# taz.de -- Restauration in Rumänien: Anklage vor dem Spiegel | |
> Die korrupte politische Klasse Rumäniens wehrt sich mit Macht und | |
> primitiven Methoden gegen Reformen. Anmerkungen zu einer Restauration im | |
> Eilverfahren. | |
Bild: Sinnbild des alten Systems: Der Parlamentspalast in Bukarest. | |
Freitag, der 6. Juli 2012, ist ein glücklicher Tag für Catalin Voicu. Der | |
bullige Abgeordnete flegelt sich gut gelaunt auf seinem Platz und hebt bei | |
einer Abstimmung gleich beide Hände, als wolle er die Regel- und | |
Gesetzesverstöße der vergangenen Wochen versinnbildlichen. Voicu wurde | |
Anfang Juni in erster Instanz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der | |
Abgeordnete der Sozialdemokratischen PSD hat sich der Richterbestechung | |
schuldig gemacht, für die er von seinem „Klienten“ 200.000 Euro kassierte. | |
Auch der Abgeordnete Sergiu Andon (Konservative Partei) streicht an diesem | |
Freitag bester Laune durch die Flure des einstigen Ceausescu-Palastes. Zwar | |
hat die Integritätsbehörde ANI schon vor einem halben Jahr seinen | |
Ausschluss vom Parlament verlangt, weil er öffentliche Funktion und private | |
Interessen vermengt habe, eine vom Obersten Gericht bekräftigte | |
Entscheidung. Doch das schert weder Andon noch seine Kollegen. Gerade erst | |
hat die Justizkommission eine Exekution der ANI-Entscheidung verweigert. | |
Dass am heutigen Freitag der Staatspräsident suspendiert wird, erfüllt | |
Andon und Voicu nicht nur mit großer Genugtuung – von nun an werden sie | |
auch ruhiger schlafen. Denn Traian Basescu hat bereits früh den Pakt mit | |
der Oligarchie gebrochen, spätestens 2007, als er einen Brief des damaligen | |
Regierungschefs Tariceanu veröffentlichte. Der bat in diesem Schreiben um | |
Basescus Einflussnahme auf die Richter im Prozess gegen seinen | |
Geschäftsfreund, den reichsten Mann Rumäniens, Dinu Patriciu. | |
Auch damals wurde Basescu vom Parlament suspendiert, beim Referendum aber | |
im Amt bestätigt.Diesmal wird der Staatschef wohl endgültig seinen Sessel | |
räumen müssen. Seit den Sparbeschlüssen von 2010 im Zuge der europäischen | |
Schuldenkrise ist Basescu in der Bevölkerung unbeliebt. | |
## Sehnsucht nach Ceaucescu | |
Verständlicherweise bringt der Durchschnittsrumäne, der hart an der | |
Armutsgrenze, wenn nicht darunter lebt, wenig Verständnis für | |
makroökonomische Maßnahmen auf. Zuerst interessieren ihn seine | |
unmittelbaren Lebensverhältnisse, demokratische Werte sind zweitrangig. In | |
der kollektiven Erinnerung vergolden sich die sozialen Sicherheiten der | |
kommunistischen Ära. Kein Wunder, dass sich in einer Umfrage von 2010 41 | |
Prozent der Befragten Ceausescu wieder zum Staatschef wünschten. | |
Traian Basescu hat sich in seinen beiden Amtsperioden viele Fehler | |
geleistet. Der ehemalige Kapitän ist ein Mann mit autoritärem Verhalten. | |
Letzteres hat ihn in der konservativen, autoritär verfassten Gesellschaft | |
nur beliebter gemacht. Als er aber die Sparmaßnahmen verkündete, schien er | |
sich plötzlich in den anderen, ebenfalls unvergessenen Ceausescu zu | |
verwandeln, in jenen Tyrannen, der die Rumänen in den 1980er Jahren hungern | |
und frieren ließ. So fiel es den damaligen Oppositionsparteien leicht, | |
Basescu auf den Fernsehkanälen der mit ihnen verbündeten TV-Moguln als | |
Diktator zu verteufeln – selbst wenn das, wie heute offensichtlich, eine | |
„Anklage vor dem Spiegel“ war. | |
Denn eines Verfassungsbruchs hat sich der Präsident nicht schuldig gemacht, | |
und nur der würde seine Amtsenthebung rechtfertigen. Basescus eigentliche | |
Schuld besteht in seiner Unterstützung jener Kräfte, die, wie etwa die | |
ehemalige Justizministerin Monica Macovei, den Aufbau einer unabhängigen | |
Justiz vorantrieben. | |
Deshalb ist er über alle Parteigrenzen hinweg bei der korrupten politischen | |
Klasse verhasst, ja bis in die Reihen seiner eigenen, | |
Liberal-Demokratischen Partei (PDL), selbst wenn sie ihn öffentlich | |
unterstützt. Denn viele Mandatsträger der PDL haben nicht vergessen, dass | |
die Behörden in den vergangenen anderthalb Jahren auch gegen sie | |
ermittelten, Prozesse anstrengten, Urteile verhängten. | |
## Kein Links-rechts-Schema | |
In ihrer Ablehnung eines reformierten Systems sind sich die rumänischen | |
Parteien letztlich einig. Regierung und Opposition ideologischen | |
Richtungen, einem Links-rechts-Schema zuzuordnen, wie es die Westmedien | |
tun, ist ohnehin irreführend. In Wahrheit ist die Sozialdemokratische | |
Partei des Regierungschefs Victor Ponta ein oligarchischer | |
Interessenverband, und zwar der stärkste im Land. Hat sie doch mit ihrem | |
Gründer, dem stalinistischen Apparatschik Ion Iliescu, in den 1990er Jahren | |
die Grundlagen für das heutige Rumänien gelegt. Dabei blieben die alten | |
Strukturen großteils erhalten, und ihre Vertreter bereicherten sich scham- | |
und hemmungslos – auf Kosten des Staats und der Rumänen. | |
Wie aber kam es, innerhalb nur zweier Monate, zur schlimmsten politischen | |
Krise seit den 90er Jahren, als von Iliescu „zu Hilfe“ gerufene | |
Bergarbeiter prügelnd durch Bukarest zogen? Als das Parteienbündnis USL | |
aufgrund von Überläufern der bisherigen Regierungspartei PDL die Mehrheit | |
in Senat und Abgeordnetenhaus erreichte, sah es zunächst nicht nach einem | |
parlamentarischen Staatsstreich aus. Bei den Anfang Juni stattfindenden | |
Lokalwahlen aber wurde die PDL hauptsächlich ihres Sparprogramms wegen | |
bitter abgestraft, und Pontas Bündnis erzielte einen haushohen Sieg. Und | |
nun ging es Schlag auf Schlag. | |
Zunächst wurde das Rumänische Kulturinstitut (ICR) per Eildekret der | |
Präsidentschaft entzogen und dem Senat unterstellt. Was an der Sache eilig | |
war, blieb zwar schleierhaft, zumal das ICR eine der wenigen rumänischen | |
Institutionen ist, die in der Vergangenheit so erfolgreich wie transparent | |
agierten. | |
Das Dekret richtete sich zweifellos gegen den Basescu nahestehenden Leiter, | |
Horia-Roman Patapievici, einen angesehenen Schriftsteller, Physiker und | |
Philosophen, aber auch gegen die moderne, europäische Ausrichtung des | |
Instituts zugunsten einer bornierten, nationalistischen und nepotistischen | |
Vorstellung von Kulturpolitik, wie der Text des (miserabel formulierten) | |
Dekrets belegt: In Zukunft soll das ICR sich nicht mehr an ein europäisches | |
Publikum, sondern an die Rumänen in der Diaspora wenden. | |
Die Entscheidung war ein Schock für die Kulturszene und einte zuvor | |
verfeindete Lager. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle | |
protestierten, von Cristian Mungiu bis Mircea Cartarescu, zuletzt auch | |
Herta Müller in einem Brief an den Senat – wenngleich erfolglos. | |
## Entlassen wegen Transparenz | |
Gleichzeitig wurde der Chef des Nationalarchivs, Dorin Dobrincu, entlassen. | |
Sein Vergehen? Für eine nie dagewesene Aktentransparenz gesorgt zu haben. | |
Bei der Neubesetzung der Posten im Verwaltungsgremium des staatlichen | |
Fernsehens wiederum erhielt, gegen das Reglement, kein einziger Vertreter | |
der Opposition Sitz und Stimme. | |
Warum aber treiben Victor Ponta und seine USL den Konflikt in so kurzer | |
Zeit auf die Spitze und suspendieren den Präsidenten? Nur wegen des | |
Hickhacks um die Frage, wer in Brüssel das Land vertreten darf? Oder will | |
Ponta von seinem Plagiat ablenken, den mindestens 85 im | |
Copy-and-paste-Verfahren entstandenen Seiten seiner Doktorarbeit? | |
Die wahre Ursache der Restauration im Eilverfahren ist die Verurteilung des | |
ehemaligen Regierungschefs Adrian Nastase. Zwei Jahre Gefängnis für den | |
einst mächtigsten Mann im Land, Pontas politischen Ziehvater – das ist ein | |
unverzeihlicher Vorgang. In Windeseile und mit „primitiven Methoden“, wie | |
selbst Ponta einräumt, werden innerhalb einer Woche die Voraussetzungen | |
geschaffen, um Basescu zu entmachten. Denn nur noch der könnte den | |
geplanten Großangriff auf eine Justiz behindern, die schlicht zu unabhängig | |
geworden ist. | |
Plagiator Ponta reagiert auf die Vorwürfe aus Brüssel gewohnt dreist: „Sind | |
wir etwa eine Kolonie?“ Seine Parteikollegen beschuldigen | |
Oppositionspolitiker und Journalisten, Rumänien im Ausland zu diffamieren, | |
und drohen einzelnen von ihnen, wie Carmen Valica vom rumänischen Radio, | |
mit einer Untersuchung. | |
„Wir möchten in keinem Land leben, in dem korrupte, demagogische und | |
autoritäre Politiker unser Schicksal durch Maßnahmen entscheiden, die in | |
widerlicher und wiederholter Weise Gesetze verletzen“, schreiben | |
Intellektuelle wie die Philosophen Andrei Plesu und Gabriel Liceanu in | |
einem offenen Brief. Catalin Voicu und Sergiu Andon hingegen leben umso | |
lieber darin. Nun können sie auch wieder ruhig schlafen. | |
11 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Koneffke | |
## TAGS | |
Roman | |
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