# taz.de -- Neue Rebellenarmee im Kongo: Hutu-Rekruten für Tutsi-Rebellen | |
> Die neue ostkongolesische Rebellenarmee M23 erhält Zulauf aus Ruanda. Vor | |
> allem von demobilisierten einstigen Hutu-Milizionären. Die werden sogar | |
> gezielt angeworben. | |
Bild: Ein kongolesischer Regierungssoldat in den Hügeln zwischen Kachiru und M… | |
GOMA taz | 24 junge Ruander, zwischen 15 und 21 Jahre alt, sitzen seit | |
April hinter Stacheldraht in der ostkongolesischen Stadt Goma in einem | |
UN-Transitlager. Ihr einziger Zeitvertreib: in Flipflops Fußball spielen. | |
Tatsächlich sind sie selbst Spielball in einem Konflikt, der von der | |
ruandisch-kongolesischen Grenze bis zum UN-Sicherheitsrat in New York | |
führt. | |
Die jungen Hutu wurden nach eigenen Angaben in ihren Dörfern in Ruanda | |
rekrutiert, um auf der kongolesischen Seite der Grenze für die neue, von | |
Tutsi-Generälen geführte Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) zu | |
kämpfen. Sie liefen wieder weg und kamen zur UN-Blauhelmmission nach Goma. | |
Jetzt sind sie Kronzeugen für Ruandas angebliche Verwicklung in den | |
derzeitigen Krieg im Ostkongo. Weitere ruandische Kämpfer werden von Kongos | |
Armee als Kriegsgefangene gehalten. | |
Ruandas Regierung streitet diese Einmischung vehement ab. Kongos Regierung | |
wirft einigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats vor, die Veröffentlichung | |
eines UN-Expertenberichts zu blockieren, der die Beweise gegen Ruanda | |
enthält. | |
## Entweder selbst kämpfen oder Rekruten suchen | |
Ehemalige Offiziere der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR | |
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die heute demobilisiert in | |
Ruanda leben und den Status von Reservisten der ruandischen Armee haben, | |
bestätigen gegenüber der taz die Rekrutierungen. Sie seien selbst | |
angeworben worden – aus Ruandas Hauptstadt Kigali. Man habe sie vor die | |
Wahl gestellt, entweder selbst mit den kongolesischen M23-Rebellen zu | |
kämpfen oder Rekruten zu suchen. | |
Mit angeblich 100 Dollar lassen sich in Ruanda junge, untrainierte Kämpfer | |
anwerben. Ehemalige FDLR-Offiziere, die sich für die M23 zur Verfügung | |
stellen, bekommen 500 Dollar. Für die Rekrutierung selbst gebe es | |
zusätzlich Geld. Wer diese Rekrutierungen an oberster Stelle anordnet und | |
bezahlt, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen, die sich nicht | |
überprüfen lassen. | |
## Immer mehr Hutus unter den Tutsi | |
Beobachter bestätigen: Die M23 besteht längst nicht mehr nur aus Kämpfern | |
der früheren Tutsi-Rebellenbewegung CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung | |
des Volkes), die sich 2009 in Kongos Armee integriert hatte und deren | |
Führer ab April 2012 die Armee wieder verließen, um die M23 zu gründen. | |
Obwohl die M23-Führung ausschließlich aus Tutsi besteht, befinden sich in | |
den Offiziersrängen und darunter immer mehr ruandische und kongolesische | |
Hutu. Ihr Hauptquartier befindet sich in Runyoni auf der kongolesischen | |
Seite der Vulkankette an der Grenze zu Ruanda, und in letzter Zeit haben | |
sie Kongos desorganisierter Armee mehrfach Niederlagen zugefügt und einen | |
Strom von Deserteuren begrüßt. | |
Aus der FDLR laufen derzeit viele zur M23 über – über den Umweg Ruanda, | |
wohin sie sich erst von der UNO aus dem Kongo repatriieren lassen, um dann | |
gewendet zurück über die Grenze zu gehen. Monatlich desertieren derzeit | |
rund 100 Kämpfer aus den Reihen der FDLR. Darunter auch hochrangige | |
Kommandeure, erklärt Ex-Oberst Idrissa Bizimana, der jüngst mit knapp 70 | |
Kämpfern davonlief und nach Ruanda zurückkehrte. | |
## Die Kampfmoral der FDLR sinkt | |
Die Zahl der direkten Überläufer von der FDLR zur M23 sei ebenfalls hoch, | |
bestätigt er. Unter den 24 Jungen im UN-Lager in Goma befindet sich solch | |
ein Überläufer. Er erzählt der taz: Die Kampfmoral in seiner FDLR-Einheit | |
sei so gesunken, dass er keinen Sinn mehr darin sah, in der ruandischen | |
Hutu-Miliz zu dienen. Die kongolesische Tutsi-Rebellion bietet bessere | |
Chancen. | |
Sogar im Hauptquartier der FDLR, tief in den Bergwäldern der | |
ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, geht die Angst um: Im Februar wurde | |
dort der FDLR-Stabschef von einem Tötungskommando im Schlaf ermordet. Es | |
wird gemunkelt, die Schützen seien von Ruanda geschickt worden. Jetzt | |
fürchte sogar der oberste FDLR-Militärführer Silvestre Mudacumura, dass | |
jemand hinter ihm her sei, sagen geflohene FDLR-Offiziere: Die FDLR sei im | |
Prinzip so gut wie erledigt. Die M23 nutzt diese Lage wiederum, um diese | |
gut trainierten und disziplinierten Kämpfer zu integrieren. | |
So zeichnet sich ab, dass die M23 ein Sammelbecken für alle ruandisch | |
sprechenden Kämpfer im Ostkongo wird – Hutu wie Tutsi. Das steht in einem | |
größeren Kontext. In Süd- und Nord-Kivu mobilisieren radikale Gruppen seit | |
den Wahlen 2011 gegen die ruandischsprachigen Bevölkerungen. Ihr Ziel: alle | |
„Ruander“ vertreiben, weil sie angeblich Präsident Joseph Kabila | |
unterstützen. Die M23 kann auch als Reaktion auf die zunehmende | |
antiruandische Hetze verstanden werden. | |
21 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
## TAGS | |
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