| # taz.de -- Debatte Konflikt in Ostkongo: Zehn Jahre für nichts | |
| > Erneut muss die Staatsmacht im Kongo vor Rebellen zurückweichen, die | |
| > internationale Aufbaupolitik von zehn Jahren ist gescheitert. Es ist | |
| > Zeit, neue Wege zu gehen. | |
| Bild: Im Kongo ist die größte UN-Blauhelmmission der Welt stationiert. | |
| Geht es jetzt tatsächlich zu Ende mit dem Kongo? Innerhalb weniger Tage hat | |
| es die junge Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) geschafft, alle Welt | |
| vorzuführen. Kampflos konnte eine Gruppe ostkongolesischer Militärs, die | |
| sich im April von der Regierung losgesagt hatten, [1][eine Stadt nach der | |
| anderen einnehmen] und [2][Militärstützpunkte besetzen], als seien es | |
| Kindergärten, während sich die Regierungstruppen scharenweise absetzten, | |
| plünderten oder gleich in Uganda entwaffnen ließen. | |
| Jetzt droht eine möglicherweise entscheidende Schlacht um die | |
| Millionenstadt Goma, wo selbst die massive Präsenz von UN-Elitekampftruppen | |
| kein Gefühl von Sicherheit mehr zu erzeugen vermag. | |
| Bemerkenswert ist dabei weniger, dass es in einem so schlecht regierten | |
| Land wie dem Kongo bewaffnete Aufständische gibt. Das Außergewöhnliche an | |
| der jetzigen Situation ist vielmehr, wie wenig außergewöhnlich sie ist. Der | |
| Blitzkrieg der M23 ist der vierte seiner Art in den vergangenen sechzehn | |
| Jahren. | |
| Wieder einmal ziehen es die besten Offiziere des Landes vor, in den Busch | |
| zu gehen statt in den Staat. Wieder einmal entpuppt sich die | |
| Regierungsarmee als ein Haufen verelendeter und verängstigter Banditen. | |
| Wieder einmal beweist sich, dass kampferprobte Militärs in ihrer eigenen | |
| Heimatregion nicht zu schlagen sind. Wieder einmal herrscht unter der | |
| [3][betroffenen Bevölkerung in den Kriegsgebieten] ohnmächtige Wut. Wieder | |
| einmal macht die ferne Hauptstadt Kinshasa alle Welt für das Desaster | |
| verantwortlich außer sich selbst. | |
| ## Internationale Aufbauarbeit für nichts | |
| Und all dies nach zehn Jahren milliardenschwerer internationaler | |
| Aufbauarbeit für einen funktionierenden Sicherheitsapparat, nach zehn | |
| Jahren Präsenz der schon seit einiger Zeit größten UN-Blauhelmmission der | |
| Welt, nach zehn Jahren Amtszeit des international hofierten Präsidenten | |
| Joseph Kabila, nach zehn Jahren Friedens- und Demokratisierungsprozessen | |
| mit den teuersten und logistisch kompliziertesten Wahlen, die es in einem | |
| Bürgerkriegsland je gab. | |
| Zehn Jahre, in denen die große Hoffnung der Kongolesen auf eine bessere | |
| Zukunft erst geweckt wurde – die jetzt umso wuchtiger zerschellt. Woran | |
| soll ein Kongolese denn noch glauben? | |
| Freie Wahlen? Gab es, zweimal, und sie endeten beim zweiten Mal 2011 in | |
| einem Wahlbetrug, den alle Welt hinter vorgehaltener Hand eingesteht, aber | |
| dessen Ergebnis – Kabilas Wiederwahl – alle Welt anerkennt. | |
| Friedensabkommen? Gab es unzählige, letztlich wurden sie nicht umgesetzt. | |
| Irgendwer griff immer wieder zu den Waffen, so wie jetzt die M23. | |
| Wiederaufbau? Gibt es, mit Milliardeninvestitionen und Geberprogrammen, an | |
| denen sich vor allem die Elite bereichert. | |
| ## Kinshasa, Bühne für Ausbeuter | |
| Der international geduldete [4][Wahlbetrug von 2011] und die | |
| [5][Niederschlagung aller Proteste] dagegen waren wohl der Punkt, an dem | |
| viele Kongolesen endgültig Abschied nahmen vom Glauben an Demokratie und | |
| Rechtsstaat mit westlicher Unterstützung. Und sie nahmen auch Abschied von | |
| ihrem Staat, so wie er in den letzten zehn Jahren als Kunstgebilde über ein | |
| zerrissenes Land gestülpt worden war. | |
| Seit sich der Rest der Welt im Kongo für Frieden und Demokratie einsetzt, | |
| dreht sich das Land in einem mörderischen Kreislauf aus auswärtig | |
| gefördertem Staatsaufbau und lokal genährter Instabilität. Wo Geld | |
| erwirtschaftet wird, sei es in den Minen Katangas oder an den Grenzposten | |
| Ostkongos oder im Atlantikhafen Matadi im Westen, wird damit der parasitäre | |
| und korrupte Zentralstaatsapparat in Kinshasa am Leben gehalten, in dem | |
| sich die Ausbeuter der jeweiligen Landesteile wiederum zur Schau stellen | |
| und um internationale Gelder und staatliche Gunst werben dürfen. Mit diesem | |
| Geld und dieser Gunst können sie dann im Namen von Demokratie und Frieden | |
| ihre lokalen Widersacher kleinhalten. | |
| Es gibt darüber so viele Geschichten im Kongo wie lokale Welten. Zum | |
| Beispiel der Wahlkreis Kalehe, ein idyllischer Landstrich aus zerklüfteten, | |
| bewaldeten Bergen am Westufer des ostkongolesischen Kivu-Sees. Vor den | |
| Wahlen vom November 2011 steckte der Regionalleiter der Wahlkommission das | |
| Wahlbudget in die Tasche und verschwand. Sein Stellvertreter löste das | |
| Problem, indem er die lokalen Honoratioren zur Kasse bat und die | |
| Wahlergebnisse später gemäß den eingegangen finanziellen Beiträgen | |
| sortierte. | |
| Wie durch ein Wunder ging aus der Parlamentswahl in Kalehe ein früherer | |
| Milizensprecher als Sieger hervor, der später als Umweltminister in | |
| Kinshasa Karriere gemacht hatte, jetzt wieder nach Hause zurückgekehrt war | |
| und sich rühmte, erneut lokale Milizen zu finanzieren. Ohne das ihm jemand | |
| Wahlbetrug nachweisen kann, erleben diese Milizen seit seinem Wahlsieg | |
| einen beispiellosen Aufschwung, es gibt in Kalehe ständig Massaker und | |
| Ströme verzweifelter Flüchtlinge. | |
| ## Staat ohne Legitimation | |
| Eine ähnliche Konfliktdynamik gibt es in vielen anderen Regionen des Kongo. | |
| Das ist der Boden, auf dem die M23 gedeiht und in dem der Staat jede | |
| Legimitation einbüßt, sich wieder als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen. | |
| Die M23-Rebellion ist selbst nur ein Symptom dieser Probleme, keine Lösung. | |
| Ihr Verdienst ist es, den kongolesischen Kaiser nackt dastehen zu lassen. | |
| Wie weiter? In Kongos reichster Provinz Katanga mit ihren fantastischen | |
| Kupfer- und Kobaltvorkommen wird längst über Sezession nachgedacht. | |
| Unterschriften werden gesammelt für eine Föderalisierung des Kongo ab 2016. | |
| Dahinter steckt, das geben Katanger freimütig zu, die Möglichkeit der | |
| Abspaltung. „Option Südsudan“ heißt das. Und wenn Katanger darüber mit | |
| anderen Kongolesen sprechen, ernten sie zunehmend Beifall, statt wie früher | |
| auf Ablehnung zu stoßen. | |
| Im Grunde ging der kongolesische Staat schon vor knapp zwanzig Jahren | |
| unter, als die brutale und kleptokratische Mobutu-Diktatur unter ihren | |
| eigenen Widersprüchen zusammenbrach. Der sicherste Weg zur Macht im Kongo | |
| ist seitdem, Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. | |
| Der heutige Kongo ist zur Schaubühne für Verbrecher und skrupellose | |
| Machtpolitiker verkommen. Es ist Zeit, sich davon zu verabschieden, damit | |
| die Menschen einen Neuanfang wagen können. | |
| 12 Jul 2012 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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