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# taz.de -- Beschneidungspraxis in Schweden: Keine Küchentisch-Chirurgie
> In Schweden ist die Beschneidung von Jungen erlaubt – doch viele Ärzte
> verweigern sie. Die Dunkelziffer der illegalen Eingriffe ist hoch.
> Todesfälle hatten Diskussion ausgelöst.
Bild: Ein Junge während einer Beschneidungszeremonie.
STOCKHOLM taz | In Schweden ist die Beschneidung von Jungen seit 2001
gesetzlich geregelt. Vorausgegangen war eine längere gesellschaftliche und
politische Debatte, ausgelöst durch Todesfälle bei Säuglingen, die nicht
fachgerecht beschnitten worden waren. Bereits 1982 wurde in Schweden die
Genitalverstümmelung bei Mädchen ausdrücklich verboten, die Beschneidung
von Jungen war aber nicht speziell geregelt worden.
Als Gesetzeszweck wird ausdrücklich „das Beste für die Jungen“ und „die
Vorbeugung vor Verletzungen“ genannt und dabei auf die
UN-Kinderschutzkonvention Bezug genommen. Im Prinzip sei die Beschneidung
zwar ein „den Körper störender Eingriff“, der aber aufgrund der
Religionsfreiheit zuzulassen sei. Außerdem wäre es „naiv, zu glauben, dass
ein Verbot etwas bewirken würde“. Es würde nur zur Folge haben, dass die
„Küchentischchirurgie“ zunehmen würde, und dies sei „sicher nicht zum
Besten der Kinder“.
Nach dem Gesetz dürfen Beschneidungen nur von Ärzten und unter Betäubung
vorgenommen werden, bei Jungen unter zwei Monaten auch von dazu von der
schwedischen Gesundheitsbehörde speziell legitimierten Personen. Eine
Genehmigung kann bekommen, wer Kenntnisse und Erfahrungen hat, die mit
denen des Personals innerhalb des Gesundheitswesens vergleichbar sind.
Gegen diese Beschränkungen protestierten bei Verabschiedung des Gesetzes
sowohl jüdische wie muslimische Gemeinden. Der „Jüdische Weltkongress“
sprach von der ersten „Beschränkung jüdischer religiöser Praktiken in
Europa seit der Nazi-Ära“. Die Proteste beruhigten sich, nachdem die
meisten jüdischen Mohels entsprechende Legitimationen bekamen und den
Eingriff von da an ausführen durften.
## Falsche Vorstellung
In einer ersten Bilanz des Beschneidungsgesetzes bezifferte die
Gesundheitsbehörde 2007 die Zahl legaler Beschneidungen auf jährlich 3.000.
Die Zahl illegaler Eingriffe wird auf 1.000 bis 2.000 geschätzt. Ein
Hauptgrund für diesen hohen Anteil an illegalen Beschneidungen sei, dass
etwa die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser den Eingriff entweder aus
Kostengründen oder unter Hinweis auf angeblichen Mangel an Kinderchirurgen
grundsätzlich verweigern oder ÄrztInnen ihn aus ethischen Gründen
ablehnten. Weitere Gründe laut der Gesundheitsbehörde: die falsche
Vorstellung, Beschneidung sei in Schweden verboten. Außerdem misstrauten
viele muslimische Eltern den dortigen Ärzten und ließen den Eingriff daher
lieber in ihrer Heimat vornehmen.
Wegen der hohen Dunkelziffer werde das Gesetz seinem Zweck nicht wirklich
gerecht, urteilt die Behörde und fordert daher, im Rahmen einer
Gesetzesänderung ein ausdrückliches Recht zur Beschneidung zu verankern.
Doch hiergegen gibt es Widerstand aus der Ärzteschaft: Man könne sie nicht
zu einem solchen medizinisch nicht erforderlichen Eingriff zwingen.
Auch in Norwegen hat die Ärztevereinigung Widerstand gegen einen Zwang zur
Vornahme von Beschneidungen angekündigt. Hier hat der Tod eines zwei Monate
alten Babys im Mai eine aktuelle Beschneidungsdebatte ausgelöst. Die
sozialdemokratische Gesundheitsministerin Anne-Grete Strøm-Erichsen will,
dass dieser gesetzlich bislang nicht geregelte Eingriff nur noch in
Kliniken des öffentlichen Gesundheitswesens vorgenommen werden darf – aber
auch muss. In der Konsequenz solle der Eingriff dann staatlich finanziert
werden. Norwegen wäre das erste Land mit einer solchen Regelung.
12 Jul 2012
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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