# taz.de -- Sportjournalismus in der Ukraine: Viktor darf, Viktoria nicht | |
> Unter einem Männernamen war die Kiewerin Viktoria Privak eine anerkannte | |
> Sportjournalistin. Seit sie ihre wahre Identität preisgegeben hat, ist es | |
> damit vorbei. | |
Bild: Fussballberichterstattung ist in der Ukraine eine Männerdomäne – nich… | |
Eine offizielle Akkreditierung für die Stadien in den EM-Austragungsorten | |
hat sie nicht bekommen. Ebenso erfolglos endete bislang die Suche nach | |
Zeitungen und Magazinen, die ihre Spielberichte und -analysen abdrucken. | |
„Doch etwas anderes habe ich eigentlich auch nicht erwartet“, sagt Viktoria | |
Privak. „Fußball und Frauen, das geht für viele Menschen in der Ukraine | |
nicht zusammen“. | |
Für sie schon, aber es war immer ein Kampf, und das ist bis heute so | |
geblieben. Wie schon als Kind spielt die 26-jährige Kiewerin mit Jungen aus | |
der Nachbarschaft Fußball. Sie kicken in Parks, auf Hinterhöfen und | |
Straßen, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. | |
Dass ihre männlichen teils älteren Mitstreiter sie nicht für voll nehmen, | |
lässt Viktoria kalt. Sie will einfach nur Fußball spielen, und da kann ihr | |
keiner etwas vorschreiben. Als Schülerin schafft sie den Sprung an die | |
Fußballakademie in Kiew. „Auch dort musste ich immer beweisen, dass ich | |
genauso gut war wie die Jungs. Aber das hat mich eher noch stärker | |
motiviert“, sagt sie. | |
Im Alter von 16 Jahren lernt Viktoria eine professionelle Fußballspielerin | |
kennen, die sie zu einem Probematch einlädt. Die Verantwortlichen brauchen | |
nicht lange, um das Talent des Neuzugangs zu erkennen. Viktoria bekommt | |
sofort einen Dreijahresvertrag und stürmt nach dreimonatigem verschärftem | |
Training fortan für eine Kiewer Frauenfußballmannschaft durch die Halle. | |
## Ein halbes Jahr kam kein Geld | |
Doch für ihr Team, das in der höchsten ukrainischen Liga spielt, werden die | |
Mittel knapp. Ein halbes Jahr lang bekommen die Spielerinnen kein Geld. | |
Potenzielle Sponsoren sind nur an einer Förderung interessiert, wenn sie | |
gleichzeitig eine Männermannschaft aufbauen können. | |
Im Jahr 2005, nach einer schweren Knieverletzung, beschließt Viktoria, mit | |
dem professionellen Sport aufzuhören. „Ich wollte meine Gesundheit nicht | |
länger für ein paar Kopeken aufs Spiel setzen“, sagt sie. Noch während | |
ihrer Zeit als Fußballerin beginnt sie ein Architekturstudium. Doch nach | |
dem Abschluss und ersten praktischen Versuchen merkt sie recht schnell, | |
dass diese Branche nichts für sie ist. | |
Viktoria registriert sich unter einem männlichen Vornamen bei einem | |
Sportportal, schreibt Spielkommentare und bekommt durchweg positive | |
Reaktionen. 2007 richtet sie, eine glühende Anhängerin von Real Madrid und | |
wieder unter männlichem Namen, ihre eigene russischsprachige Seite ein | |
([1][www.real-madrid.ru]). | |
Der Anspruch ist hoch: Nicht nur um Analysen von Fußballspielen soll es | |
gehen, sondern auch um Sichtweisen ganz unterschiedlicher Leute wie | |
Schriftstellern auf diese Sportart. Und um den Klub Real Madrid, dessen | |
Entwicklung Viktoria mit eigenen Berichten und regelmäßigen Übersetzungen | |
aus dem Spanischen begleitet. | |
## „Lügen ertrage ich nicht“ | |
Ein Jahr später gibt sie ihre wahre Identität preis, was bei vielen Nutzern | |
auf Unverständnis stößt. „Texte werden unterschiedlich wahrgenommen, je | |
nachdem, wer sie schreibt. Ich habe sehr viel Respektlosigkeit erfahren, | |
aber zu lügen, das ertrage ich noch viel weniger“, sagt Viktoria. | |
Zumindest bei einer Zeitung ist die Tatsache, dass Viktoria eine Frau ist, | |
kein Hindernis. Mehrmals in der Woche schreibt sie dort über spanischen | |
Fußball. Doch als sich das Blatt krisenbedingt im Herbst 2008 von einigen | |
Mitarbeitern trennen muss, ist Viktoria eine der ersten, die ihren Job | |
verliert. | |
Bald darauf beginnt Viktoria bei einer großen Tageszeitung in der | |
zweiköpfigen Sportredaktion. Mit ihrem männlichen Kollegen gibt es vom | |
ersten Tag an Stress. Über Fußball darf sie nicht schreiben. Zitate von | |
Personen, die nicht in die Linie des Blattes passen, werden aus ihren | |
Texten gestrichen. Weil sie angeblich einen Interviewtermin verpasst hat, | |
wird sie gefeuert – nach nur einem halben Jahr. | |
2010 bewirbt sich Viktoria als eine von 50 Kandidaten auf eine Stelle beim | |
einem TV-Sportkanal. Der Chefredakteur macht kein Hehl daraus, dass er | |
einen Mann auf diesem Posten sehen will. Trotzdem schafft Viktoria es in | |
die Runde der letzten drei. Dann ist auch hier wieder Schluss. | |
## Den Kontakt abgebrochen | |
Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, beginnt sie gegen Honorar für | |
mehrere Sport-Onlineausgaben zu schreiben. Als ein Betreiber erfährt, dass | |
er es mit einer Frau zu tun hat, bricht er den Kontakt ab. „Ich glaube, | |
dass so jemand wie ich etwas verändern kann. | |
Aber im Moment kämpfe ich ununterbrochen gegen Vorurteile in der | |
Gesellschaft. Jeder Rückschlag ermüdet mich so sehr, dass ich immer eine | |
gewisse Zeit brauche, um neue Energie zu schöpfen“, sagt Viktoria. Bislang | |
hat sie das immer geschafft. | |
Ihre Webseite läuft gut, ein harter Kern von 50 Nutzern aus den Staaten der | |
ehemaligen Sowjetunion, aber auch aus Ungarn und den USA tauschen sich dort | |
aus. Auch etwas Geld wirft das Projekt mittlerweile ab, etwa 100 bis 200 | |
Euro im Monat. Das reicht nicht zum Leben, ist aber immerhin ein Anfang. | |
## Auf der Fanmeile | |
Bei der EM hat Viktoria bislang jedes Spiel gesehen, einige davon auf der | |
Fanmeile. „Das Schönste ist, dass auch die Menschen in der Ukraine, die | |
sich bis jetzt nie für Fußball interessiert haben, jubeln – egal welche | |
Mannschaft gewinnt. Und dass mich plötzlich Leute anrufen, die vorher nie | |
mit mir über dieses Thema sprechen wollten.“ | |
Wem wünscht sie den Titel? „Deutschland, und das zum ersten Mal in meinem | |
Leben“, sagt sie. „Denn die deutsche Mannschaft ist eine ganz andere als | |
früher. Sie vereinigt perfekt Liebe zum Spiel, Fantasie, Kraft, Technik, | |
Disziplin und Intuition.“ | |
25 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.real-madrid.ru/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
Barbara Oertel | |
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