Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Forscher über Integrationserfolge: „Bei uns kommt alles 25 Jahre…
> Klaus J. Bade ist Deutschlands wichtigster Migrationsforscher. Jetzt
> verlässt er den Sachverständigenrat für Integration. Er spricht über
> unbelehrbare Politiker und das Osloer Attentat.
Bild: Demos gegen Monokultur sind heute Alltag – ein Erfolg, finden Forscher.
taz: Herr Bade, Sie forschen seit den achtziger Jahren zum Thema
Einwanderung und beraten die Politik. Reicht es Ihnen jetzt?
Klaus J. Bade: Nein, im Gegenteil. Mitte der achtziger Jahre sind einige
Kollegen aus der Migrationsforschung abgesprungen, weil sie keine Lust mehr
hatten, Buch für Buch vorzulegen, ohne dass sich die Politik bewegte. Wenn
man mehr als drei Jahrzehnte denselben Karren schiebt und den Eindruck hat,
die Straße ist immer dieselbe und der Karren fällt immer in dieselben
Löcher, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Man lässt es – oder man schiebt
schärfer an. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
Warum hören Sie dann zum 1. Juli als Vorsitzender des Sachverständigenrats
Integration und Migration auf?
Ich hatte von Beginn an nur drei Jahre zugesagt. Jetzt will ich mich wieder
in eigener Sache klarer und provokanter zu Wort melden, als das als
Vorsitzender des Sachverständigenrats möglich ist. Wenn man für ein ganzes
Gremium spricht, muss man seine Worte sehr abwägen.
Wo stehen wir heute, nach über 50 Jahren Einwanderung?
In den letzten zehn Jahren ist in der Migrations- und Integrationspolitik
mehr passiert als in den vier Jahrzehnten zuvor zusammen: die Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts, das Zuwanderungsgesetz, die Islamkonferenz, der
Nationale Integrationsplan. Integration ist hierzulande eine
Erfolgsgeschichte und viel besser als ihr Ruf, sie kann sich im
internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. In Frankreich, England
oder den Niederlanden ist die Lage schwieriger.
Nachdem die CDU lange geleugnet hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland
ist, hat sich in den vergangenen Jahren also einiges bewegt. Hat sie
letztlich mehr erreicht als Rot-Grün?
Nein, die entscheidenden Anstöße für diese ganze Entwicklung waren
rot-grüner Natur, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, wenn auch
wegen der damaligen Opposition weniger klar als angestrebt, auch das
Zuwanderungsgesetz, das waren die ersten Meilensteine. Aber Rot-Grün war
auch nicht so offen, wie wir gehofft hatten. Die parteipolitische Zuordnung
bei Erfolgen und Misserfolgen ist nicht so leicht.
Sie haben Begriffe geprägt wie den der „nachholenden Integration“, der
heute auch von Konservativen zu hören ist. Sind Sie glücklich darüber?
Was ich nachholende Integrationspolitik genannt habe, fanden zunächst alle
toll. Bis sie gemerkt haben, dass der Begriff auch beinhaltet, dass die
Politik etwas verpasst hat. Dann wurde daraus die „nachholende Integration“
gemacht – als alleinige Bringschuld der Einwanderer. Der Begriff des
Zuwanderers ist auch so eine Umdeutung: Sinngemäß bleibt der Einwanderer,
der Zuwanderer könnte wieder gehen. Dennoch gilt: die Politik ist nicht
mehr so beratungsresistent wie früher.
Gilt das auch für CSU-Innenminister Friedrich?
Friedrich versteht Integrationspolitik nicht als das, was sie ist: als
Gesellschaftspolitik. Schäuble war da weiter. Austeilen gegen Salafisten
und ab und an auch mal gegen Rechtsextreme, wie Friedrich es macht, das
reicht nicht.
Was waren für Sie die Tiefpunkte der Integrationsdebatte?
Ein erster Tiefpunkt war mit Sicherheit der Anwerbestopp von 1973, den die
sozial-liberale Bundesregierung ohne irgendwelche flankierende Maßnahmen
verhängte. Sie stellte die Menschen vor die Entscheidung: bleiben oder
gehen. Damit wurde der ohnehin laufende Wandel von Arbeitswanderern zu
Einwanderern beschleunigt. Damals hätte man bereits Integrationskurse
einführen müssen, aber die kamen erst 2005 – bei uns kommt in Sachen
Migrations- und Integrationspolitik fast alles 25 Jahre zu spät. Die
achtziger Jahre waren ein verlorenes Jahrzehnt. Der absolute Tiefpunkt
waren natürlich 1992 und 1993 die Exzesse auf den Straßen, in Rostock,
Mölln, Solingen und andernorts.
Und in Ihrer persönlichen Karriere?
Dass Schily mich bewusst nicht in die Unabhängige Kommission Zuwanderung
berufen hat …
… die bald nur noch Süssmuth-Kommission genannt wurde und der rot-grünen
Regierung Vorschläge für das Zuwanderungsgesetz machen sollte …
… das war ein gezielter Affront, weil ich zuvor einen kritischen offenen
Brief an Schily unterzeichnet hatte. Nachdem der Zuwanderungsrat, dessen
stellvertretender Vorsitzender ich war, nach zwei Jahren wiederum einfach
aufgelöst wurde, hatte ich die Idee zum Sachverständigenrat: ein Gremium
aus der Bürgergesellschaft, das Politik öffentlich adressiert, ohne von ihr
abhängig zu sein.
Die Publizistin Necla Kelek hat Sie als Vorsitzenden des
Sachverständigenrats in der „FAZ“ mit dem Chef des Politbüros verglichen,
das abweichende Meinungen unterdrückt. Hat Sie das getroffen?
Ach was. Aber Kelek hat mit ihren absurden Unterstellungen eine regelrechte
Denunziationskampagne losgetreten. Für Internetpranger wie „Politically
Incorrect“ war das ein gefundenes Fressen. Das Ergebnis waren Hassmails,
Drohbriefe und sogar Morddrohungen. Bis vor einem halben Jahr schickte mir
die Polizei zu Vorträgen wenn nötig Saal- oder Personenschutz.
Wie sind Sie eigentlich ursprünglich dazu gekommen, sich mit Einwanderung
zu beschäftigen?
Ich habe meine Kindheit in einem winzigen hessischen Dorf bei meinen
Großeltern verbracht. Aus diesem Dorf wanderten Freunde mit ihren Eltern
nach Kanada aus. Dass da Leute freiwillig ihre Sachen packten, um nie mehr
wiederzukommen, das hat mich als Kind sehr beschäftigt. In meiner
Habilitation habe ich mich dann in den siebziger Jahren mit der
Wanderarbeiterfrage im deutschen Kaiserreich beschäftigt und viele
Parallelen zur damals aktuellen Debatte der Gastarbeiterfrage gesehen.
Sie haben die Erfolge der vergangenen zehn Jahre gelobt. In diese Zeit
fallen auch die scharfe Islamdebatte, Sarrazin und die Mordserie des
rechtsextremen NSU. Ein Widerspruch?
Man muss unterscheiden zwischen den konkreten Alltagserfahrungen in der
Einwanderungsgesellschaft und dem geistigen oder ideologischen Überbau, der
darüber wabert. Die Bürger haben den komplizierten Prozess des
Zusammenwachsens von Zuwanderer- und Mehrheitsbevölkerung zur
Einwanderungsgesellschaft ganz gut geschafft, und zwar weitgehend ohne
politische Hilfestellungen. Und diese Erfahrung ist belastbarer als viele
Politiker glauben.
Wie passt das zu Sarrazins Erfolg?
Weil es gleichzeitig ungeklärte Fragen und große Ängste gibt. In der
Einwanderungsgesellschaft ist vieles im Fluss, dazu kommt der demografische
Wandel. Die Gesellschaft verändert sich rasant, das macht vielen Menschen
mentalen Stress. Politik sollte vorleben, den steten Wandel als Normalität
zu begreifen. Doch das macht sie nicht, denn dazu braucht man
gesellschaftspolitische Antworten und die haben viele Politiker nicht. Dass
sich viele Politiker zunächst gegen Sarrazin gewandt haben, ohne sein Buch
gelesen zu haben, lag ja nicht daran, dass sie seine Aussagen für falsch
hielten, sondern dass sie Angst vor den Folgen hatten. Sie wussten, sie
würden wehrlos sein, wenn eine politische Bewegung von Sarrazinos entstehen
würde. Glücklicherweise ist inzwischen die Luft raus aus der Debatte. Das
hat auch mit Oslo und Zwickau zu tun.
Sehen Sie da positive Nebeneffekte dieser furchtbaren Taten?
Der Massenmord in Norwegen und die Serienmorde der Neonazi-Zelle aus
Zwickau haben viele aufgeschreckt. Sie haben gezeigt, dass die Täter zum
Teil die gleichen Argumente und Motive hatten wie antiislamische
Agitatoren, dass es also eine ideelle Brücke gibt zwischen der Wort- und
der Tatgewalt. Interessant ist, wie unterschiedlich die Reaktionen in
Norwegen und bei uns waren. In Norwegen hat die Politik mit einem
demonstrativen Appell zu noch mehr demokratischer Geschlossenheit, zu noch
mehr offensiver Akzeptanz von kultureller Vielfalt reagiert. In Deutschland
hat es nur zu Trauer und zur Wendung gegen Rechtsextremismus gereicht. Wo
war das klare Bekenntnis, dass Antiislamismus ein Angriff auf kulturelle
Toleranz und sozialen Frieden ist? Das gab und gibt es bis heute nicht.
28 Jun 2012
## AUTOREN
Sabine am Orde
Daniel Bax
## TAGS
Integration
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sachbuch zur Integration: Auf Worte können Taten folgen
Der Migrationsforscher Bade beklagt, Medien und Politik hätten aus den
NSU-Morden und der Sarrazin-Debatte nichts gelernt. Das schade der
Integration.
Fehde zwischen Muslim und „Propheten“: Hass auf den Islam
Ein selbst ernannter Prophet warnt in seinem Buch vor den „Verbrechen von
Mohammed“. Ein Muslim bekämpft das Werk erbittert. Nun fürchten beide um
ihr Leben.
Jahresgutachten der Integrationsrates: Alles Kraut und Rüben
Die deutsche Integrationspolitik sei schlecht abgestimmt, kritisiert der
Sachverständigenrat. Eine Zentrale könnte die Zusammenarbeit von Bund und
Ländern verbessern.
Gesetz zu ausländischen Berufsabschlüssen: Ärzte müssen nicht länger Taxi …
Per Gesetz wird nun die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
beschleunigt. Hoffungsschimmer für manch ausländischen Akademiker, der
bisher Taxi fahren musste.
Migrationsreport 2010: Auch der Hinduismus gehört dazu
Im Migrationsreport 2010 kommt die deutsche Islampolitik schlecht weg. Ein
Vorschlag lautet: Aus der Islamkonferenz eine Religionskonferenz zu machen.
Umgang mit Flüchtlingen: Union begrenzt lernfähig
Innenpolitiker der Union wollen unter keinen Umständen Flüchtlinge aus
Nordafrika aufnehmen. Offen zeigen sie sich hingegen für Arbeitsmigration
auf Zeit.
Sachverständige gegen EU-Abschottung: Im Boot ist noch Platz
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration kritisiert den Umgang
der EU-Staaten mit Flüchtlingen und warnen vor "populistischer
Kulturpanik".
Neues Gutachten zur Migration: Ausländer rein!
Deutschland braucht mehr Zuwanderung, heißt es in einem neuen Gutachten zur
Migration. Viele Deutsche akzeptieren diesen Zuzug - von Fachkräften.
Thilo Sarrazin, der Eugeniker: Die Gene sind schuld
Thilo Sarrazin vermischt in seinem neuen Buch über den angeblichen
Untergang der Deutschen Halbwahrheiten mit Unsinn – und das in einem
schrillen Tonfall.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.