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# taz.de -- Krieg im Ostkongo: Gestrandet auf Lavasteinen
> Ein Land zerbröselt: Täglich landen neue Flüchtlinge in Ostkongos Lagern,
> täglich laufen neue Soldaten zur jungen M23-Rebellion über. Und im
> Dschungel wüten Milizen.
Bild: In Mugunga haben sich tausende Flüchtlinge gesammelt.
GOMA taz | Barfuß, mit blutigen Fußsohlen, spielen die Kinder auf den
kantigen Lavasteinen. Mutter Nyiararugendo Ruvamwabo hockt erschöpft
daneben, ihr Neugeborenes im Arm. Den Säugling hat sie auf der Flucht
geboren – nachts, im Busch, ohne Hilfe. Am nächsten Morgen sei sie direkt
weiter, erzählt sie: „Wir mussten uns doch in Sicherheit bringen.“ Wo sie
herkommt, seien ihre Nachbarn massakriert worden.
Fast eine Woche hat die Mutter mit ihren nun sechs Kindern gebraucht: vom
Dorf Ufamandu in der ostkongolesischen Bergregion Masisi bis nach Mugunga
am Westrand der Provinzhauptstadt Goma unterhalb der Vulkane. Sie zogen
durch dichten Dschungel, über die Berge, vorbei an bewaffneten Rebellen und
meuternden Soldaten. Jetzt sitzt Ruvamwabo in einem Hangar aus schiefen
Holzlatten und Plastikplanen und weiß nicht weiter. „Die Situation ist
miserabel, wir haben nichts zu essen, kaum Wasser, und die hygienischen
Bedingungen sind miserabel“, seufzt sie.
Im Lager Mugunga 3 hausen über 8.000 Vertriebene unter diesen Bedingungen.
Die, die schon länger hier sind, haben sich aus Zeltplanen und Lavabrocken
Behausungen gebaut. Für Neuankömmlinge wie Ruvamwabo hat das
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR große Hangars errichtet, in denen hunderte
Kinder, Frauen und Männer nachts dicht gedrängt auf der Lava schlafen. Mehr
gibt es nicht.
Hilfswerke sind komplett überfordert. Über 1,5 Millionen Vertriebene gibt
es im Ostkongo, seit dem Ausbruch der jüngsten Kämpfe im April sind nach
UN-Angaben 218.000 weitere Menschen in Nord-Kivu geflohen.
## Vergewaltigungen im Flüchtlingslager
Dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) gehen jetzt die Rationen aus. Es
verteilt monatlich an knapp eine halbe Million Menschen 1.800 Tonnen
Lebensmittel in Form von Energiekeksen – das sind pro Person 120 Gramm am
Tag. Auch Mutter Ruvamwabo hat bei ihrer Ankunft welche bekommen. Seitdem
erhielt sie nur noch Gutscheine, um auf dem Markt einzukaufen.
Gehetzt steigt ein UNHCR-Mitarbeiter in den Geländewagen: Es gibt Berichte
über Vergewaltigungen auf der anderen Seite des Lagers. Und im eigentlich
längst geschlossenen Nachbarlager Muganga 1 seien neue Vertriebene. Der
UN-Wagen holpert zwei Kilometer die Straße entlang und bleibt abrupt
stehen. Hunderte neu errichtete notdürftige Hütten aus Bananenblättern und
Zweigen bedecken den Hügel. „Was machen diese Leute hier? Hier ist es doch
nicht sicher“, schüttelt der UNHCR-Mitarbeiter entsetzt den Kopf.
Aus dem Gebüsch kommen Soldaten angelaufen. Ein Armeefahrzeug liegt
umgekippt am Straßenrand. Vergangene Woche wurde in diesem Auto ein Oberst
mit seinen sechs Leibwächtern erschossen. Die Soldaten sind nervös. Sie
zwingen den Mann vom UNHCR zur Umkehr.
Während täglich mehr Flüchtlinge auftauchen, fahren in Goma ständig
Militärkonvois. Angst geht um, dass Rebellen jetzt wieder so nahe
herankommen wie zuletzt 2008, als die CNDP (Nationalkongress zur
Verteidigung des Volkes) des Tutsi-Generals Laurent Nkunda Goma belagerte.
Die CNDP stellte 2009 den Kampf ein und integrierte ihre damals knapp 6.000
Soldaten in die Armee, in der sie Kommandoposten erhielt.
Aber als Kongos Präsident Joseph Kabila im April drohte, den wichtigsten
ehemaligen CNDP-General Bosco Ntaganda zu verhaften, gingen ehemalige
CNDP-Offiziere erneut in den Busch. Sie gründeten eine Rebellenarmee namens
M23, in Anlehnung an den aus ihrer Sicht gescheiterten Friedensvertrag
zwischen CNDP und Regierung vom 23. März 2009, und setzten sich in den
Bergen an der Grenze zu Ruanda fest.
## Undurchsichtige Kriegskoalitionen
Und nun beißt sich der Rest der Armee an den Rebellen die Zähne aus. Am
Donnerstagabend, nachdem die M23 wieder einmal einen Angriff abgewehrt
hatte, sprach die Armee von einem „strategischen Rückzug“.
Im Ostkongo derzeit von einer Armee im eigentlichen Sinne zu sprechen, ist
eine Übertreibung. Seit April desertieren täglich hochrangige Offiziere
samt Soldaten und Waffen. Rund fünf Offiziere täglich, schätzen Experten.
Wie das geht, lässt sich am Grenzübergang vom kongolesischen Goma in die
ruandische Nachbarstadt Gisenyi beobachten. Aus einem Geländewagen steigen
Soldaten und salutieren. Ihr Kommandeur steigt in Jeans und T-Shirt vom
Beifahrersitz. Er trägt einen Koffer. Mit einem Nicken verabschiedet er
sich über den Schlagbaum.
Verschiedene Quellen bestätigen: Auf ruandischer Seite marschieren solche
Deserteure die Vulkanberge hinauf und übertreten dort wieder die Grenze in
den Kongo, um sich der M23 anzuschließen. Kongos Armee hat mittlerweile
fast 10.000 Soldaten in die Vulkanberge verlegt, um die M23 zu stoppen. In
anderen Gebieten wie Masisi, wo die Truppen abzogen, haben sich nun
bewaffnete Gruppen breit gemacht.
So auch in Mutter Ruvamwabos Dorf Ufamandu: Dort hat sich die kongolesische
Hutu-Miliz Nyatura mit der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische
Kräfte zur Befreiung Ruandas) zusammengetan, gegen eine Allianz zwischen
der kongolesischen Tembo-Miliz Raia Mutomboki und den von Ntaganda
ausgerüsteten FDC (Kräfte zur Verteidigung der Kongolesen).
Das ist genauso undurchsichtig, wie es klingt. Nur eines ist für Ruvamwabo
klar. „Solange dort gekämpft wird, können wir nicht zurück“, sagt sie und
guckt zu Boden, in den Lavastaub.
15 Jun 2012
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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