen Titel „Exzellenzuniversität“ zu vergeben halte | |
ich für gefährlich. | |
Alt: Ich bin weniger kritisch, was den Begriff des Marketings angeht. Was | |
die Topuniversitäten der Welt auszeichnet, das ist ihr Spirit: „Wir sind | |
herausragend!“ Klar, wenn man hinter die Kulissen schaut, dann gibt es auch | |
dort Aspekte, die nicht überzeugen. Aber intern sieht man dort das Positive | |
zuerst. Die deutschen Universitäten haben dagegen die Tendenz, ihre eigene | |
Situation schlechtzureden und sich permanent zu beklagen. | |
Radtke: Nur den Titel zu vergeben und zu meinen, damit wäre man | |
international konkurrenzfähig, reicht nicht. Wir haben gar nicht die | |
Kapazität, 12 Eliteuniversitäten, wie es zukünftig sein soll, auf die Beine | |
zu stellen. Selbst wenn wir das wollten, müssten wir ein Vielfaches an Geld | |
für diese Universitäten ausgeben. Aber ich warne: Nur um mit einigen hoch | |
bezahlten US-Hochschulen zu konkurrieren, die ein Vielfaches an Etat haben, | |
machen wir unser System mit seiner hohen Pluralität kaputt. | |
Sollte man nur zwei, drei deutsche Universitäten zu internationalen | |
Eliteunis aufbauen? | |
Alt: Man muss in der Tat über die Finanzierung nachdenken, das Ganze darf | |
nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Andererseits: Die | |
Unterstützung von zwei oder drei Unis würde noch viel größere Verwerfungen | |
mit sich bringen. Das gegenwärtige System ist in sich offen genug. Ich | |
vergleiche das mal mit der Bundesliga: Es gibt ein Auf und Ab. Borussia | |
Dortmund stand vor sieben Jahren vor dem wirtschaftlichen und sportlichen | |
Ruin und ist heute ganz oben. Das gilt als Prinzip auch für die | |
Hochschulen. | |
Wo stehen Ihre Unis in der Hochschul-Bundesliga? | |
Radtke: Ich würde uns im Mittelfeld ansiedeln. | |
Alt: Wir sind mit Dortmund vergleichbar. Wir waren vor 15 Jahren ganz unten | |
und haben trotz massiver Kürzung der Grundmittel eine gewaltige Steigerung | |
der Forschungsaktivitäten, der internationalen Sichtbarkeit und der | |
Kooperationsfähigkeit entwickelt, die uns an die Spitze der deutschen | |
Hochschullandschaft geführt hat. | |
Im aktuellen Förderatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft sieht man, | |
dass ohnehin begünstigte Hochschulen von der Exzellenzinitiative zusätzlich | |
profitieren. Werden künftig einige wenige Unis Forscher, Geld und | |
Reputation anziehen? | |
Alt: Der Eindruck ist sicherlich richtig: Die Starken werden gestärkt, man | |
kann sagen, das Matthäus-Prinzip hat triumphiert. Wenn aber im Rahmen der | |
Exzellenzinitiative nur 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, | |
dann sollten auch die gefördert werden, die stark sind. Und es ist ja nicht | |
so, dass wir durch die Exzellenzinitiative diejenigen, die in geringerem | |
Maße profitieren, ins Nichts stürzen. Wir haben, denke ich, alle | |
profitiert, weil wir die Fähigkeit entwickelt haben, zu planen und zu | |
überlegen, wo unsere Schwerpunkte liegen sollen. | |
Radtke: Der Matthäus-Effekt wird sich verstärken. Wir werden einige | |
Standorte mit höherer Sichtbarkeit bekommen, aber auf diesem Wege wird es | |
Verlierer geben. So wie in England, wo sich die 20 forschungsstärksten | |
Universitäten, die Russell Group, den Großteil der Forschungsgelder teilen | |
und eifersüchtig darüber wachen, dass es so bleibt. | |
Alt: Ich stimme der Analyse nicht zu. Ich bin der Meinung, dass wir hier in | |
Deutschland Verfahren entwickelt haben, die Forschung fair und objektiv | |
evaluieren. | |
Studierende der FU haben protestiert, als die Exzellenzgutachter im Februar | |
zur Begehung kamen. Weil die Lehre unter dem Wettbewerb leide. | |
Alt: Wir haben Konzepte für den Bereich Lehre entwickelt, die dafür sorgen | |
sollen, dass das, was in den Clustern erforscht wird, auch direkt in Module | |
der Lehre übertragen wird. Ich gebe allerdings zu, dass die Hochschullehrer | |
manchmal in so vielen Bereichen engagiert sind, dass man aufpassen muss, | |
sie nicht in die Überforderung zu treiben | |
Sollten sich einige Hochschulen stärker um die Lehre und andere vermehrt um | |
die Forschung kümmern? | |
Alt: Ein ganz klares Nein. Wenn die Wissenschaft in Deutschland etwas eint, | |
dann das Humboldt-Prinzip als das Qualitätsmerkmal der Universitäten | |
schlechthin: Die Balance von Forschung und Lehre muss stimmen. | |
Radtke: Gegen die Einteilung in Forschungs- und Lehruniversitäten wehre ich | |
mich grundsätzlich. Wenn das das Ergebnis einer Exzellenzinitiative sein | |
sollte, wäre das für die deutsche Hochschullandschaft fatal. | |
Das wird die letzte Runde der Exzellenzinitiative. Was kommt nach 2017? | |
Alt: Es sollte eine weitere Runde geben, die sich auf innovative Konzepte | |
der Vernetzung und Zusammenarbeit mit außeruniversitären Einrichtungen wie | |
Helmholtz-Zentren, Max-Planck- oder Fraunhofer-Instituten beziehen sollte. | |
Deutschland hat eine beeindruckende und exzellente Wissenschaftslandschaft. | |
Wenn wir es schafften, die universitäre und außeruniversitäre Forschung | |
zusammenzubringen, dann wären diese sichtbarer und auch in den | |
internationalen Rankings an der Spitze. | |
Radtke: Grundsätzlich stimme ich zu. Aber solch ein Wettbewerb würde große | |
Forschungsregionen wie München oder Berlin stärken. Im Ruhrgebiet wären wir | |
sofort im Nachteil. | |
12 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Forschungsstruktur im Umbruch: Streit um Fördermittel | |
Die deutsche Forschungslandschaft ist im Umbau. Die Helmholtz-Gemeinschaft | |
(HGF) mit 18 Forschungszentren beansprucht die Führung. | |
Zu schnell studiert: Vier Semester zum Preis von elf | |
Marcel Pohl hat sich beeilt mit seinem Studium. Die private FOM-Hochschule | |
klagt deshalb fehlende Gebühren von dem Turbostudenten ein. | |
Soziologen wollen Uniranking boykottieren: „Fragwürdig und lückenhaft“ | |
Die Soziologiegesellschaft empfiehlt, das CHE-Hochschulranking zu | |
boykottieren. Die Ergebnisse seien nicht repräsentativ, würden aber | |
genutzt, um Professoren unter Druck zu setzen. | |
Göttingens Uni-Präsidentin: "Wir nehmen es sportlich" | |
Präsidentin Ulrike Beisiegel über das Scheitern der Göttinger | |
Georg-August-Universität bei der Exzellenzinitiative des Bundes. | |
FU und HU werden Elite-Unis: Hochdekorierte Denkorgane | |
Geldregen für zwei Berliner Hochschulen: Die HU bekommt den lange ersehnten | |
Elite-Titel, die FU kann ihren verteidigen. | |
Fünf neue Elite-Unis: Osten jetzt auch exzellent | |
Deutschland bekommt neue Elite-Unis: Auch Dresden ist dabei und Berlin | |
jetzt doppelt vertreten. Die Kritik an der Exzellenzinitiative reißt nicht | |
ab. | |
Hochschulkonkurrenz: Kampf um den Elite-Titel | |
Im bundesweiten Exzellenz-Wettbewerb geht es in die letzte Runde. Die | |
Spitzen der Berliner Universitäten hoffen auf einen Sieg, die | |
Studentenvertreter auf eine Niederlage. | |
Interview mit einem Elite-Direktor: "Das gibt es nicht in Gießen" | |
An der FU wird gehofft und gebangt: wird die Uni noch mal exzellent? | |
Präsident Peter-André Alt über den Spirit der Elite, negative Effekte und | |
die Zeit danach. | |
Kabinett beschließt Grundgesetzänderung: Ein Bündchen für bessere Bildung | |
Die Bundesregierung hat beschlossen, wieder mit den Ländern im | |
Hochschulbereich zusammenzuarbeiten. Doch dafür muss sie zuerst das | |
Grundgesetz ändern. | |
Finanzierung von Hochschulen: Gut gestellte Unis bekommen mehr | |
Nur 20 Hochschulen teilen sich 60 Prozent der eingeworbenen Drittmittel. | |
Dieser Konzentrationsprozess geht weiter. Aufsteiger im Förderwettbewerb | |
sind die Ausnahme. | |
Wissenschaftspolitik im Argen: Unis forschen an den Menschen vorbei | |
Umweltverbände fordern bei Forschungsprojekten mehr Nähe zur Gesellschaft. | |
Offenbar versickern Gelder in Projekten, die niemand benötigt. Die Folge | |
ist Ineffizienz. | |
Hochschulwettstreit: Besuch für die Elite-Jury | |
50 Millionen winken der Bremer Uni in der Exzellenzinitiative, am Dienstag | |
kam die Jury. Studenten stürmten die Präsentation des Uni-Rektors mit Samba | |
und Konfetti |