# taz.de -- Grundeinkommen für Musiker: Das kreative unternehmerische Selbst | |
> Mit dem Internet bieten sich im Musikbetrieb größere Möglichkeiten der | |
> Teilhabe. Aber es verschiebt sich auch das wirtschaftliche Risiko | |
> zulasten der Künstler. | |
Bild: Musik im Netz: das betriebswirtschaftliche Risiko liegt heute nicht mehr … | |
Mit dem Internet gaben selbst die Hippies das Musizieren auf. 1996 schrieb | |
der Grateful-Dead-Texter John Perry Barlow seine letzte Marschmusik. „A | |
Declaration of the Independent of Cyberspace“ war eine Hymne für die | |
IT-Industrie gegen die „ermatteten Giganten aus Fleisch und Stahl“: „In | |
Vertretung der Zukunft bitte ich euch, die ihr aus der Vergangenheit seid, | |
uns in Ruhe zu lassen.“ | |
Es war der ultimative Popsong, das „My Generation“ der libertären | |
Hackerelite, die sich seitdem vom Mythos nährt, auf der richtigen Seite der | |
Geschichte zu stehen. Die neueste Verkörperung dieses Mythos ist die | |
Urheberrechtsdebatte, die von der technischen Möglichkeit, fertige Inhalte | |
ohne Verluste zu kopieren, ausgelöst wurde. | |
Dabei entgeht den Verfechtern der freien Reproduzierbarkeit der | |
entscheidende Aspekt: Nicht nur die Reproduktion, sondern auch die digitale | |
Produktion ist für viele da. „Lese- und Schreibmedien öffnen ein Fenster, | |
um stärker partizipative Strukturen und Beziehungen zu ermöglichen“, | |
erzählt der Netztheoretiker Douglas Rushkoff. | |
Er denkt seit 20 Jahren über eine vernetzte Kunstproduktion unter digitalen | |
Vorzeichen nach. „Diese neuen Medien sind auf Produktion und Teilhabe | |
ausgelegt.“ Nirgendwo spürt man diese Veränderungen stärker als bei der | |
Produktion von Musik. | |
## Technik schafft nicht automatisch vielschichtige Musik | |
„Alles, was man zum Produzieren und Vertreiben von Musik braucht, findet | |
sich im Netz“, meint Jan Werner von der Elektronikband Mouse on Mars . | |
„Egal ob Software zum Herstellen von Musik, Plattformen für den Vertrieb, | |
Blogs, die die Werke kritisieren, oder virtuelle Läden, um sich die Musik | |
anzuhören und zu erwerben.“ | |
Doch die technischen Möglichkeiten schaffen nicht automatisch die | |
interessantere, vielschichtigere Musik, die auf die Komplexität der Dinge | |
mit einer Komplexität der Klänge reagiert. „Wir überschätzen das | |
demokratische Potenzial von Technologie“, meint Douglas Rushkoff. | |
„Wir haben längst nicht das notwendige Level an Bildung, Erfahrung und | |
Lebendigkeit erreicht, damit alle in allen Medien großartige Kunst | |
erschaffen können.“ Vielleicht ist die Verkürzung des Werts von Musik auf | |
ihre Transaktionskosten ein Zeichen dieses Mangels an Bildung. Denn mit dem | |
Umstieg auf eine Ökonomie der Freiwilligkeit tun sich die meisten | |
Musikhörer noch schwer. | |
2008 veröffentlichte die in Finnland lebende deutsche Elektronikmusikerin | |
Antye Greie ihr Album „Dance Floor Drachen“, das man gegen eine freiwillige | |
Spende auf ihrer Homepage herunterladen konnte. Gut ein Zehntel aller 6.232 | |
Downloader haben gespendet, ein Promille hat ein limitiertes Album | |
erworben. Als Musikerin existieren kann man davon nicht. | |
## „Eine Art Indie-Kommunismus“ | |
„Ich lebe von Kommissionen für Film oder Bühnenstücke. Ich bin aus der Gema | |
ausgetreten, meine Alben bringe ich ohne große Kosten selbst heraus, | |
deshalb tragen sie sich“, erzählt Antye Greie. Für ihr nächstes Projekt | |
denkt sie über Crowdfunding nach. „Das ist für mich so eine Art | |
Independent-Kommunismus, weil die Leute das Werk ja nicht besitzen, sondern | |
nur ermöglichen.“ | |
Der immer wieder eingeforderte Wille, sich auf die digitalisierten Umstände | |
einzustellen, er ist längst da. Nur haben diese digitalisierten Umstände | |
nicht zu dem selbst verwalteten Ökosystem geführt, in dem der Weltgeist von | |
1977, als mit Punk die Ausbreitung von selbst verwalteten Indielabels | |
begann, nachhallt. | |
„Wir haben noch keine guten Kuratiersysteme und Kulturen entwickelt, durch | |
die wir Begabung und eine neue Ästhetik etablieren könnten“, meint Douglas | |
Rushkoff. Crowdfunding oder die Promotion durch Filesharing funktionieren | |
für Musiker gut, die ihre Karriere mit der PR-Kraft der „alten“ | |
Musikindustrie gestartet haben. | |
Amanda Palmer, die gerade 1,2 Millionen US-Dollar für ein Album und eine | |
Tour auf Kickstarter gesammelt hat, hat ihre ersten Alben auf dem Label | |
Roadrunner veröffentlicht, das es sich durch den Erfolg von Nickelback | |
leisten konnte, auch Geld in unbekannte Acts zu investieren. | |
## Subjektivität von Musikern | |
Denn mit der digitalen Flucht aus den Hierarchien der „alten“ | |
Musikindustrie ging erhöhte Inwertsetzung der Subjektivität von Musikern | |
einher, bei der neben dem kreativen Selbst verstärkt das unternehmerische | |
Selbst angerufen wird. „Oft wird am Ende nichts vergütet, meist ist der | |
Musiker selbst Produzent, Vertriebschef, Ladenbesitzer und schreibt sogar | |
den Waschzetteltext, den die Kritiker abschreiben“, schildert Jan Werner | |
die Veränderungen. | |
„Wenn Musiker mittlerweile nicht mehr nur Musikmachen, sondern auch | |
Facebookprofile, Hundertstelgrammabrechnungen von Gema, iTunes und | |
sonstigen Verwertern verwalten müssen, dann sind sie in ein solch enges | |
Korsett geschnürt, dass nicht mal mehr Zeit zum Einkaufen bleibt. Man | |
sollte ihnen Essen auf Rädern liefern lassen.“ | |
Denn während in den alten Hierarchien von Medienkonzernen und | |
paternalistischem Sozialstaat zumindest manchmal Nischen zum künstlerischen | |
Durchwurschteln bereit standen, ist das Kontrollregime aus | |
Streamingabrechnungen und notwendigem Socialnetworking noch stärker | |
fremdbestimmt. | |
Nur das betriebswirtschaftliche Risiko liegt nicht mehr beim Konzern, | |
sondern bei den Musikern selbst. Die Aggregatoren, die dafür sorgen, dass | |
Musik in den einschlägigen Downloadshops von Apple und Amazon gelistet | |
wird, zahlen keine Vorschüsse für Equipment oder Studiozeit und minimieren | |
so ihr Risiko auf Kosten der Musiker. | |
## Verwertungsgesellschaften als Mäzenaten | |
„Das materiell Notwendige gegen das Unstoffliche auszuspielen halte ich für | |
die falsche Richtung“, meint Jan Werner. „Es sollte doch eher umgekehrt | |
sein, dass alles, was materiell und lebensnotwendig ist, umsonst zu | |
bekommen ist und alles, was mit Ideen zu tun hat, vergütet wird.“ Sein | |
Vorschlag ist eine Reform der Gema, die eine Art Grundeinkommen für Musiker | |
sichern könnte. | |
Denn die Verwertungsgesellschaften übernehmen inzwischen zunehmend die | |
Rolle des klassischen Mäzenaten – ihre Zahlungen sind für viele Musiker ein | |
Ersatz dafür, dass im laufenden Musikeralltag kaum eine Chance besteht, | |
Rücklagen zu bilden. Dabei verdoppelt die Gema allerdings einen | |
Markterfolg, der letztlich doch in erster Linie das Ergebnis von gelungener | |
PR, Lizenzdeals und Kungelei ist. | |
Höhere Ausschüttungen erhalten diejenigen, die eh schon von den Strukturen | |
der Musikindustrie profitieren. Auch alternative Modelle, etwa die vom CCC | |
entwickelte „Kulturwertmark“, haben eine erneuerte „Marktdynamik“ zum Z… | |
anstatt sich zu fragen, welches Prinzip der Zuordnung von Ressourcen | |
Musikern die besten Arbeitsbedingungen beschert. | |
Dabei kann eine Ausrichtung der Technik an der Dynamik des Marktes | |
Freiräume, die mithilfe der gleichen Technik gewonnen wurden, auch wieder | |
zerstören. „Die Musikpresse war für mich während der Achtziger und | |
Neunziger eine Quelle intellektueller Inspiration“, meint der britische | |
Poptheoretiker Mark Fisher. | |
## Blog K-Punk | |
„Auf Blogs hat man in den Nullerjahren genau diese Diskussionen über Musik | |
gefunden, die in den Musikmagazinen nicht mehr stattfanden.“ [1][Fishers | |
Blog] K-Punk, auf dem er lange Essays über Politik und Pop veröffentlichte, | |
war Teil eines Netzwerk aus Blogs, die elektronische Musik theoretisierten, | |
ohne gleich in akademischen Formalismen aufzugehen. | |
Fishers politische Texte mündeten in einem Buch, „Capitalist Realism“, das | |
sich knapp 10.000-mal verkauft und ihm eine Lehrtätigkeit am Londoner | |
Goldsmiths College eingebracht hat. Zerbrochen ist dieses Netzwerk an der | |
marktförmigen Weiterentwicklung der Technologien, die es erst ermöglicht | |
haben. | |
Dahinter steckte ein verstärktes Bemühen, Alltagskommunikation für | |
Marktforschung und Werbung zu nutzen. Die Kommentarfunktion auf Blogs | |
zerhäckselte das dialogische Schreiben, in dem sich Blogs aufeinander | |
beziehen mussten, und die Konversation auf neueren Plattformen wie Twitter | |
oder Facebook orientieren sich eher an mündlicher Alltagsunterhaltung. | |
„Die einzige Technologie, die das Fortschrittsversprechen des Kapitalismus | |
eingelöst hat, ist die Kommunikationstechnologie“, meint Fisher. Doch im | |
„kommunikativen Kapitalismus“ ist der Akt der Kommunikation wertschöpfend | |
und erst in zweiter Linie ihr Inhalt. | |
## Welle von Laptopperformances | |
Zehn Tweets über Essgewohnheiten sind im Zweifelsfall von größerem | |
kommerziellen Interesse als ein 10.000 Zeichen langer Text über das | |
Gespenstische in der Musik des Dubstep-Enigmas Burial. Und so sind die | |
großen Gewinner der Digitalisierung bislang auch diejenigen, die die | |
Technologie für die Produktion und Verbreitung von Musik und Texten zur | |
Verfügung stellen. | |
Egal ob es sich dabei um Apple, YouTube oder ein mittelständisches | |
Unternehmen wie die Berliner Softwareschmiede Ableton handelt, deren | |
Software Standard für die Liveperformance mit dem Laptop ist. Inwiefern | |
solche Standards unsere Vorstellungen von Musik überformen, ist dabei eine | |
Debatte, die man ein gutes Jahrzehnt nach der ersten Welle von | |
Laptopperfomances erneut führen müsste. | |
Nicht umsonst zirkuliert in den digitalen Archiven im Moment die Musik | |
besonders intensiv, deren kosmisches Herumklimpern das Produkt einer | |
medialen Ödnis war. „Eine bestimmte Form von Langeweile ist essenziell, um | |
Kultur zur produzieren“, meint Mark Fisher. „Man muss sich aus dem Sozialen | |
zurückziehen können, und das war niemals schwerer als heute.“ | |
6 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://k-punk.abstractdynamics.org/ | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
## TAGS | |
Musik | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
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