# taz.de -- Rebellenarmee in Nord-Kivu: Gewehrfeuer hallt durch die Straßen | |
> Die Armee läuft vor den M23-Rebellen davon, die Menschen verstecken sich. | |
> Unterwegs mit Rebellen in die Stadt Rutshuru in der Demokratischen | |
> Republik Kongo. | |
Bild: Oberst Sultani Makenga beim Einzug in Bunagana. | |
RUTSHURU taz | Schweißperlen rinnen über Louis Bazitas Stirn. Der | |
21-jährige Mann hetzt den Hügel hinauf, seine Bastmatte auf dem Kopf | |
balancierend. Er flüchtet vor den M23-Rebellen in der Provinz Nord-Kivu im | |
Osten der Demokratischen Republik Kongo. „Ich habe Angst, dass sie mich | |
zwangsrekrutieren“, sagt Bazita außer Atem und eilt weiter. Ihm folgen | |
Dutzende weitere Flüchtlinge, vor allem junge Männer und Frauen mit | |
Kindern. | |
Eine holprige Piste schlängelt sich von der kongolesischen Grenzstadt | |
Bunagana 30 Kilometer zwischen den Hügeln hindurch bis zur | |
Distrikthauptstadt Rutshuru. Am Freitag hatten die M23-Rebellen Bunagana | |
eingenommen, am Samstag die Dörfer entlang der Straße nach Rutshuru. Auch | |
die Siedlung Rwanguba, in der Männer und Frauen zusammenstehen und | |
aufgeregt diskutieren: „Sie haben unsere Häuser geplündert“, schimpfen si… | |
Einer der Männer fügt flüsternd hinzu: „Sie haben auch einige Jungen | |
mitgenommen, die für sie kämpfen sollen“. | |
Drei Kilometer vor Rutshuru hocken dutzende M23-Kämpfer am Straßenrand. Sie | |
sehen verschwitzt und abgekämpft aus. Sie rauchen, lächeln und winken. Eine | |
Kolonne UN-Panzer rollt an ihnen vorbei, wirbelt Staub auf. Die | |
UN-Blauhelme hatten sich in der Nacht zuvor aus den Rebellengebieten | |
zurückgezogen, auch aus Bunagana, wo sie zwei Militärbasen hatten. | |
Als die UN-Kettenfahrzeuge die Hauptstraße von Rutshuru erreichen, stehen | |
Menschen am Straßenrand und schimpfen. „Was macht ihr in unserem Land, wenn | |
ihr uns nicht helft?“, brüllt einer. Sonntag früh hatten die Soldaten des | |
in Rutshuru stationierten Regiments von Kongos Armee die Flucht ergriffen, | |
als sie erfuhren, dass sich die Rebellen auf die 100.000-Einwohner-Stadt | |
zubewegten. „Sie schossen wild um sich, um ihren Abgang anzukündigen“, | |
berichtet in Rutshuru ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will. „Bevor | |
sie davonliefen, haben sie unsere Häuser geplündert.“ | |
## Rebellen ziehen sofort zur Militärbasis | |
Als auch die UN-Panzer Rutshuru hinter sich gelassen haben und der Staub | |
sich legt, kehrt Ruhe ein – eine unheilvolle Stille. Immer mehr Einwohner | |
packen hastig ihre Matratzen und Bündel mit Kochgeschirr. Schweigend folgen | |
sie der gewaltigen Kolonne von UN-Panzern, um nahe der UN-Basis in der fünf | |
Kilometer nördlich entfernten Vorstadt Kiwanja Schutz zu suchen. Die | |
wenigen, die zurückbleiben, verkriechen sich. | |
Knapp eine Stunde später hallt Gewehrfeuer durch die leeren Straßen. Mit | |
schier endlosen Salven kündigen die M23-Rebellen ihren Einzug in Rutshuru | |
an. Schnurstracks marschieren sie den Hügel zur Militärbasis hinauf, auf | |
dem zuvor die Soldaten der Regierungsarmee in Zelten hausten. Einige | |
Kämpfer ziehen durch die Gassen, um die verbliebenen Einwohner | |
zusammenzutrommeln. | |
Es sind vor allem junge Männer, die sich unterhalb der Militärstation | |
einfinden müssen. Der M23-Kommandant hält eine Ansprache, die Kalaschnikow | |
im Anschlag. Als die Rebellen Journalisten sehen, werden sie aggressiv. Es | |
scheint, als seien sie bei einer Rekrutierungsmission ertappt worden. | |
Am selben Abend hält der Führer der M23, Oberst Sultani Makenga, eine | |
Ansprache auf einem Hügel in Bunagana. In einer scheinbar großzügigen Geste | |
kündigt er an, seine Kämpfer würden sich noch am selben Abend aus Rutshuru | |
zurückziehen: „Wir übergeben die Stadt der Polizei und den Blauhelmen, um | |
die Bevölkerung zu schützen“, sagt er. M23 kämpfe nicht, um Städte zu | |
erobern, sondern um die Regierung zum Zuhören zu zwingen. Die Bedingungen | |
des Friedensvertrags von 2009 sollen eingehalten werden. „Wenn es nötig | |
ist, dafür Goma zu erobern, dann tun wir das.“ | |
Am Montag marschiert M23 bereits Richtung Goma. Ohne geplündert zu haben, | |
verlassen ihre Kämpfer Rutshuru und hinterlassen Polizeieinheiten unter | |
ihrem Kommando. Bereits Sonntagabend nehmen sie die große Militärbasis | |
Rumangabo ein, auf halbem Weg nach Goma, bestätigt M23-Oberst Antoine Manzi | |
der taz. „Wir haben keine Kämpfer dort stationiert“, sagt er. „Wir rück… | |
weiter gen Süden vor.“ | |
9 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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