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# taz.de -- Kommentar Beschneidungs-Urteil: Der Streit lohnt sich
> Die Bundesregierung kündigt eine rechtliche Klarstellung bezüglich des
> Beschneidungs-Urteils an. Manchmal muss sich der säkulare Staat den
> religiösen Riten seiner Bewohner widmen.
Es hatte keinen Zweck mehr, den Kopf in den Sand zu stecken und auf das
Bundesverfassungsgericht zu hoffen. Zu Recht hat die Bundesregierung nun
den Schwenk vollzogen und eine rechtliche Klarstellung angekündigt, die die
Beschneidung von kleinen Jungs offiziell absichern soll. Laut genug haben
Juden und Muslime danach verlangt, nachdem das Kölner Landgerichtsurteil
die Abtrennung der Vorhaut als strafrechtlich relevanten Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit von Kindern bezeichnete.
Es gibt nun einmal Situationen, in denen sich der säkulare Staat den
religiösen Riten seiner Bewohner widmen muss. Dass dies stets von heftigen
Gefühlsausbrüchen begleitet ist, weil Religion eine tief empfundene
Angelegenheit ist, macht die Sache meist anstrengend, aber auch
lohnenswert. Im aktuellen Fall heißt das: Es ist Unsinn, wenn jüdische
Glaubens- und Verbandsvertreter einen zweiten Holocaust kommen sehen, nur
weil drei Kölner Richter die Praxis der Beschneidung unter areligiösen
Aspekten bewertet haben. Wirksam waren die entsprechenden Einlassungen
allemal – wer weiß, wie schnell die Bundesregierung sich bewegt hätte, wenn
nur Muslime protestiert hätten.
Jede religiöse Kulthandlung aber, die sich mit den Rechten anderer beißt,
muss juristisch und damit politisch bewertet werden können.
Das gilt für den Lärm, den Kirchenglocken in mancher Leute Ohren
verursachen, ebenso wie für die Frage, ob das Schächten – betäubungsloses
Schlachten – gegen den Tierschutz verstößt. Umso mehr muss es bei einem so
weitreichenden Eingriff wie der Beschneidung gelten. Die Gesellschaft lernt
bei solchen Debatten vieles über ihre eigene Vielfalt und Toleranz. Die
Religionsgemeinschaften haben Gelegenheit, Traditionen zu überprüfen, die
vor Jahrtausenden erfunden wurden – es gibt auch innerhalb von Judentum und
Islam Beschneidungskritiker.
Ein Gesetz zur Beschneidung würde diese unter weitest denkbaren Bedingungen
zulassen. Das heißt: Keine Partei wird hierzu einen restriktiven
Gesetzentwurf vorlegen. Selbst die insgesamt eher weltlich gesinnte
Linksfraktion ist in der Sache gespalten. Es sollte aber im Interesse aller
sein, dass die Beschneidung von Jungen unter medizinisch angemessenen
Bedingungen durchgeführt wird: mit Betäubung, von zertifiziertem Personal.
13 Jul 2012
## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
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