# taz.de -- Kampf um die Macht in Kairo: Parlament tagt und vertagt sich wieder | |
> Die Gesellschaft in Ägypten ist gespalten. Die Abgeordneten warten auf | |
> eine Gerichtsentscheidung zum umstrittenen Dekret von Präsident Mohammed | |
> Mursi. | |
Bild: Protest gegen Ägyptens neuen Präsidenten Mohammed Mursi. | |
KAIRO taz | Ägypten wird derzeit von einem emotional geführten Streit um | |
die Gewaltenteilung bestimmt. Nach einem Präsidialdekret von Präsident | |
Mohammed Mursi traf am Dienstag erstmals wieder das aufgelöste Parlament | |
zusammen. Es beschloss bei einer kurzen Sitzung, sich zu vertagen und sein | |
Schicksal in die Hände der Judikative zu legen. | |
Das Oberste Verwaltungsgericht entschied dann in einer ersten Sitzung, über | |
die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Präsidenten, das Parlament wieder | |
einzusetzen, am 17. Juli zu befinden. | |
Am Vormittag waren zunächst vor allem die Abgeordneten der | |
Muslimbruderschaft zur Arbeit erschienen – unbehelligt vom Militär. Dieses | |
hatte vergangenen Monat das Parlament aufgelöst, nachdem das | |
Verfassungsgericht die Wahl von einem Drittel der Sitze für nicht | |
verfassungskonform erklärt hatte. | |
Die Soldaten haben seit Montag die Order, nach dem Dekret des Präsidenten | |
die Abgeordneten wieder ins Parlament zu lassen. | |
„Das Urteil des Verfassungsgerichts hat nie von einer Auflösung des | |
Parlaments gesprochen, sondern nur ein Drittel der Sitze für illegal | |
erklärt. Das heißt doch nicht, dass dann die restlichen zwei Drittel der | |
Sitze auch ungültig sind. Schließlich ist dieses Gremium erstmals seit | |
vielen Jahren in einer freien Wahl bestimmt worden“, sagt Saad al-Hussein, | |
ein Abgeordneter der Muslimbrüder, der an diesem Morgen zur Sitzung | |
vorfährt. | |
Drinnen erklärte Parlamentspräsident Saad Katatny die Sitzung nach nur zehn | |
Minuten für beendet. Mit einer Erklärung, dass die Kammer nicht mehr tagen | |
werde, bis die Gerichte über ihr Schicksal entschieden haben. | |
## Chaotische Sitzung | |
Einen Kilometer weiter hat das Oberste Verwaltungsgericht nun über 20 | |
Beschwerden gegen das Präsidialdekret Mursis zu entscheiden. | |
Nach einer ziemlich chaotischen ersten Sitzung, in der Anhänger Mursis | |
lautstark das Gericht aufforderten, die Beschwerden abzulehnen, wurde der | |
Fall auf den 17. Juli vertagt. Besucher des Gerichts standen auf den | |
Stühlen und riefen: „Das Volk unterstützt die Entscheidung des | |
Präsidenten.“ | |
„Das ist der reinste Terror hier im und vor dem Gericht“, sagt der Anwalt | |
Ibrahim Fikri, der als erster Anwalt eine Beschwerde gegen das Mursi-Dekret | |
eingelegt hat. Er ist unter den Rufen der Demonstranten auf der Straße vor | |
dem Gericht kaum zu verstehen. | |
## Kompetenzen überschritten | |
„Das ist der Versuch, Druck auf das Gericht auszuüben, dass es ein Urteil | |
fällt, das denen da draußen gefällt. Als ob es kein Gesetz und keine | |
Verfassung gibt“, schimpft er. | |
„Wenn das Verfassungsgericht sagt, dass das Parlament nicht | |
verfassungskonform gewählt wurde, dann kann es der Präsident doch nicht | |
einfach mit einem Federstrich wieder einsetzen“, argumentiert er. | |
„Wir erleben eine neue Phase eines Rechtsstaates, in dem die Gesetze | |
geachtet werden müssen, vom Präsidenten bis zum kleinen Mann. Mursi hat | |
seine Kompetenzen damit eindeutig überschritten und zu diesem Schluss wird | |
auch das Gericht kommen“, meint auch der Anwalt Unsi Amar. | |
Anders als sein Kollege ist er aber nicht wütend über die Demonstranten. | |
„Das zeigt, das der Fall und der Aufbau der Demokratie in Ägypten lebhaft | |
begleitet wird“, sagt er. | |
## „Das ist ein politischer Streit“ | |
Der Anwalt Midhat Omar ist gekommen, um das Dekret Mursis zu unterstützen, | |
an dessen Rechtmäßigkeit er glaubt. „Er darf diese Entscheidung treffen und | |
hat dem Urteil des Verfassungsgerichts Rechnung getragen, in dem er nach | |
der Ratifizierung der Verfassung innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen | |
angekündigt hat. | |
„Letztendlich“, sagt er, „ist das kein Rechtsstreit, sondern ein | |
politischer Streit.“ Man dürfe nicht vergessen, dass die ägyptische | |
Bevölkerung bei den Präsidentschaftswahlen gespalten war. | |
Mursi hatte 52 Prozent der Stimmen erhalten, und sein Rivale und letzter | |
Premier Mubaraks, Ahmed Schafik, war immerhin mit 48 Prozent der Stimmen | |
gescheitert. Diese Spaltung setze sich jetzt fort, glaubt der Anwalt. „Die | |
Befürworter Mursis unterstützen das wieder eingesetzte Parlament, dessen | |
Gegner ziehen dagegen vor Gericht.“. | |
10 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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