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# taz.de -- Neues Album von Amanda Palmer: „Plattenfirmen werden verschwinden…
> Die Sängerin Amanda Palmer bekam für ihre neue Platte einen
> Millionen-Vorschuss von ihren Fans. Wie hat sie das geschafft?
Bild: Extravagant: Amanda Palmer.
taz: Frau Palmer, Sie müssen glücklich sein, denn heute erscheint Ihr neues
Album „Theatre Is Evil“ und schließlich sind Sie neuerdings Millionärin.
Amanda Palmer: Dem ist leider nicht so. Tatsächlich bin ich immer noch
pleite. Aber mir geht es hervorragend. Ich fühle mich wie eine Mutter, die
gerade ein hundert Pfund schweres Baby zur Welt bringt: gestresst, aber
sehr glücklich.
Wo sind denn die 1.192.793 US-Dollar hin, die Sie über Crowdfunding für das
Album eingesammelt haben?
Das ganze Geld ist schon wieder weg.
Alles ist weg? Kaum zu glauben.
Ja, da sind Sie nicht der Erste, der sich wundert. Auch meinen mittellosen
Freunden muss ich öfter erklären, warum ich immer noch genauso pleite bin
wie sie. Ich durfte feststellen, dass erstaunlich viele Menschen Probleme
mit Mathematik haben. Deshalb habe ich auf meinem Blog sehr detailliert
vorgerechnet, warum ich jetzt nicht plötzlich sagenhaft reich geworden bin.
Erst einmal musste ich noch ein paar Schulden zurückzahlen, aber fast das
ganze Geld ist wieder in die Musik geflossen. Die CD-Aufnahmen und die
Produktion mussten bezahlt werden, ebenso die Künstler, die ich beauftragt
habe, Kunstwerke zu schaffen, die während der Tour gezeigt werden, und
nicht zuletzt haben wir uns für die Tour, auf die wir nun gehen, eine
extravagante Show geleistet.
Sehr unvernünftig.
Sicherlich hätte ich auch allein mit dem Klavier auf Tour gehen können,
aber ich wollte lieber eine verrückte, theatralische, wunderschöne Show –
und dazu braucht man eben eine 12-köpfige Crew. Wenn ich Geld habe, gebe
ich es sofort wieder aus. Ich bin lieber pleite und glücklich als reich und
zu vernünftig.
Waren Sie über den millionenschweren Erfolg Ihrer Kickstarter-Kampagne so
überrascht wie alle Beobachter?
Ich war froh, dass es so gut geklappt hat, aber nein, überrascht war ich
nicht. Ich habe gehofft, dass wir die Million knacken würden, aber ich habe
es nicht erwartet. Mein Team und ich haben die Kickstarter-Aktion über
Jahre strategisch vorbereitet und geplant, deshalb war ich mir sicher, dass
wir wenigstens ein paar hunderttausend Dollar einnehmen würden.
Was haben Sie besser gemacht als so viele andere, die nicht annähernd so
viel einnehmen?
Es hat keinen Sinn, sein Projekt auf Kickstarter online zu stellen und dann
Däumchen zu drehen und zu hoffen, dass etwas passiert. Ich habe mir den
Arsch abgearbeitet: In den vier, fünf Wochen nach dem Projektstart bin ich
aufgestanden und habe kommuniziert, bis ich wieder ins Bett ging.
Jeder Mensch, der eine Frage hatte, ob Fan oder Journalist, bekam eine
Antwort. Wichtig ist natürlich auch die Fan-Base, die ich mir über Jahre
aufgebaut habe. In den Social-Media-Plattformen ging die Aktion zuerst
herum und verselbstständigte sich – lange bevor die klassischen Medien das
Thema entdeckten.
Ist es das, was andere Musiker von Ihrem Erfolg lernen können oder müssen:
Dass sie nun ständig verfügbar sein müssen?
Es ist eine Entscheidung, vor der jeder Künstler steht. Muss man nicht nur
Künstler sein, sondern zusätzlich auch noch Unternehmer und
Social-Media-Freak wie ich? Die Antwort ist definitiv: Nein. Man muss die
Social-Media-Werkzeuge nicht benutzen, um Erfolg zu haben, aber wenn man
sie benutzt, können sie extrem effektiv sein.
Dabei ist wichtig, dass der Künstler nicht nur selbst mit seinem Publikum
kommuniziert, sondern dass er sein Publikum dazu bringt, untereinander zu
kommunizieren. Wenn man das nicht kann, dann ist man darauf angewiesen,
dass Plattenfirmen und klassische Medien die Arbeit für einen machen.
Sie haben mal gesagt: „Ich bin süchtig nach Offenheit.“ Könnte man das au…
Exhibitionismus nennen?
Sicher. Sie können das nennen, wie sie wollen. (lacht dreckig) Ich glaube,
dass es so etwas wie einen gesunden Exhibitionismus gibt. Wenn man niemand
anderen verletzt und seine exhibitionistischen Tendenzen in einen
künstlerischen Akt umsetzt, ist das vollkommen okay. Mal ehrlich: Die
allermeisten Künstler sind Exhibitionisten, denn sie stellen ihre Gefühle
aus.
Es gab Vorwürfe, Sie wären schamlos.
Ja, im Netz darf ja jeder sagen, was er will. Aber ich finde es nicht
schamlos, jemandem, der meine Musik mag, zu sagen: Hey, um weiter Musik
machen zu können, müsstest du mir 20 Dollar geben. Ich habe lange als
Straßenmusikerin gearbeitet, ich habe mit einem Hut vor meinen Füßen Musik
gemacht und die Leute wussten: Wenn wir dieser Frau weiter zuhören wollen,
dann müssen wir Geld in den Hut werfen, damit sie nicht verhungert. Aber
ich gebe zu: Für mich ist das ganz normal, andere Künstler haben dagegen
ein Problem, um Geld zu bitten.
Was empfehlen Sie Kollegen, deren exhibitionistische Ader nicht so
ausgeprägt ist wie ihre?
Einen Partner finden. Einen Manager, einen Agenten, einen Freund,
irgendjemanden, der – wenn der Künstler kein guter Selbstvermarkter ist –
die Botschaft von seiner Großartigkeit hinaus in die Welt posaunt. Das kann
natürlich auch eine Plattenfirma übernehmen, wenn sie denn seine Kunst und
– noch wichtiger – sein Verhältnis zu seinen Fans versteht.
Aber auch wenn man selbst zu schüchtern ist und eine Social-Media-Agentur
engagiert, wird die irgendwann mal eine E-Mail schreiben: Okay, wir posten
jetzt einen Blog für dich, aber dafür brauchen wir Text. Seien wir ehrlich:
Im Zeitalter der sozialen Medien hat ein Künstler mit Sozialkompetenz einen
großen Vorteil.
Birgt das keine Gefahren?
Welche Gefahren?
Haben Sie keine Angst um Ihre Privatsphäre? Hatten Sie noch nie Probleme
mit Stalkern? Glauben manche Menschen, die Ihnen Geld geben, nicht, dass
Sie ihnen gehören?
Das werde ich immer wieder gefragt, aber ich habe noch keine einzige
schlechte Erfahrung gemacht. Ich habe nie irgendwelche Besitzansprüche
gespürt. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass ich über die Jahre
diese sehr intensive Beziehung zu meinen Fans aufgebaut habe und die mich
wirklich gut kennen. Deshalb wissen die ganz genau: Amanda Palmer lässt
sich nichts gefallen. Sie wissen, dass ich immer nur das tue, was ich will.
Und sie können entscheiden, ob sie mich dabei unterstützen wollen oder
nicht.
Ist Crowdfunding die Zukunft des Musikgeschäfts?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Für mich ist es die Zukunft. Aber ich bin
ja nicht eines Tages aufgewacht und habe beschlossen, fortan mit meinen
Fans zu kommunizieren. Ich bin schließlich Musikerin geworden, weil ich mit
Menschen kommunizieren will. Die modernen Medien machen das nur sehr viel
einfacher. Für mich ist das kein Paradigmenwechsel, kein Erdbeben. Ich
glaube, das ist eine Win-Win-Situation, in der sowohl die Künstler als auch
die Fans nur gewinnen können.
Die einzigen Verlierer sitzen in den Plattenfirmen?
Ja, die Plattenfirmen, wie wir sie heute noch kennen, große Bürogebäude
voller telefonierender Menschen an Schreibtischen, die werden verschwinden.
Jeder weiß das, aber die Musikindustrie benimmt sich wie die Band auf der
„Titanic“, die tapfer weiter Musik macht und hofft, das das Schiff schon
nicht sinken wird, obwohl es schon gesunken ist. Aber Künstler werden immer
Leute brauchen, die ihren Kram organisieren.
An die Stelle von großen Plattenfirmen werden kleinere Marketing- und
Managementfirmen treten, die einem Künstler helfen. Auch bei Kickstarter
arbeiten Menschen, ohne deren Hilfe ich keine Chance gehabt hätte. Und mein
Management tut ja genau das, was früher eine Plattenfirma für mich getan
hat.
Der Unterschied ist nur: Ich habe die Kontrolle, ich treffe die
Entscheidungen. Früher habe ich für eine Plattenfirma gearbeitet, jetzt
arbeitet eine Plattenfirma, die ich geschaffen habe, für mich. Das ist die
Zukunft: Während der Musiker auf Tour ist, während er im Studio ist, muss
ja noch jemand am Schreibtisch sitzen und den Telefonhörer abnehmen.
Sind Sie frustriert, dass alle mit Ihnen nur übers Geschäft, aber nicht
über Ihr neues Album sprechen wollen?
(lacht) Nein. Jedenfalls im Moment noch nicht. Aber natürlich finde ich das
Album unglaublich brillant. Es ist so gut, dass ab Freitag, wenn es
erscheint, niemand mehr über Kickstarter wird sprechen wollen. Wenn es
nicht so sein sollte, dann werde ich allerdings sauer. (lacht noch einmal)
7 Sep 2012
## AUTOREN
Thomas Winkler
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