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# taz.de -- Neonazi-Mordserie: „V-Mann 'Tarif' - vernichtet“
> Die vom Verfassungsschutz geschredderten V-Mann-Akten waren brisanter als
> zugeben. Einer der Spitzel war in die Suche nach dem NSU-Trio
> eingebunden.
Bild: Geschlossene Veranstaltung: der ehemalige Treffpunkt des „Thüringer He…
BERLIN taz | Manchmal können Verfassungsschützer richtig kreativ sein. Eine
groß angelegte Geheimdienstaktion tauften sie nach einem der schönsten
Wanderwege Deutschlands im Thüringer Wald, dem 170 Kilometer langen
Rennsteig.
Noch kreativer waren die Geheimdienstler aber bei der Wahl der Namen ihrer
bezahlten Spitzel, die sie im Rahmen jener „Operation Rennsteig“ in der
rechtsextremen Szene anwarben. Die Vorgabe war offenbar, dass die Decknamen
all dieser V-Leute mit einem T beginnen müssen. Und deshalb bekamen sie
Namen wie diese: „VM Treppe“, „VM Tonfarbe“, „VM Tinte“ oder „VM …
Doch Kreativität bei der Namensfindung ist nicht das, was man von Behörden
zuallererst erwartet, sondern vielmehr das, womit das Bundesamt für
Verfassungsschutz in Köln selbst auf seiner Internetseite wirbt: „Mit
Vertrauen, Sicherheit.“
Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörde aber war nach einer in den
vergangenen Tagen bekannt gewordenen Vernichtung brisanter Akten auf einen
Tiefstand gesunken. Weshalb Verfassungsschutzchef Heinz Fromm am Montag
keine andere Wahl blieb als zurückzutreten.
## Verbindung zum abgetauchten Terror-Trio
Den Verdacht, dass ausgerechnet am Tag des Auffliegens des
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in seinem Amt potenziell
relevante Informationen zu der rechten Terrorzelle vernichtet wurden,
konnte Fromm nicht entkräften.
Informationen der taz belegen vielmehr, dass mindestens in einem Fall Akten
zu einem V-Mann vernichtet wurden, der in die Suche nach dem 1998
abgetauchten Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eingebunden
war – denjenigen also, die zehn Morde auf dem Gewissen haben.
Ein Referatsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz hatte im November
2011 sieben Akten zur „Operation Rennsteig“ vernichten lassen. Deren Inhalt
betraf eine am 17. Juli 1996 gestartete konzertierte Aktion des Bundesamts
für Verfassungsschutz, des Thüringer Landesamts und des
Bundeswehrgeheimdiensts MAD.
Ziel der bis 2003 andauernden Operation war es, V-Leute in der
Anti-Antifa-Ostthüringen und deren braunen Nachfolgetruppe „Thüringer
Heimatschutz“ anzuwerben – in jenem Kameradschaftszusammenschluss also, dem
die späteren NSU-Terroristen bis zu ihrem Untertauchen angehörten.
Acht V-Leute konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz anwerben, allesamt
bekamen sie einen Tarnnamen, der mit einem T beginnt. Wichtige Teile dieser
Akten wurden, wie nun bekannt geworden ist, am 11. November 2011
geschreddert – ausgerechnet an dem Tag, an dem der Generalbundesanwalt
öffentlich bekannt gab, dass er die Ermittlungen gegen die Terrorzelle
übernommen hat.
## Geknickt und aufklärungsbereit
Gegenüber Verfassungsschutzchef Fromm soll der zuständige Referatsleiter
die Aktenvernichtung, die er mit angeblich abgelaufenen
Aufbewahrungsfristen begründete, aber erst vergangenen Mittwoch eingeräumt
haben – fast acht Monate später.
Fromm wusste um die Brisanz des Vorgangs, leitete ein Disziplinarverfahren
gegen den Mitarbeiter ein und versetzte ihn intern. Nach außen hin
versuchte er die Wogen zu glätten, gab sich geknickt und aufklärungsbereit.
„Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand handelt es sich um einen Vorgang,
wie es ihn in meiner Amtszeit bisher nicht gegeben hat“, ließ er sich am
Wochenende zitieren. „Hierdurch ist ein erheblicher Vertrauensverlust und
eine gravierende Beschädigung des Ansehens des Amtes eingetreten.“
Gleichzeitig versuchte Fromm aber die Bedeutung des Vorfalls hinter den
Kulissen herunterzuspielen. „Keiner dieser V-Leute hatte eine
Führungsfunktion im ’Thüringer Heimatschutz‘, die Quellen waren
ausschließlich Randpersonen oder Mitläufer“, schrieb er dem Staatssekretär
im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Fritsche. Zugänge zu den drei
späteren NSU-Mitgliedern seien „nicht erlangt“ worden.
Man wolle nun versuchen, aus anderen Akten den Inhalt der geschredderten
Dokumente nachzuvollziehen, hieß es. Gleichwohl musste Fromm aber in seinem
Schreiben eingestehen: „Die vernichteten Akten können voraussichtlich nicht
mehr in vollem Umfang rekonstruiert werden.“
## Mehr Brisanz als zunächst angenommen
Zunächst schien es noch, als wolle Verfassungsschutzchef Fromm im Amt
bleiben. Doch am Wochenende wurde die Kritik immer lauter. Von einem
„unglaublichen Vorgang“ sprach die FDP, von einem „Skandal“ redeten SPD…
Linke. Die CSU forderte indirekt Fromms Rücktritt, und Grünen-Chef Cem
Özdemir sagte: „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ Die Affäre einfach auf den
Referatsleiter abzuwälzen war nicht mehr möglich. Am Montag schmiss der
bald 64-jährige Heinz Fromm, der nächstes Jahr ohnehin in den Ruhestand
gehen sollte, vorzeitig hin.
Sein Rücktritt erfolgte womöglich auch, weil in der Affäre noch viel mehr
Brisanz steckt. Nach Informationen der taz spielte mindestens einer der
V-Leute, dessen Akten nun geschreddert wurden, entgegen den Behauptungen
Fromms durchaus eine Rolle bei der Suche nach dem mordenden Neonazi-Trio
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe: Es handelt sich um den V-Mann, den das
Bundesamt für Verfassungsschutz unter dem Namen „Tarif“ führte.
Wer sich hinter dem Decknamen verbirgt, ist unbekannt. Doch wie aus streng
geheimen Verfassungsschutzakten hervorgeht, war V-Mann „Tarif“ im Jahr 1999
in die Suche nach der NSU-Truppe eingebunden. Damals war den Diensten das
Gerücht zu Ohren gekommen, dass die drei Gesuchten bei einem Neonazi in
Niedersachsen unterkommen könnten oder dass dieser Mann den dreien die
Flucht ins Ausland ermöglichen könnte.
Zwar wurde das Neonazitrio 1999 bekanntlich nicht in Niedersachsen
versteckt, sondern blieb unerkannt in Sachsen abgetaucht. Einer ihrer
mutmaßlichen Helfer, der frühere Kamerad aus dem „Thüringer Heimatschutz“
Holger G., lebte aber von dem Jahr an in dem Bundesland und wurde im Sommer
des Jahres vom dortigen Landesverfassungsschutz im Rahmen der Suche nach
dem Trio drei Tage lang erfolglos observiert.
## „V-Mann Tarif sensibilisiert“
Und hier kam nun auch der V-Mann „Tarif“ ins Spiel. Wörtlich heißt es in
dem geheimen Papier des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV): „Das BfV
hatte in diesem Zusammenhang eigene Quellen, insbesondere den u. a. aus der
niedersächsischen Neonazi-Szene berichtenden VM Tarif, sensibilisiert und
befragt.“
Wie nahe V-Mann „Tarif“ am NSU-Trio dran war, wird die Öffentlichkeit
womöglich nie erfahren. „Tarif – vernichtet“, heißt es zu den Akten zu …
V-Mann knapp in einem internen Schreiben von Verfassungsschutz-Chef Heinz
Fromm an das Innenministerium.
2 Jul 2012
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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