| # taz.de -- Geschredderte NSU-Akten: „Der Skandal ist systembedingt“ | |
| > Geheimdienstexperte Rolf Gössner findet den Verfassungsschutz | |
| > „demokratieunverträglich“. Stattdessen sollten offen arbeitende Stellen | |
| > die Neonaziszene durchleuchten. | |
| Bild: Von Hand zu Hand weiterreichen – und vernichten. | |
| taz: Herr Gössner, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfahren haben, | |
| dass der Bundesverfassungsschutz wichtige Akten geschreddert hat? | |
| Rolf Gössner: Ich habe erwartet, dass wir es bei der Aufarbeitung rund um | |
| die Taten der NSU-Zelle auch mit Beweismittelunterdrückung zu tun haben | |
| würden. Andererseits hat es mich jetzt doch schockiert, dass ein geheimes | |
| Sicherheitsorgan in einem Fall von zehnfachem Mord Akten vernichtet. Es | |
| geht dabei schließlich um V-Leute und verdeckte Operationen im Umfeld des | |
| Thüringer Heimatschutzes, jener Neonazi-Truppe, aus der der NSU entstanden | |
| ist. | |
| Der schreddernde Beamte argumentierte offenbar mit Datenschutz. Die | |
| Löschungsfrist sei bei den betreffenden Akten überschritten gewesen. | |
| Das halte ich für sehr unglaubwürdig. Auch wenn tatsächlich die | |
| Löschungsfristen nicht eingehalten worden sind: Wenn die Akten noch | |
| existieren zu einem Zeitpunkt, in dem die Bundesanwaltschaft die | |
| Ermittlungen übernimmt, ist eine Vernichtung ungeheuerlich und meines | |
| Erachtens auch illegal. | |
| Wurde hier versucht, etwas zu vertuschen? | |
| Der Zeitpunkt deutet darauf hin. Ich kenne die Akten nicht, aber was man | |
| daraus weiß, ist so wichtig und gravierend, weil es einen unmittelbaren | |
| Bezug zu den mutmaßlichen Tätern des NSU hat. | |
| Ein Referatsleiter soll die Aktenvernichtung eigenmächtig angeordnet haben. | |
| Halten Sie das für möglich? | |
| Fachlich und politisch verantwortlich sind der Verfassungsschutzpräsident | |
| Heinz Fromm und letztlich auch der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich | |
| (CSU). Von Fromms Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss kommende Woche | |
| erwarte ich mir aber nicht viel. Eine lückenlose Aufklärung wäre von einem | |
| Verfassungsschutzpräsidenten auch zu viel verlangt. Da etwa der Schutz von | |
| V-Leuten auch von Fromm selbst als so überragend eingeschätzt wird, ist | |
| eine rücksichtslose Aufklärung gar nicht möglich. | |
| Sollte Fromm zurücktreten? | |
| Ich halte hier nicht viel von personellen Konsequenzen, denn das | |
| Geheimdienstsystem würde uns erhalten bleiben. Der Skandal ist | |
| systembedingt, an den Strukturen muss angesetzt werden. Denn die | |
| Geheimdienststrukturen führen zwangsläufig zu amtlichen | |
| Verdunkelungsstrategien. Der Inlandsgeheimdienst mit dem euphemistischen | |
| Tarnnamen Verfassungsschutz ist demokratieunverträglich, weil er den | |
| demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit | |
| widerspricht. Und mit seinen kriminellen V-Leute-System ist er Teil des | |
| Nazi-Problems geworden. | |
| In der Politik ist die Empörung jetzt groß. Meinen Sie, dass das Ihrer | |
| Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes Rückenwind gibt? | |
| Die Empörung ist jetzt groß, sicher. Aber wir haben schon oft die Erfahrung | |
| gemacht, dass sich Empörung auch schnell wieder legt. Aber die Zeit ist | |
| jetzt wirklich reif für politische Konsequenzen. | |
| Welche Organisation soll statt des Verfassungsschutzes frühzeitig vor | |
| Gefahren warnen? | |
| Ich plädiere für offen arbeitende Forschungs- und Dokumentationsstellen, | |
| die etwa neonazistische Strukturen analysieren. Der Vorteil: Diese Stellen | |
| wären weniger interessengeleitet und besser kontrollierbar als ein | |
| Regierungsgeheimdienst. Das wäre zum Schutz unserer Verfassung deutlich | |
| sinnvoller als das, was der sogenannte Verfassungsschutz in Jahrzehnten | |
| geboten hat. | |
| 29 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Erb | |
| Sebastian Erb | |
| ## TAGS | |
| Geheimdienst | |
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