# taz.de -- Druck auf Medien in der Ukraine: Strafverfahren gegen Journalisten | |
> Drei Monate vor der Parlamentswahl wächst der Druck auf unabhängige | |
> Medien. Regierungskritische Journalisten fürchten Repressionen und | |
> Verhaftungen. | |
Bild: Lupenreiner Demokrat: Präsident Wiktor Janukowitsch sagt, er sei besorgt… | |
Regierungskritische Journalisten in der Ukraine sind dieser Tage höchst | |
alarmiert. Der Grund: Gegen zwei unabhängige Medien, den Fernsehsender TVi | |
und das Internetnachrichtenportal LB.ua, hat die Generalstaatsanwaltschaft | |
unlängst Strafverfahren eingeleitet. | |
Dem Direktor des Senders TVi, Mykola Kniaschetzki, wird vorgeworfen, | |
Steuern in Höhe von 3 Millionen Griwna (umgerechnet 300.000 Euro) | |
hinterzogen zu haben. Am 12. Juli beschlagnahmten Steuerbeamte in den | |
Kiewer TVi-Büros Buchhaltungsunterlagen aus den vergangenen vier Jahren. | |
Kurz vor der Razzia sei er gewarnt worden, dass die Behörde auch seine | |
Krankenakte in einer Klinik der Hauptstadt konfiszieren wolle, sagte | |
Kniaschetzki der ukrainischen Zeitung Kyiv Post. | |
Deshalb rechne er mit weiteren Verfahren gegen ihn. Denn die Konfiszierung | |
von Krankenakten und anderen persönlichen Unterlagen finde immer statt, | |
bevor jemand festgenommen werde, so Kniaschetzki. So sei das auch bei | |
Oppositionsführerin Julia Timoschenko gewesen, die im August 2011 wegen | |
Amtsmissbrauchs verhaftet worden war. | |
Den Sender TVi, bekannt für seinen investigativen Journalismus, haben die | |
Behörden seit Längerem im Visier. Bereits 2010 verlor er einige seiner | |
Frequenzen, Mitte Juli wurde er aus den Kabelnetzen von elf Städten | |
verbannt. Der Kabelnetzbetreiber Triolan bezeichnete die Abschaltung als | |
„Unfall“, der aber aus technischen Gründen nicht rückgängig gemacht werd… | |
könne. | |
## Verletzung des Briefgeheimnisses | |
Der Vorwurf gegen das Internetportal LB.ua, das zu den zehn am meisten | |
besuchten Webseiten des Landes zählt, lautet auf Verletzung des | |
Briefgeheimnisses. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. Stein des | |
Anstoßes sind Bilder eines LB.ua-Fotografen vom 18. November 2011 aus dem | |
Parlament in Kiew. Die Fotos zeigen SMS, die Wolodymyr Landik, Abgeordneter | |
der Regierungspartei, verschickte. | |
Darin geht es um seinen Sohn, der zu dem Zeitpunkt wegen des Verprügelns | |
einer Frau vor Gericht stand. In den Kurznachrichten forderte Landik den | |
Adressaten auf, für eine positive Berichterstattung über den Prozess in den | |
Medien zu sorgen. | |
Obwohl Landik den Fall nach eigener Aussage nicht weiterverfolgt, leitete | |
der Generalstaatsanwalt am 18. Juli ein Verfahren ein. „Landik wird als | |
Instrument benutzt, um LB.ua und mich persönlich fertigzumachen“, sagte die | |
Chefredakteurin der Webseite, Sonja Koschkina, der Kyiv Post. Aus Angst vor | |
Repressionen hat sie die Ukraine verlassen. | |
Dass es drei Monate vor den Parlamentswahlen wieder einmal darum geht, | |
kritische Medien mundtot zu machen, glaubt nicht nur Koschkina. Am 19. Juli | |
demonstrierten rund 100 Journalisten und Aktivisten in Kiew dafür, die | |
Strafverfahren fallen zu lassen und die Medien nicht weiter unter Druck zu | |
setzen. Staatspräsident Wiktor Janukowitsch zeigte sich am selben Tag | |
„besorgt“ über die Verfahren und kündigte eine Überprüfung der rechtlic… | |
Grundlagen an. | |
## Berichterstattung als Verleumdung strafbar | |
Doch wohin die Reise geht, zeigte sich nur fünf Tage später. Ein | |
Abgeordneter der Regierungspartei brachte einen Gesetzesvorschlag ein, | |
wonach Verleumdung ein Straftatbestand werden soll, der mit Geldbußen von | |
umgerechnet 8.500 Euro und bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. | |
Sollte dieser Vorschlag angenommen werden, könnte künftig jedes Medium | |
wegen kritischer Berichterstattung belangt werden. | |
Laut einem Bericht der US-NGO Freedom House seien Medien in der Ukraine nur | |
teilweise frei, ihre Situation verschlechtere sich stetig. Das Bild sehe | |
genauso aus wie vor der Orangen Revolution 2004. Da regierte noch der | |
autoritäre Präsident Leonid Kutschma. | |
29 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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