| # taz.de -- Bundestag beschließt Reform: Pflege wird ein bisschen teurer | |
| > Unter heftiger Kritik von der Opposition hat der Bundestag Beitragssatz | |
| > für die Pflegeversicherung angehoben. Außerdem soll private Vorsorge | |
| > bezuschusst werden. | |
| Bild: Hat sein Gesetz durchgekriegt: Gesundheitsminister Bahr. | |
| BERLIN taz | Der Bundestag hat am Freitag mit den Stimmen der Union und FDP | |
| die Pflegereform beschlossen. Das sogenannte Pflegeneuausrichtungsgesetz, | |
| das Anfang 2013 in Kraft treten soll, sieht verbesserte Leistungen für | |
| Demenzkranke und Pflege-Wohngemeinschaften vor. Die SPD rügte die neuen | |
| Regelungen als „Reförmchen“. | |
| Um die neuen Leistungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zu finanzieren, | |
| soll der Beitragssatz zur gesetzlichen Pflegeversicherung von derzeit 1,95 | |
| Prozent vom Bruttolohn auf 2,05 Prozent steigen, paritätisch von | |
| Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Kinderlose zahlen dann 2,3 | |
| Prozent an Beitrag. | |
| Wer neben der gesetzlichen Pflegeversicherung noch eine private | |
| Zusatzversicherung abschließt, bekommt ab 2013 vom Staat dafür jährlich 60 | |
| Euro an Zuschuss. Der Abschluss einer solchen Versicherung, des | |
| „Pflege-Bahr“, ist freiwillig. Die Versicherer dürfen dafür keine | |
| Gesundheitsprüfung verlangen, können aber die Prämien und die | |
| Leistungshöhen aufgrund eigener Kalkulation festsetzen. Die | |
| Gesundheitsexpertin Birgitt Bender von den Grünen kritisierte, dass der | |
| staatlich geförderte „Pflege-Bahr“ hohe „Mitnahmeeffekte“ für die | |
| Besserverdienenden erzeuge, weil nur diese sich überhaupt eine private | |
| Zusatzversicherung leisten könnten. | |
| Demenzkranke Menschen, die in ihrer „Alltagskompetenz“ eingeschränkt, aber | |
| noch kein Pflegefall sind, bekommen künftig eine neue „Pflegestufe 0“ mit | |
| einem Anspruch auf monatlich 225 Euro für Pflegedienste von den | |
| Sozialstationen oder 120 Euro für pflegende Angehörige. Auch die Leistungen | |
| in den Pflegestufen I bis II für Demenzkranke werden um bis zu 215 Euro | |
| monatlich erhöht, aber nur in der ambulanten Betreuung. | |
| Pflegende Angehörige, die eine Auszeit nehmen, erhalten künftig für diese | |
| Zeit das Pflegegeld zur Hälfte weiter. Pflegebedürftige, die in | |
| Wohngemeinschaften leben, erhalten ab 2013 eine Pauschale von 200 Euro | |
| monatlich zur gemeinschaftlichen Finanzierung einer zusätzlichen | |
| „Präsenzkraft“. | |
| ## Steigende Kosten für Pflegebedürftige? | |
| Eine kleine Änderung könnte folgenreich sein: Sozialstationen bieten bisher | |
| „Leistungskomplexe“ mit bestimmten Preisen in der Pflege an. Zeiteinheiten | |
| werden dabei nicht abgerechnet. Ab 2013 müssen die Pflegedienste sowohl | |
| eine Leistungskomplex- also auch eine Zeitvergütung nebeneinander anbieten. | |
| Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) befürchtet | |
| dadurch steigende Kosten für die Pflegebedürftigen. | |
| Bisher machen die Sozialstationen eine Art zeitlicher Mischkalkulation: Bei | |
| den weniger Eingeschränkten kostet etwa eine Morgenwäsche nicht so viel | |
| Zeit wie bei den verwirrten Gebrechlichen – für beide wird aber der gleiche | |
| Preis für den Leistungskomplex angesetzt. Wird künftig nach Minuten | |
| abgerechnet, was sich für die „Fitteren“ lohnen würde, könnten die Preise | |
| für die Gebrechlicheren steigen. Ein höherer Aufwand bei der einen | |
| Patientin kann dann nicht mehr wie bisher bei einer fitteren Patientin | |
| „aufgeholt“ werden. | |
| 29 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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| Bundestag | |
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