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# taz.de -- Rebellenarmee im Ostkongo: Kalaschnikows im Klassenzimmer
> Kongos Rebellenbewegung M23 erobert eine wichtige Handelsstadt an Ugandas
> Grenze. Die Bevölkerung flieht. Unterwegs mit den Rebellen hoch oben in
> den Vulkanbergen.
Bild: Täglich liefert sich M23 Feuergefechte mit Kongos Armee: Rebell in Bunag…
BUNAGANA taz | Die Grundschule der Grenzstadt Bunagana im Ostkongo an der
Grenze zu Uganda sieht aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen: Stahlhelme,
Munitionsgürtel, Kondome, Verbandszeug, Kalaschnikow, Uniformen – alles
liegt kreuz und quer in den Klassenzimmern herum. Dazwischen finden sich
Schulhefte und Tafelkreide. Vor der Schiefertafel, auf der noch vor zwei
Wochen der Lehrer Verben konjugiert hatte, türmen sich Munitionskisten.
Oberst Vienney Kazarama hebt eine Panzerfaust auf. Er schüttelt entsetzt
den Kopf: „Was ist das für eine Armee, die ihre Waffen in Schulen lagert
und Schülern ihre Recht auf Bildung nimmt“, sagt er und scheucht einige
Kinder weg, die sich durch das Chaos wühlen – auf der Suche nach etwas
Brauchbarem.
Ein junger Mann rennt mit einem Maschinengewehr über der Schulter davon.
Kazarama winkt seinen Leibwächtern zu, die Leute zu verscheuchen. Der große
Mann in Uniform war bis Anfang Mai selbst Offizier in Kongos Armee. Dann
desertierte er mit hunderten seiner Kameraden. Verschanzt zwischen den
Hügel im Dreiländereck zwischen Ostkongo, Uganda und Ruanda formierten sie
sich zu einer neuen Miliz, der M23.
Täglich liefert sich M23 Feuergefechte mit Kongos Armee, die täglich weiter
zerbröselt, da immer mehr Soldaten und Kommandeure zur M23 überlaufen. Am
Freitag gelang es M23, Bunagana einzunehmen, eine wichtige Handelsstadt
hoch oben in den Vulkanbergen an der Grenze zu Uganda. Über diese
abgelegene Grenze werden vor allem Mineralien wie Coltan und Kassiterit
geschmuggelt. „Die Soldaten hatten uns auf unseren Hügeln nahe Bunagana
angegriffen und wir schlugen dann mit voller Kraft zurück“, lächelt
Kazarama.
## 600 Soldaten fliehen
Die 600 in Bunagana stationierten Soldaten ließen alles stehen und liegen.
Zusammen mit über 5.000 Einwohnern der Kleinstadt überquerten sie den
Schlagbaum, um in Uganda Schutz zu suchen. Selbst General Mayala Vainqueur,
oberster Kommandant der Regierungsarmee in Nord-Kivu-fand sich in Uganda
wieder. Kongos Regierung hat ihn am Samstag abgesetzt sowie auf einer
Sondersitzung des Kabinetts eine Generalmobilmachung ausgerufen.
Jetzt kontrollieren die Kämpfer der M23 die staubigen Straßen von Bunagana.
Skeptisch beobachten die Einwohner die Kämpfer mit ihren Kalaschnikows.
Noch benehmen sich die Rebellen. Bei den Kämpfen sind keine Zivilisten
umgekommen. Doch niemand will öffentlich reden – zu groß ist die Angst,
etwas Kritisches gegenüber den Rebellen zu äußern.
Hoch oben auf einem Hügel, von welchem aus man die Grenze und das
Stadtzentrum überblicken kann, haben die M23-Kämpfer eine verlassene
Militärbasis bezogen. Ein russischer Raketenwerfer zielt über die
Hausdächer hinweg. Wenige Meter unterhalb haben sich indische UN-Blauhelme
hinter Sandsäcken verschanzt. Skeptisch beobachten sie die M23.
Bei der Schlacht um diese Position war am Freitag ein indischer
Blauhelmsoldat erschossen worden. Jetzt hat sich die Frontlinie acht
Kilometer westlich von Bunagana verlagert. Das Ziel von M23: die 30
Kilometer entfernte Stadt Rutshuru einzunehmen.
## „Regierung an den Verhandlungstisch zwingen“
„Wir wollen Kongos Regierung an den Verhandlungstisch zwingen“, erklärt
Kazarama, während er auf dem Hügel den Raketenwerfer vorführt. Ein jüngst
veröffentlichter UN-Bericht beschuldigt Ruanda, den M23 Waffen und
Nachschub zu liefern. Kazarama streitet dies alles ab: „Alle Waffen und
Munition, die wir haben, stammen von den verlassenen Lagern der
kongolesischen Armee“, sagt er.
Stattdessen ist der Milizsprecher bemüht, Kongos Regierung die Schuld für
den aktuellen Krieg in die Schuhe zu schieben: „Wir haben der Regierung
lange genug Zeit gegeben, unsere Forderungen zu erfüllen und sie haben es
nicht getan, deswegen mussten wir zu anderen Mitteln greifen“, nickt er.
Die M23 wurde von Offizieren der ehemaligen Tutsi-Miliz CNDP
(Nationalkongress zur Volksverteidigung) gegründet. Der CNDP hatte bereits
2008 den Landstrich zwischen Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma und Bunagana
erobert. 2009 intergierte sich die Miliz nach einem Friedensvertrag mit
rund 6000 Kämpfern in die Armee.
## „Unser Land wird von Räubern regiert“
„Damals hatten wir Bedingungen gestellt“, sagt er und nennt als Beispiel
den verschärften Kampf gegen die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische
Kräfte zur Befreiung Ruandas) sowie bessere Ausrüstung, Bezahlung und
Lebensbedingungen für Soldaten. „Doch diese Bedingungen wurden nie
erfüllt“, schimpft er. Kazarama selbst verdiente als Oberst in der Armee
gerade einmal 75 Dollar im Monat, berichtet er: „Wie soll ich davon denn
meine fünf Kinder durchfüttern?“
Oft sei der Sold von seinen Vorgesetzten gestohlen worden. Gleichzeitig
würden die Generäle in Kinshasa immer reicher: „Unser Land wird von Räubern
und Gangstern regiert, die sich durch Kriege bereichern“. Es sei an der
Zeit, dass die Schulen im Kongo wieder von Schülern und nicht von Soldaten
benutzt würden, sagt er.
7 Jul 2012
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Kongo
Kongo
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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