# taz.de -- Die Ukraine ist ausgeschieden: „Klären wir das wie Männer!“ | |
> Wie Polen scheitert auch das zweite Gastgeberland der EM in der Vorrunde. | |
> Das ukrainische Team sucht die Schuld für die Niederlage gegen England | |
> beim Referee. | |
Bild: Tobte wegen des nichtgegebenen Tores gegen England an der Seitenlinie: de… | |
DONEZK taz | Es ist gekommen, wie es viele erwartet hatten. Mit der Ukraine | |
ist auch das zweite Gastgeberland in der Vorrunde der EM ausgeschieden. Und | |
doch wollte niemand nach diesem aufregenden Abend mit dem für Blau-Gelb so | |
traurigen Ende Oleg Blochin widersprechen. „Wir hätten den Sieg verdient“, | |
sagte der Trainer nach dem Spiel und war sich sicher, dass alle im | |
Pressekonferenzraum das genauso sehen würden. | |
Er war wütend und mental noch in der Coaching Zone, als er vor die Presse | |
getreten ist. „Man hat uns den Sieg gestohlen“, sagte er und schimpfte auf | |
die Schiedsrichter. „Wir haben doch den Ausgleich erzielt.“ Und ja, auch da | |
wollte ihm niemand widersprechen, der Ball von Marko Devic war hinter der | |
Linie, bevor John Terry ihn nach vorne drosch. | |
„Da sind fünf Schiedsrichter auf dem Feld und der Ball ist 50 Zentimeter | |
hinter der Linie. Warum brauchen wir eigentlich fünf Offizielle?“ Und dann | |
kam da diese Frage eines ukrainischen Journalisten, der nichts mehr hören | |
wollte von miesen Schiedsrichterleistungen – Blochin hatte noch sein | |
Unverständnis darüber geäußert, dass Viktor Kassai aus Ungarn, den | |
Engländern zwei Gelbe Karten zu wenig gezeigt hatte. | |
Er suchte nach anderen Gründen für die Niederlage und fragte, ob die | |
Mannschaft fit genug gewesen sei für dieses große Turnier. Zu viel für den | |
gestressten Blochin, der am liebsten auf den Fragesteller losgegangen wäre. | |
„Nehmen Sie meine Arbeit ernst“, blaffte er den Mann an. „Lassen Sie uns | |
das unter vier Augen klären. Los, gehen wir! Klären wir das wie Männer!“ | |
## Beschwichtigende Handbewegungen | |
Ein Uefa-Mitarbeiter stand auf und machte beschwichtigende Handbewegungen. | |
Er befürchtete wohl eine handfeste Schlägerei. Am Ende der Pressekonferenz | |
zeigte Blochin noch einmal auf den Journalisten, lud in wieder zum Infight | |
vor der Tür ein. Der aber lehnte dankend ab. | |
Derweil zogen die Fans, die diesmal ihre Mannschaft bis zur letzten Minute | |
unterstützt hatten, die nie gepfiffen haben, so wie sie es bei der | |
Niederlage gegen Frankreich getan hatten, von dannen. Sie wussten noch | |
nichts von diesem gestohlenen Tor. | |
Erst nach Telefonaten mit Freunden oder Angehörigen, die das Spiel im | |
Fernsehen angeschaut haben, machte sich Wut unter ihnen breit. Die | |
gesentken Häupter erhoben sich. Statt „Ukraina, Ukraina“ wurde jetzt | |
„Kassai, du Wichser“ skandiert. Auf den Straßen von Donezk wurde zur | |
Gewissheit: die Ukrainische Nationalmannschaft war nicht ausgeschieden, sie | |
war ausgeschieden worden. | |
Dass Devic im Abseits stand, als er vor seinem Schuss angespielt wurde, das | |
war kein Thema in der Nacht der ukrainischen Niederlage. Auch dass es der | |
nach seiner Sperre ins englische Team zurückgekehrte Wayne Rooney war, der | |
den Siegtreffer unmittelbar nach der Pause erzielte, indem er einen | |
Abpraller über die Torlinie geköpft hat, darüber wurde nur am Rande | |
diskutiert. | |
## 70 Minuten ohne Schewa | |
Als „ungerecht“ bezeichnete Andrij Schewtschenko, der angeschlagene | |
Volksheld, der erst 20 Minuten vor Schluss eingewechselt worden war, die | |
Niederlage. Ja, und auch ihm wollte niemand widersprechen. | |
Der Wille der Mannschaft, die Pässe von Jewhen Knopljanko, der Zug zum Tor | |
des nimmermüden Andrij Jarmolenko, haben mehr überzeugt als die Angriffe | |
der Engländer, die es nicht geschafft haben, die immer aufgewühlte Stimmung | |
auf dem Platz zu beruhigen. | |
Es war die Ukraine, die die Musik gemacht hat an diesem Abend. | |
Schewtschenko hat nach dem Spiel seinen Rücktritt aus der | |
Nationalmannschaft verkündet. Nach 111 Auftritten bekommt er noch ein | |
Abschiedsspiel. Dann müssen es die anderen, die am Dienstag 70 Minuten ohne | |
den großen Schewa ihr Bestes gegeben und dabei viel Gutes herausgespielt | |
haben, alleine richten. | |
Ob sie allerdings die nötige Unterstützung in ihren Vereinen bekommen, um | |
sich weiter verbessern zu können, ist durchaus fraglich. Alle Klubs der | |
ersten Liga haben bereits ihre Vorbereitungen auf die kommende Saison | |
begonnen. Schachtjor, der Meisterklub aus Donezk, bereitet sich in | |
Österreich am Fuße des Wilden Kaisers auf die neue Saison vor. | |
## Weiterentwicklung des ukrainischen Fussballs | |
Die wichtigsten Spieler sind alle an Bord. Es sind dies die Brasilianer | |
Alan Patrick, Bruno Renan, Alex Teixeira, Douglas Costa, Fernandinho und | |
Dentinho. Sie stehen für den internationalen Anspruch des ukrainischen | |
Vereinsfußballs. | |
Die ukrainische Nationalmannschaft wird ihnen egal sein. Und so dient es | |
vielleicht doch nicht der Weiterentwicklung des Fußballs in der Ukraine, | |
wenn nach dem unglücklichen Vorrundenaus allein über die Leistung der | |
Schiedsrichter diskutiert wird. | |
20 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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